Post aus Neapel

Wir sind alle Hausfrauen!

Von Gabriella Vitiello
18.12.2003. Hausfrauen lesen keine Zeitungen, behauptet Silvio Berlusconi. Empörte Bürger verweigern seitdem den Fernsehkonsum und suchen sich ihre Informationen lieber auf den websites der movimenti. Bestraft werden so auch die großen Tageszeitungen, die ihre Artikel im Netz wegschließen.
"Die Linke ist analog, also veraltet, aber wir, die Rechte, wir sind digital." In der Imitation des italienischen Kommunikationsministers Maurizio Gasparri von Komiker Neri Marcore hat das Wort digital nichts mit dem Internet zu tun. Digital steht vielmehr für das Mediengesetz der Regierung Berlusconi, die damit das terrestrische Digitalfernsehen in Italien einführen will, um so einmal mehr die privaten wirtschaftlichen Interessen des Premiers zu verteidigen, weil das Gesetz seinem TV-Paket Mediaset eine blühende Zukunft sichert und Berlusconi weiterhin seine profitable und machtsichernde Monopolstellung garantiert. "Das Digitalfernsehen ermöglicht die Vervielfältigung der Kanäle und Sender, und je mehr Sender es gibt, desto größer ist die Meinungsfreiheit." Diese eigenwillige Definition von Pluralismus äußerte neulich Minister Gasparri, als er den Gesetzesentwurf, der seinen Namen trägt, in einem Fernsehstudio der Rai mal wieder der Öffentlichkeit schmackhaft machen wollte. Da macht es auch nichts, wenn fast alle Sender und Programme im Besitz einer Person sind.

Das Fernsehen ist die Zukunft. Das ist das Credo von Berlusconi, dem mit einem Auftritt anlässlich einer Buchpräsentation sogar die Imitation der Imitation Gasparris gelang, denn modern seien nur Fernsehen und Internet, die Tageszeitungen hingegen seien obsolet, behauptete der Premier. Dabei besitzt Berlusconi selbst Il Giornale, Il Foglio und die Wochenzeitschrift Panorama. Während der Zelebrierung des neuen Buchs von Bruno Vespa, "Il cavaliere e il professore", erschienen in Berlusconis Mondadori Verlag, saßen neben dem Premier die Direktoren der Tageszeitungen La Stampa und Il Messagero. Autor Vespa ist zudem ein Verehrer Berlusconis und allgegenwärtiger Anchorman auf Rai1, der sich alljährlich bei der Erscheinung seines neuen Werks stets gerne bei der immer gleichen Zeremonie mit Berlusconi zeigt. "In Italien gibt es ein Regime, ja, liebe Direktoren, die Diktatoren seid ihr". Damit wandte sich Berlusconi an die Chefs der Tageszeitungen und servierte die anwesende Presse ab: "Die Zukunft ist digital, die Zeitungen sind überholt. Eure Schlachten sind vergleichbar mit denen der Kutschenbauer, die versuchten, die Verbreitung des Autos zu verhindern".

Auch weiß der Premier die unermesslichen Werbeeinnahmen seiner Fernsehsender zu rechtfertigen, die mit dem neuen Mediengesetz noch weiter wachsen dürften. Als der Senat Anfang Dezember das Gesetz verabschiedete, freuten sich Börse und Mediaset-Aktionäre in Anbetracht steigender Gewinne in der Zukunft. Die Konzentration der Werbeeinnahmen auf Mediaset bringt jedoch die italienischen Tageszeitungen immer mehr in Bedrängnis, da seit Berlusconis Regierungsantritt vor zwei Jahren große Unternehmen immer weniger Gelder für Anzeigen in der Presse investieren und stattdessen zunehmend in Mediaset. Aus Berlusconis Perspektive ist dies mehr als vernünftig: "Die Werbung kann nicht einfach aus dem Fernsehen in die Zeitungen verlagert werden. Kein Unternehmen wirbt für Schönheitsprodukte oder Windeln in der Presse, denn es ist bekannt, dass Hausfrauen keine Zeitung lesen."

Doch die Realität sieht anders aus. Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi hat dem Mediengesetz seine Unterschrift verweigert (hier seine Kritik am Gesetzestext). Es kann nicht in Kraft treten, sondern muss von Senat und Parlament überarbeitet werden. Als Garant der italienischen Verfassung hatte er im Juli 2002 schon zu mehr Meinungsvielfalt in den Medien aufgerufen (mehr hier) und war bei der Regierung auf taube Ohren gestoßen. Nun verweigerte er dem Gesetz Gasparri seinen Segen, weil es nicht verfassungskonform ist; denn es ignoriert ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes, wonach drei private Fernsehsender in einer Unternehmerhand zu viel sind und deswegen der Mediaset-Sender Rete 4 ab Januar 2004 nur noch über Satellit ausgestrahlt werden darf. Mit seiner Weigerung zeigt Ciampi nicht nur ein kohärentes Verhalten, er teilt auch die Sorge um die Meinungs- und Pressefreiheit und damit um die italienische Demokratie, die auch der nationale Presseverband FNSI, das Kartellamt, die Medienaufsichtsbehörde und zahlreiche Verfassungsrechtler in den vergangenen Wochen immer wieder geäußert hatten. Das Gesetz sei ein Monument für Berlusconis Interessenkonflikt, urteilten viele Kritiker - und frei nach Tommasi Lampedusas "Der Leopard", ändere es alles, damit alles so bleibe, wie es ist.

Innerhalb der Zivilgesellschaft wurden die Debatte um Meinungsfreiheit und der Protest gegen das Mediengesetz angeheizt durch die Zensur, die die Rai der Satire-Sendung Raiot im dritten staatlichen Programm verabreicht hatte. Die Sendung der Komikerin Sabina Guzzanti wurde nur einmal ausgestrahlt und dann aus dem Programm genommen, weil Guzzanti recht gnadenlos mit dem Medienmonopol des Premiers abgerechnet hatte. Erst vor einigen Tagen entschied die Rai, dass die Sendung endgültig gestrichen ist. Die übrigen fünf Folgen werden nicht mehr gesendet, die movimenti, die Protestbewegungen, stellten allerdings die erste Folge schon vor Wochen ins Netz.

An den Protestveranstaltungen der vergangenen Wochen und Tage nahmen neben Sabina Guzzanti und Teile ihres Produktionsteams auffällig viele Komiker teil, die in der Rai nicht mehr oder nur unter großen Schwierigkeiten auftreten dürfen, wie auch Dario Fo (homepage) und Franca Rame. Jeder weitere Journalist oder Künstler, der von Mamma Rai verjagt wird, findet bei den movimenti ein neues zuhause, die sich so immer mehr als imformativer Gegenpol zur Rai entwickeln. Zu ihnen zählt auch Michele Santoro (mehr), dessen Informationsmagazin bereits im vergangenen Jahr vom Sendeplan genommen wurde. Santoro weist darauf hin, dass etwa fünfzig Prozent der italienischen Bürger und Bürgerinnen sich nicht mehr durch das öffentliche Fernsehen repräsentiert sehen oder sich nicht mehr in den Programmen wiederfinden. Was letztlich zu weiterem Zulauf bei den movimenti und zur verstärkten Nutzung ihrer websites führt.

Der Schriftsteller und Journalist der Tageszeitung La Repubblica, Michele Serra (mehr hier), misst dem Mediengesetz einen symbolischen Wert zu, denn mit seiner "Prämierung des Mediaset-Fernsehens" lässt es Verlierer zurück, denen die Fernbedienung fremd geworden ist. "Mit Mediaset wird das Fernsehen zur reinen Darstellung des Produktions- und Konsum-Enthusiasmuses". Das staatliche Fernsehen hat damit seit den 1980er Jahren seine Rolle als Bildungsinstrument mit Kulturauftrag, das "Leute machte", zunehmend verloren. Gemäß des Berlusconismus "dient das Fernsehen zum Geld machen." Hinter der Ästhetik des Berlusconischen Fernsehen zeigte sich bereits vor dem Einstieg des heutigen Premiers in die Politik vor zehn Jahren ein neuer Konformismus, der "unkritisch, aggressiv, antipolitisch und antikulturell" ist. Ein Teil Italiens hat dies schon lange vor 1993 erkannt - sagt Serra.

Einige Angehörigen und Erben dieses Teils der italienischen Gesellschaft dürften sich zurzeit in den movimenti wiederfinden. Auch Umberto Eco arbeitete, wie viele andere Intellektuelle und Schriftsteller seiner Generation, zu Beginn seiner Karriere in der Rai - heute ist er prominentes Mitglied der Bürgerbewegung Liberta e Giustizia (LeG). Die Vereinigung für Freiheit und Gerechtigkeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, die demokratischen Werte zu verteidigen, die für sie namensgebend sind. Zwar haben diese Werte keinen Preis - wie es auf der website heißt, - aber sie zu verteidigen, kostet Geld. Deshalb hat der webmaster eine spezielle Seite eingerichtet, auf der Beiträge gespendet werden können, damit Protestkampagnen, Seminare und runde Tische weiterhin finanziert werden können.

Als zu Beginn des Monats das Mediengesetz im Senat verabschiedet wurde, lud LeG die Internetgemeinschaft unter dem Slogan "Entzünde einen Wunsch, schalte das Fernsehen aus" dazu ein, Rai und Mediaset so lange wie möglich nicht einzuschalten und stattdessen lieber die "wahren Dinge des Lebens wiederzuentdecken." Durch den Fernsehboykott könnten die Dummheit Italiens und der Reichtum Berlusconis ein klein wenig reduziert werden - hieß es im Aufruf. Die ersten zweihundert Wünsche trafen innerhalb kürzester Zeit ein: "Freiheit, Sex, Gerechtigkeit, Natur, Gebet, Satire, Kunst, Kultur, Musik, Schokolade, Gedichte, Spaziergänge, Dialog, Solidarität, Lachen, Theater, Frieden, Essen, Bücher, Gesang und Tanz, Kastanien sammeln, Sport, Comics, Kino, Witze, Reisen, Liebe, Stille ..." waren die Favoriten des richtigen Lebens. Gesammelt und veröffentlicht wurden die Wünsche in einem eigens dafür eingerichteten Blog. Die neue Protestaktion, die LeG über das Internet gestartet hat, läuft unter dem hübschen Titel "Wir sind alle Hausfrauen" und sammelt Unterschriften zur Verteidigung der Presse gegen Berlusconis Diskreditierungen (Hier der Blog "Hausfrauen und Zeitungen").

Die websites sind das wichtigste Informations- und Kommunikationsmittel der movimenti. Ohne das Internet und seine Newsletter wäre die schnelle Organisation von Protestaktionen im Netz und auf der Piazza kaum möglich. Darüber hinaus bieten die movimenti den Nutzern aber auch ein alternatives Informationsnetzwerk an, in dem sie täglich Artikel aus der Berlusconi-freien Presse auf ihre Seiten stellen (und archivieren) und zusätzlich oft selbst Artikel zu den Themen Information, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Auftrag geben. Damit reagieren sie auch auf die widersprüchlichen Verhaltensweisen der großen italienischen Tageszeitungen im Netz. In der von Berlusconi dominierten Informationslandschaft halten La Repubblica, Il Corriere, La Stampa und auch die linksdemokratische Unita den Großteil ihrer Artikel unter Verschluss und schalten sie nur für Abonnenten frei (hier ein Verzeichnis der Zeitungen im Internet).

Trotzdem lobhudelte La Repubblica vor wenigen Tagen und präsentierte für diese Jahr stolz die Zahl von einer Milliarden Zugriffe auf die Online-Ausgabe. Die römische Tageszeitung öffnete 1997 ihr Portal mit einer riesigen Web-Redaktion, von der heute nicht mehr viel übrig ist. Eine online-Redaktion, die zuletzt dieses Schicksal erlitt, war die von La Stampa (hier ist die Geschichte der italienischen online-Redaktionen archiviert). Die Logik, dass Print und Internet sich nicht ausschließen, sondern sich ergänzen, scheint sich bei den Tageszeitungen noch immer nicht durchgesetzt zu haben. Sie fürchten um ihre Print-Leserschaft, sonst würden sie nicht so viele Artikel wegsperren. Dabei ist laut Untersuchungen kaum zu fürchten, dass in Italien Leser und Leserinnen ins Internet abwandern, denn die Druckausgabe wird nach wie vor geschätzt, weil sie praktisch ist, überall gelesen werden kann und damit eine Art Mehrwert besitzt (hier ein Artikel aus il manifesto zum Thema). Hingegen besteht nicht nur innerhalb der movimenti die Tendenz, das Fernsehen zu meiden, um ein wenig Freiheit beim Surfen zu entdecken. Dieser Trend bestätigt wiederum, dass nicht das Internet die Tageszeitungen bedroht, sondern das Medienmonopol des Premiers.

Die reflektierte Mittelschicht, wie sich die Anhänger der movimenti und die girotondini mittlerweile gerne selbst nennen, hat aus Protest gegen Berlusconi den Fernseher aus dem Wohnzimmer verbannt (hier ein unterhaltsames Requiem für die Fernbedienung in Versform). Alternativen zum Tele-Einheitsbrei bietet so auch die website Articolo21, die sich nach jenem Paragraphen der italienischen Verfassung benannt hat, der die Meinungsfreiheit festlegt. Diese Seite ist, was die Fülle an Nachrichten, Artikeln und Hintergrundberichten angeht, kaum zu übertreffen. Spezialisiert auf Berlusconis wirtschaftliche und juristische Verstrickungen hat sich der Journalist der Wochenzeitung il diario mit seiner website Societacivile.it. Tägliche aktuelle Meldungen finden sich in der Online-Zeitung der movimenti: inmovimento.it. Diese Seite ist die neue Version von centomovimenti.it, die vor einigen Wochen zusammenbrach, weil sie - schrieb der Webmaster Giovanni Pecora reichlich geheimnisvoll - aus den eigenen Reihen angegriffen wurde.

Die Seite hat auch Bilder und Video-Beträge der jüngsten Protestveranstaltung gegen Zensur und Mediengesetz in Mailand ins Netz gestellt (hier und hier). Dank kleiner unabhängiger Fernsehkanäle wie arcoiris und Emi.li Tv wurde diese Kundgebung live übertragen, und wer die Sender nicht selbst empfangen konnte, hatte die Möglichkeit, sich die Veranstaltung in mehr als hundert italienischen und einigen europäischen Städten anzuschauen, in speziell dafür bereitgestellten Kinos, Theatern oder auf Plätzen, auf denen schnell eine Großbildleinwand installiert wurde.

Während die movimenti mit Hilfe des Internets und anderer origineller Kommunikationswege alles versuchen, um das Medienmonopol Berlusconis zu umgehen, ist der Premier jedoch schon wieder mit seinem Machterhalt beschäftigt. Nach der Ablehnung des Mediengesetzes durch Ciampi, will der beleidigte Berlusconi nun versuchen, mit einem Dekret seinen Rete4-Sender vor dem Umzug auf den Satellit zu bewahren. Kaum haben sich die movimenti bei Ciampi für seine verweigerte Unterschrift bedankt, können sie also schon wieder die nächste Protestaktion starten.

Auch der Schriftsteller Stefano Benni weiß, dass Berlusconi nicht so leicht aus dem Alltag zu verbannen ist. In der Hitliste der "schrecklichsten Weihnachtsgeschenke" des Jahres hat er den drei Meter breiten Megabildschirm entdeckt, der das "charismatische und intellektuelle Zwergentum unseres Cavaliere um ein vielfaches vergrößern soll." Deswegen - prophezeit Benni mit düsterer Ironie - wird es nach dem Mediengesetz bald ein neues Gesetz geben, das für jeden italienischen Haushalt den Besitz eines riesigen Flüssigkristallbildschirms zwingend vorschreibt. In seinem nächsten Artikel will Benni deshalb Tipps geben, "wie man dem Weihnachtsmann ein Briefchen schreibt, ohne dass es der Zensur in die Finger fällt".