Efeu - Die Kulturrundschau

Entschieden modern

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07.04.2014. Die nachtkritik lernt von Herbert Fritsch und Moliere, dass virtouses Entertainment auch nachdenklich sein kann. Die taz betrachtet die Fotografien Francesca Woodmans aus feministischer Perspektive. Außerdem fühlt sie sich von Sisyphus in Ketten gelegt. Die NZZ bewundert die Eleganz Coco Chanels. Im Standard erzählt der Videofilmer Charles Atlas von den 80ern in New York. Die NYT trauert um Mickey Rooney, die NZZ um Peter Liechti.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 07.04.2014 finden Sie hier

Bühne



Ein Mann züchtet sich ein Pflegekind zur mannsgefällig dummen Ehefrau heran - darum geht es in Molières selten gespieltem Stück "Die Schule der Frauen", das im Hamburger Schauspielhaus in der Inszenierung von Herbert Fritsch zu sehen ist. Für nachtkritik.de notiert Falk Schreiber: "Dass die Inszenierung dabei immer wieder die Ebene virtuosen Entertainments verlässt und ins Nachdenkliche rutscht, tut dem Abend gut. Man kapiert: Das hier ist kein Klamauk, das ist auch nicht die ans Musiktheater angelehnte Abstraktion, zu der Fritsch manchmal, in seinen besten Arbeiten, neigt, das ist eine Geschichte von Unterdrückung und Manipulation, eine Geschichte, in der es zur Sache geht." (Bild: Thomas Aurin)

In der SZ findet es Till Briegleb unterdessen sehr naheliegend, dass sich Fritsch dieses deftig-düsteren Stoffes angenommen hat: "Seine Form der enthemmten Albernheit findet schon immer im Barock-Modus statt. Außerdem sucht Fritsch seine Stoffe gern dort, wo Pathos, Pose und falsche Vorstellungen sich durch gnadenlose Übertreibung in ihrer ganzen Lächerlichkeit preisgeben lassen."

Besprochen werden außerdem Barbara Freys Inszenierung von Carlo Goldonis Komödie "Arlecchino servitore di due padroni" am Schauspielhaus Zürich (Welt), Àlex Rigolas Inszenierung von Roberto Bolaños Roman "2666" beim Berliner Festival F.I.N.D. (NZZ), Mirko Borschts am Maxim Gorki Theater in Berlin aufgeführter "Woyzeck III" (Nachtkritik, Berliner Zeitung), William Forsythes Choreografie "Yes we can't" im Tanzquartier Wien (Standard), Robert Borgmanns in Köln aufgeführte Bühnenadaption von Tarkowskijs "Andrej Rubljow" (FAZ, Nachtkritik) und der Auftakt der Münchner Ballettfestwoche (FAZ, SZ).
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Kunst

In der Sammlung Verbund in Wien sind derzeit 80 zwischen Schauerromantik und Surrealismus pendelnde Bilder der 1981 im Alter von 22 gestorbenen Fotografin Francesca Woodman zu sehen. Diese stoßen bei taz-Rezensentin Brigitte Werneburg auf lebhaftes Interesse: "In all seinen vielen kunst- und medienhistorischen Anleihen und Referenzen - die eigentliche Originalität des Woodman'schen Oeuvres scheint unter feministischer Perspektive noch immer am triftigsten zu benennen zu sein. Denn der weiblich definierte Körper bleibt in ihm zentral. Seine Bewegungen, Gesten und Handlungen, seine Be- und Entkleidungen zu interpretieren, kommt man nicht umhin. Und dann ist es heute vielleicht gar nicht sein Verschwinden, das uns in Woodmans Bildern auffällt, sondern sein unheimliches, weil gegen alle Widerstände siegreiches Erscheinen." (Bild: Francesca Woodman, O.T., aus der Aal-Serie, Rom 1977/78)

Im Standard spricht der amerikanische Videofilmer Charles Atlas über seine Klanginstallation "Dance On The Radio" im Museumsquartier und über die Umbruchszeit der 1980er in New York: "Hm, die Siebziger waren für mich ein ziemlicher Drogennebel. Das hat sich dann in den Achtzigern verändert. Vieles hing mit meinem Lebensstil und mit meinem Alter zusammen und damit, wie Schwule in New York waren. Ich habe diesen Lebensstil länger beibehalten als die meisten anderen. Erst als Leigh Bowery starb, bin ich nicht mehr so viel ausgegangen. Alles, was sehr expansiv, offen und sorglos gewesen war, veränderte sich."

Weitere Artikel: In der Berliner Zeitung ärgert sich Nikolaus Bernau darüber, dass im "Lapidarium" des Nachbaus des Berliner Stadtschlosses nur ansehnliche Teile der Originalsubstanz ausgestellt werden und die wenigen verbliebenen Original-Architekturdekors nicht museal aufbereitet, sondern verbaut werden sollen. Willibald Sauerländer erinnert in der SZ ausführlich an den vor 400 Jahren verstorbenen Maler El Greco.

Besprochen werden die Ausstellung "Marsden Hartley - Die deutschen Bilder" in der Neuen Nationalgalerie Berlin (Tagesspiegel), eine Ausstellung des Filmemacher und Künstler James Benning im Kunsthaus Graz (Standard) und eine Ausstellung der Porträts von George W. Bush im Presidential Library and Museum (Welt).
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Literatur

Gerrit Bartels wirft für den Tagesspiegel einen Blick in die finnische Literatur. Thomas Schmid begleitet für die Welt Siegfried Lenz, der sein Archiv übergibt, nach Marbach.

Besprochen werden unter anderem David Peace' Roman "GB 1984" (Tagesspiegel - mehr), Roberto Savianos Reportage "Zero Zero Zero" über die wirtschaftlichen Dimensionen des Kokainhandels (Jungle World) und Verena Roßbachers "Schwätzen und Schlachten" (SZ).
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Musik

Christiane Rösinger (taz) hat gewisse Vorbehalte gegen das Debütalbum des HipHop-Projekts Sisyphus, hinter dem der Indie-Superstar Sufjan Stevens, der Rapper Serengeti und der HipHop-Produzent Son Lux stecken: "Son Lux, bekannt durch seine orchestralen HipHop-Entwürfe, steuert minimalistische Beats mit den üblichen historischen Spezialgeräuschen bei, darüber legt Serengeti wohl gewollt schwerfällige Raps und Staccato-Reime, während Stevens für ätherische Chorstimmen im Hintergrund sorgt. Dadurch entsteht der altbekannte Himmel-und-Hölle-Gegensatz und zwangsläufig eine irgendwie ungut spirituelle Grundstimmung. Es ist, als hätten die Musiker sich gegenseitig Handschellen angelegt." Hier kann man sich das Album anhören.

Außerdem: Diederich Diederichsen theoretisiert, Karl Bruckmaier fabuliert - so lautet im Tagesspiegel Gerrit Bartels Fazit nach der Lektüre von "The Story of Pop" des letzteren. In der SZ porträtiert Kathleen Hildebrand die Sopranistin Nuria Rial. Eric Pfeil befragt für die FAZ den gerade durch Deutschland tourenden Ennio Morricone unter anderem nach dessen schwieriger Zusammenarbeit mit dem Horrorregisseur Dario Argento.

Besprochen werden ein Konzert von Jonathan Wilson (Berliner Zeitung), das neue Album von Micah P. Hinson ("ein Goldstück", meint Jan Wiele in der FAZ) und eine Doppel-CD mit Holzbläser-Musik von Les Vents Francais (Tagesspiegel).

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Film

In der NZZ schreibt Christoph Egger zum Tod des Schweizer Filmemachers Peter Liechti. In der New York Times schreibt Aljean Harmetz den Nachruf auf den Schauspieler Mickey Rooney und zitiert eine Filmkritik aus den späten 30ern: "Mickey is the Dead End gang rolled into one. He's Jimmy Cagney, Humphrey Bogart and King Kong before they grew up, or knew a restraining hand. Mickey, as the French would understate it, is the original enfant terrible." Hier gründet er mit Judy Garland eine Gang, ähm, Band:



Besprochen werden Nariman Turebayevs "Sunny Days" (taz), eine DVD-Box mit Filmen von Alejandro Jodorowsky (Standard) und Pierce Brosnans neuer Film "A Long Way Down" (SZ).
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Design

Joachim Güntner besucht für die NZZ die Ausstellung "Mythos Chanel" im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg und lernt, dass nur eine "stilprägende Ästhetik" in der Mode für Langlebigkeit sorgt: "Ihr Ideal einfacher Eleganz hat sie zeitlebens kultiviert. Aus figurbetonten Kleidern, die von ihren Trägerinnen ein Korsett verlangten, wurden bei Chanel gerade geschnittene und zurückhaltende Modelle. Variable Rocklängen sorgten für mehr Bewegungsfreiheit. Bequemlichkeit war ihr so wichtig wie eine erstklassige, hochwertige Verarbeitung. In der ersten Schaffensphase wirkte sie damit entschieden modern, in der zweiten - nach der kriegsbedingten Auszeit von 1939 bis 1954 - konservativ. Kritiker mochten nörgeln, sie mache stets das Gleiche. Ein solches Urteil verkennt die Variabilität, die Chanels Entwürfen auch dort zukommt, wo sie einer gemeinsamen Linie folgen. Und es verkennt die Kraft, die darin steckt, gegen die Wechselfälle der Moden einen eigenen Stil zu behaupten."
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