Magazinrundschau

Unhöflich, unreif, streitlustig

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
06.10.2020. Amerikaner sind einem plötzlich so fremd wie die Yamomami. Jedenfalls wenn man amerikanische Magazine liest: Niemand scheint mehr einen Bürgerkrieg für ausgeschlossen zu halten. Vielleicht ließe sich der verhindern, würde man endlich verstehen, wie die Rivalen Cézanne und Pissarro zusammenarbeiten konnten? Ein Rätsel, das die LRB zu lösen versucht. Und auch das gibt es: Der New Yorker stellt das Lincoln Project vor, Republikaner, die die Wiederwahl Trumps verhindern wollen. Africa is a Country erzählt von den Widrigkeiten der Oromo in Kenia und Äthiopien. Hakai starrt auf 200 nordkoreanische Geisterschiffe.

New York Review of Books (USA), 06.10.2020

In der New York Review of Books zeichnet Jonathan Stevenson ein ziemlich gruseliges Bild von dem, was Amerika - und die Welt - erwarten könnte, wenn Donald Trump die Wahl verliert: Er ermuntert jetzt schon militante Gruppen wie die "Proud Boys", die "Three Percenters" und die "Patriot Prayer", Demonstranten der Demokraten oder von BLM zur Gewalt aufzustacheln, um dann gegen diese mit noch größerer Gewalt vorgehen zu können. Ein Bürgerkrieg also, in dem Trump zwar nicht auf das Militär setzen kann, aber auf staatliche Behörden "wie das FBI, das Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives, Customs and Border Protection, die Drug Enforcement Administration, Immigration and Customs Enforcement, den US Marshals Service, das Federal Bureau of Prisons und den obskuren Federal Protective Service - alle mit sehr unterschiedlichen Aufgaben und unzureichender Ausbildung für die städtische Polizeiarbeit. ... Darüber hinaus scheint der Federal Protective Service - eine Abteilung des Department of Homeland Security mit einem Jahresbudget von über einer Milliarde US-Dollar, der für die 'Kontrolle der Massen' in Portland und anderswo verantwortlich war - hauptsächlich mit externen Auftragnehmern aus privaten Militärunternehmen, das heißt mit Söldnertruppen, besetzt zu sein. Laut Berichten des US Government Accountability Office hat die Behörde in jüngster Zeit ihr Personal nur unzureichend überprüft, einige waren wegen Schwerverbrechen verurteilt worden oder hatten eine unzureichende Ausbildung im Umgang mit Schusswaffen."

New York Times (USA), 03.10.2020

Für das aktuelle Magazin hat sich Jim Rutenberg durch die Präsidenten-Tweets geackert und stellt fest, dass Trump mit seinem Gerede von Wahlbetrug die Bürger entmündigt: "Wahlbetrug ist ein flexibles Narrativ, und der Präsident hat es dem Augenblick angepasst. Auch wenn die Pandemie seiner Wiederwahl im Wege steht, bietet ihm die Krise die Gelegenheit zu tun, was kein anderer Präsident vor ihm getan hat: die ganze Macht der Regierung zu nutzen, um den demokratischen Prozess zu attackieren, die Wahlmöglichkeiten amerikanischer Bürger zu unterdrücken und Misstrauen und Groll unter seinen Anhängern zu säen... Erstaunlich, wenngleich nicht zufällig, dass ein Narrativ, das auf kleinen Begebenheiten beruht, großen Übertreibungen und schierer Erfindung zum zentralen Aspekt der (Wieder-)Wahl wird. Weil wir uns einer Wahl nähern, bei der der Betrugsvorwurf dazu genutzt wird, beispiellose rechtliche und politische Konsequenzen für den demokratischen Prozess zu rechtfertigen, ist es wichtig zu wissen, was dieser Vorgang tatsächlich bedeutet: eine jahrzehntelange Kampagne der Desinformation, schmuddelig, zynisch und dreist, aber ziemlich erfolgreich, durchgeführt von einigen bestimmten Darstellern mit einer konsistenten Agenda … Die moderne Ära des Wahlbetrug-Narrativs beginnt im November 2000 in einem tristen Bürogebäude in Miami …"

Außerdem: Fernanda Santos sieht die nächste Immobilienkrise kommen, in Phoenix ist sie schon da. Und im Interview mit David Marchese verrät Nicole Kidman, was Kubrick am liebsten isst.
Archiv: New York Times

The Atlantic (USA), 01.11.2020

In Atlantic erzählt Mike Giglio, welche Rolle die "Oath Keepers" im rechten Milieu der USA spielen. Gegründet wurde die militante Truppe, in der sich Tausende von Polizisten, Soldaten und Veteranen versammeln, von dem libertären Yale-Juristen und Waffenfanatiker Stewart Rhodes: "'Es geht nicht nur um Waffen', sagte Rhodes. Aber die Waffen waren das Herzstück. Trump schürte die Idee, dass die Konservativen eine Minderheit sind, die von einer demografischen Flut bedroht sei, die es den liberalen Städten erlaube, dem Rest des Landes die Bedingungen zu diktieren. Als ich Rhodes und andere Leute der militanten Rechten frage, worum sie sich außerdem sorgen, erwähnen sie: wie Geschichte in den Schulen gelehrt wird oder wie der Grüne New Deal die Nutzung des Landes, die Landwirtschaft, die Einfamilienhäuser bedrohe. Sie betonen, dass Amerika eine Republik ist, keine Demokratie. Die Liberalen, sagt Rhodes, wollen, dass 'eine knappe Mehrheit unsere Rechte mit Füßen tritt. Der einzige Weg, dies zu erreichen, ist, uns zuerst zu entwaffnen.' Ich frage, ob die 'Oath Keepers' weiße Nationalisten seien. Die Gruppe hatte an Veranstaltungen mit den 'Proud Boys' teilgenommen, einer Gruppe selbsternannter 'westlicher Chauvinisten', und für Sicherheit bei einer Kundgebung unter der Leitung des alt-right-Aktivisten Kyle Chapman gesorgt. 'Wir sind keine verdammten weißen Nationalisten', sagte Rhodes und wies darauf hin, dass die 'Oath Keepers' die 'Proud Boys' ablehnten und dass ihr Vizepräsident schwarz ist. 'Das ist die neue Verleumdung: Jeder auf der rechten Seite ist ein weißer Nationalist.' Wie Trump dämonisiert Rhodes die Black Lives Matter-Aktivisten schonungslos als 'Marxisten' - als einen ausländischen Feind. Und er ergeht sich in imaginierten Bedrohungen durch undokumentierte Einwanderer und Muslime, die seinen Vorstellungen von einem globalistischen Vorstoß zur Untergrabung westlicher Werte entsprechen. Seine Mutter stammt aus einer Familie von mexikanischen Wanderarbeitern; als Kind verbrachte er die Sommer damit, mit ihnen Obst und Gemüse zu pflücken. Aber er erzählte mir, dass seine Verwandten konservative Christen seien und dass sie - das Schlüsselwort - 'assimiliert' seien."
Archiv: The Atlantic