Post aus Neapel

Ich singe nur für Warner Brothers

Von Gabriella Vitiello
27.02.2004. "Der Richter wollte mich zum Singen bringen, aber ich hatte die Stimme verloren", so der Musiker Tony Renis ("quando, quando, quando") über seine Beziehung zu verschiedenen Mafia-Bossen. Dennoch hat ihn Silvio Berlusconi zum Leiter des Festivals von Sanremo ernannt. Nando dalla Chiesa, Sohn des von der Mafia ermordeten Präfekten Carlo Alberto, hat aus Protest ein Gegenfestival gegründet.
"Tony, was willst du - das italienische Kulturinstitut in Los Angeles oder das Festival von Sanremo?" So etwa klang im vergangenen Sommer das Angebot, das Silvio Berlusconi seinem Freund Tony Renis machte. Wer dem italienischen Premier und seinem Gast Wladimir Putin einen unvergesslichen musikalischen Abend organisiert, muss großzügig entlohnt werden. Schließlich hatte Tony extra Andrea Bocelli nach Sardinien in die Villa Berlusconis geholt und den Tenor eigenhändig am Flügel begleitet. Wladimir staunte. Gastgeber Silvio triumphierte und kürte Tony zum neuen künstlerischen Leiter des nationalen Festivals der "Canzone Italiana" von Sanremo (hier ein Artikel aus La Repubblica über Renis, inklusive Foto).

"Sag mir quando, sag mir wann / Sag mir quando, quando, quando / Ich dich wiedersehen kann...." - vor genau fünfzig Jahren stand Renis selbst auf der Bühne von Sanremo und landete mit "Quando, Quando, Quando" einen Hit, der ihn als Sänger und Autor nicht nur in Italien bekannt machte (lyrics auf Deutsch hier, auf Italienisch hier, da gibt's überhaupt nichts zu lachen). Nach dem schnellen Erfolg am Schlagerfirmament ging Elio Cesari, so Renis' bürgerlicher Name, nach Los Angeles und wurde Musikproduzent. Seine Rückkehr fünf Jahrzehnte später in die Stadt an der Ligurischen Riviera zum 54sten nationalen Festival löste in intellektuellen Kreisen eine Rebellion aus. Schriftsteller, Akademiker und Musiker sehen die Leitung Renis' als einen Skandal, denn das Schlagerfossil pflegte, immer auf dem Sprung von Italien in die USA und zurück, in den vergangenen Jahrzehnten intensive Freundschaften zu verschiedenen Mafia-Bossen. Da gibt es nur ein ziviles Gegenmittel, beschloss der Soziologieprofessor, Journalist und Senatsabgeordnete Nando dalla Chiesa und organisierte mit einigen Verbündeten ein alternatives Musikfest, das Festival della Musica di Mantova.

Erstmals in seiner Geschichte bekommt damit das Festival von Sanremo, das vom zweiten bis sechsten März live aus dem Ariston Theater in Sanremo von der Rai übertragen wird, künstlerische Konkurrenz. Der musikalische Widerstand "hat sich aus der Abscheu vor der zigfachsten, schmutzigen Kandidatur ergeben, aber auch aus dem jahrelangen Gefühl der Entfremdung gegenüber einem Festival, dass nicht die italienische Musik widerspiegelt, sondern das Italien der Pöstchen und Vetternwirtschaft in Szene setzt", erklärt die Schriftstellerin Lidia Ravera die Motivation des Organisationskomitees von Mantua (ihr Essay aus MicroMega, jetzt zu finden auf der Festival-Webseite hier und hier).

Sanremo, das Aushängeschild der Rai, hat seine besten Zeiten als großer Wettbewerb der Unterhaltungsmusik längst hinter sich und schreibt nur noch in Ausnahmefällen italienische Musikgeschichte. Lidia Ravera erinnert sich an die Anfänge, an ihre erste Sanremo-Single, "Il tuo bacio e come un rock" (lyrics), von Adriano Celentano, dem umherhüpfenden Exzentriker. Damals funktionierte Sanremo noch, erzeugte landesweite Gassenhauer und Hits, die jeder mitpfeifen konnte, weiß Ravera und denkt zurück an Musiker mit Talent und Persönlichkeit: die Vitalität von Domenico Modugno, die "revolutionäre Melancholie" von Luigi Tenco, der 1967 unter ungeklärten Umständen während des Festivals in Sanremo starb (mehr dazu hier) und an die "lächelnde Ironie" Giorgio Gabers. "Das waren keine von der Show-Maschinerie ausgespuckten Serienprodukte" - schreibt Ravera nostalgisch.

Mittlerweile wird Sanremo nur noch ertragen, vor allem vom Fernsehpublikum daheim. So manch ein Zuschauer bekommt juckenden Hautausschlag, wenn seichte Lieder von austauschbaren Plastik-Gesichtern vorgetragen werden oder Hollywoodstars, die alljährlich für astronomische Summen eingekauft werden, einige Minuten Werbung für ihren neusten Film machen. Bereits im Sommer geriet das Festival in die Schlagzeilen, da in der Musikbranche Schmiergelder in Höhe von fünfzigtausend Euro gezahlt wurden, damit die Schützlinge der Plattenfirmen ihr Liedchen in Sanremo vortragen dürfen. Darüber hinaus beschäftigt sich derzeit die Staatsanwaltschaft Rom mit den Auswahlkriterien, anhand derer die Rai und Tony Renis die 22 Musiker aus mehr als 700 Bewerbern bestimmten, die am Wettbewerb in Sanremo teilnehmen. Die italienische Verbraucherschutzorganisation Codacons bezweifelt nämlich, dass das Selektionsverfahren in nur neun Tagen, inklusive Neujahr und einem Wochenende, allein unter physischen Aspekten überhaupt durchführbar war. Zudem befürchtet Codacons einen Interessenkonflikt, da ein Freund und Kollege von Renis, der bekannte Songschreiber und Produzent Mogul, sich sowohl an der Vorauswahl der Stücke beteiligt als auch mit zwei Liedern im Wettbewerb vertreten ist.
(hier ein Artikel in La Repubblica dazu mit weiteren Links zu Sanremo und dem Gegenfestival in Mantua).

Mit den vielschichtigen Freundschaftsverhältnissen von Tony Renis befasste sich auch Nando dalla Chiesa in den vergangenen Monaten immer wieder und veröffentlichte seine Rechercheergebnisse in unregelmäßigen Abständen in der Tageszeitung Unita. Dalla Chiesa ist als Senator der moderaten Margherita-Partei Mitglied der italienischen Antimafia-Kommission und hat damit Zugang zu den Ermittlungsunterlagen über die Mafia. Das organisierte Verbrechen beschäftigt dalla Chiesa schon länger. Vor 22 Jahren wurde sein Vater, der Präfekt Carlo Alberto dalla Chiesa, von der Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia ermordet (mehr hier).

Nando dalla Chiesa erzählt die Geschichte Renis' mit viel Sinn für Ironie und Absurdes aus dem Mafia-Alltag (hier die Links zu seinen Artikeln, hier ein kürzeres Dossier mit Fotos): Aus den Aufzeichnungen zu abgehörten Telefonaten gehe hervor, dass Renis 1971 persönlich bei dem italo-amerikanischen Boss Joe Adonis anrief, um ihn um einen kleinen Gefallen zu bitten. Renis war zu Ohren gekommen, dass Francis Ford Coppola gerade die Besetzung für "Den Paten" zusammenstellte, und er hätte gerne darin mitgespielt, auch wenn die Hauptrolle schon an Marlon Brando vergeben war. "Grandios", findet Dalla Chiesa das Verhalten von Renis, "für den es das natürlichste der Welt ist, sich für eine Rolle in 'Der Pate' von einem Paten aus Fleisch und Blut empfehlen zu lassen." Adonis war gemeinsam mit Frank Costello und Al Capone einer der Mitbegründer der amerikanischen Cosa Nostra und organisierte ab 1929 die "Murder incorporated", eine Killer-Agentur, in der weltweit angeheuerte Profis für die Mafia-Bosse die Drecksarbeit erledigten. In den fünfziger Jahren zog Adonis auf Sizilien den internationalen Drogenhandel auf, ließ sich in Mailand nieder und investierte seine Gewinne in Immobilien und eine Supermarktkette (hier der Artikel aus der Unita, jetzt auf den Seiten des Mantova-Festivals.)

Zu den Busenfreunden von Tony Renis gehörten auch die beiden Bosse John Gambino und Rosaria Spatola mit ihren Familien. Die Villen der Clans in den USA und auf Sizilien zählten zu seinem bevorzugten Aufenthaltsorten, die er teilweise mit dem berühmt-berüchtigten Bankier Michele Sindona (mehr hier und hier) teilte, der seine vorgetäuschte Entführung mit Hilfe dieser Clans organisiert hatte. Als der ermittelnde Richter Imposimato 1979 Renis zum Fall Sindona befragt, rühmt der sich öffentlich seiner Freundschaft mit Gambino: "Warum sollte ich nicht sein Freund sein. Er ist ein Mann, den ich schätze, der arbeitet, intelligent ist und ausgestattet mit einer großen Persönlichkeit. Er ist großzügig und immer einer der ersten, der einem nützlich ist ... Ich will jedem Italo-Amerikaner meinen Dank aussprechen. Ein Danke schön in Großbuchstaben. Wenn unsere Landsleute den Ozean überqueren können, dann haben wir das nur denen zu verdanken, die uns die Hand reichen und uns Platz verschaffen in der Welt der Musik. Einen Teller Gemüsesuppe haben sie immer für uns. Danke und Danke an John Gambino." (Hier der Artikel von dalla Chiesa.)

In seiner Lobeshymne auf "den besten Freund, den ich in Amerika habe" vergisst Renis jedoch ein paar Details. Gambino produzierte in der Nähe von Palermo vier Tonnen Heroin im Jahr, das für den amerikanischen Markt bestimmt war, weshalb er später in Italien zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. "Ich singe nur für Warner Brothers", brüstete sich Renis nach einem weiteren Verhör mit dem Richter Imposimato, der Auskunft über die Beziehung zwischen dem Musikproduzenten und dem Bankier verlangt hatte. Zwanzig Jahre später sollte der künstlerische Leiter von Sanremo seine Loyalität gegenüber Mafiosi in einem Interview wiederholen: "Der Richter wollte mich zum Singen bringen, aber ich hatte die Stimme verloren."

Wie Trophäen stelle Renis seine Freundschaften mit den Bossen zu Schau, urteilt Nando dalla Chiesa über das Verhalten des Musikproduzenten, der in den 90er Jahren zu seiner Hochzeit in Mailand in der Limousine von Al Capone vorfuhr. Daraus ergibt sich jedoch eine fatale Botschaft, die signalisiert, dass das Zusammenleben mit der Mafia keineswegs schädlich ist, sondern sogar von Vorteil sein kann: "Die erklärten Freunde der Mafiosi dürfen nicht von der Regierung ein Stück des nationalen Brauchtums als Geschenk erhalten oder eins werden mit dem kulturellen und musikalischen Symbol der italienischen Bevölkerung, welches das Festival von Sanremo, trotz allem, immer noch darstellt. Falls dies doch passieren sollte, müssen wir das Symbol seines Sinnes entleeren und ihm etwas neues entgegenhalten." Mit dem Festival in Mantova wollen dalla Chiesa und seine Mitstreiter beweisen, dass es auch ein Italien der Antimafia gibt, das nicht mit der Cosa Nostra zusammenleben will. Auch wenn der derzeitige Verkehrsminister Lunardi genau dies vor zwei Jahren behauptete: "Mit der Mafia muss man zusammenleben".

Das Festival della Musica di Mantova beginnt am ersten März, einen Tag bevor sich der Vorhang in Sanremo öffnet, und allein das ist schon ein Erfolg. Elf Arbeitsgruppen haben das Festival vorbereitet und mehr als tausend Bewerbungen aus ganz unterschiedlichen Musiksparten ausgewertet. Mantuas Theater, Cafes, Bars, Diskotheken, Kinos und Plätze verwandeln sich in den nächsten Tagen in Bühnen und Plattformen für Musiker, Literaten, Kabarettisten, DJs und Filmemacher. Das Rahmenprogramm umfasst Musikfilme, Veranstaltungen zur Musikgeschichte und Diskussionen über die Krise der Musikindustrie. Die Organisatoren wollen in der Stadt eine "befreite Musikzone" schaffen und ein anderes, unsichtbares Italien erklingen lassen, dem normalerweise in Sanremo die Stimme verweigert wird. Anders als in Sanremo treten die Künstler in Mantua nicht vorwiegend für die Fernsehkameras der Rai auf, sondern in erster Linie für ein breites Publikum aller Altersklassen (hier das Programm). Nach sechs Festivaltagen wird die neunköpfige Jury, bestehend aus Musikern und Kritikern, die besten Musiker unter den dreißig Teilnehmer des Wettbewerbs prämieren. (Hier in der Wochenzeitschrift Diario ein Artikel von Enzo Gentile zur Festivalorganisation, zu Programm und Teilnehmern).

Die staatliche Rai, deren erster Kanal, Raiuno, das Festival austrahlen wird, sieht über die Mafia-gestützte Karriere von Tony Renis großzügig hinweg. Soll Renis sich doch treffen mit wem er will - so der Tenor innerhalb der Fernsehanstalt. Der Direktor von Raiuno, Fabrizio del Noce, verteidigt die Nominierung des neuen Festivalleiters von Sanremo sogar gerne. Schließlich sei auch Frank Sinatra mit dem Mafia-Boss Sam Giancana und mit J.F. Kennedy befreundet gewesen. Allerdings sind Berlusconi und Renis nicht Kennedy und Sinatra. Der amerikanische Präsident distanzierte sich von "the voice", als er von Sinatras zweifelhafter Freundschaft erfuhr. Der italienische Premier wird vermutlich auch Sanremo für sich und seinen Europa-Wahlkampf ausnutzen. Die Showmaster der Rai haben ihn dazu schon eingeladen.