Efeu - Die Kulturrundschau
Grazie der Verkrampfung
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.02.2014. Die Kritiker sind halbzufrieden mit den Entscheidungen der Berlinale-Jury. Die Berliner Zeitung feiert die künstlerische Kraft der Kontroverse am Gorki Theater. Das Burgtheater dürfte diese These im Augenblick bezweifeln, liest man den Standard. Ebenfalls im Standard erzählt Ilija Trojanow von seiner Wanderung durch Cape Cod. Die taz besucht eine Schau des Produktdesigners Marcel Wanders im Stedelijk Museum in Amsterdam.
9punkt - Die Debattenrundschau
vom
17.02.2014
finden Sie hier
Bühne
Im Standard hat sich Ljubiša Tošic wunderbar amüsiert mit Brigitte Fassbaenders Inszenierung von Benjamin Brittens Oper "Albert Herring" an der Wiener Volksoper: "Sie belebt das Einheitsbühnenbild aus gewundenem Steg und Schattenrissen, die eine noble Gesellschaft andeuten (Bühnenbild: Bettina Munzer), mit markanten Figuren: Haushälterin Florence (profund Martina Mikelic) ist eine Grazie der Verkrampfung, Pfarrer Gedge (solide Morten Frank Larsen) ein sein Begehren nur notdürftig verhüllender Voyeur. Und Schulvorsteherin Miss Wordsworth (witzig Birgid Steinberger) gibt sich keusch. Sie hat jedoch einen interessanten Bückweg gefunden, ihren verlängerten Rücken der Ansicht preiszugeben."
Großes Lob auch für die von Marc Sinan modernisierte Inszenierung des türkischen Nationalepos "Dede Korkut" als Singspiel im Berliner Maxim Gorki Theater. In der Berliner Zeitung spinnt sich Dirk Pilz erst ganz und gar in die Musik ein, wird dann aber konkret: Dieser Abend "ist auch ein Glaubensbekenntnis an die Produktivität der Konflikte. Insofern passt er hervorragend ans neue Gorki-Theater und sein Bekenntnis zur Kraft der Kontroversen, dem Schöpfungsvermögen der Dispute: Es gibt kein geglücktes Miteinander ohne den Wagemut, die Gegensätzlichkeiten auszuhalten." (In der taz lobt Ingo Arend "die großartige Inszenierung".)
Am Burgtheater spitzt sich die Krise zu. Erst wurde Vizedirektorin Silvia Stantejsky freigestellt, nachdem ein Defizit von 8,3 Millionen Euro ihre kreative Buchführung aufgedeckt hatte. Dann hat das Burgtheater-Ensemble dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Burg, Georg Springer, und dem Intendanten Matthias Hartmann sein Misstrauen ausgesprochen. Im Interview mit dem Standard wiegelt Hartmann ab: "Man will nicht weiter mit anschauen, wie unsere ehemalige kaufmännische Geschäftsführerin öffentlich hingerichtet und ihr die Schuld an allem gegeben wird. Das verstehe ich. Natürlich schmerzt es, und ich nehme die Sache sehr ernst." Georg Springer "zeigte für die Haltung des Ensembles nur eingeschränkt Verständnis", berichtet Judith Hecht in der Presse.
Außerdem: Im Tagesspiegel macht sich Udo Badelt in einem längeren Text Gedanken über Sinn und Unsinn von Microports auf der Bühne. Fabian Wolff spricht in der Welt mit dem britischen Standup-Comedian Eddie Izzard, der seine hiesigen Shows auf deutsch abziehen wird. Besprochen wird Eric de Vroedts Inszenierung des Hugo-Claus-Stücks "Freitag" am Schauspiel Bochum (nachtkritik, FAZ).
Großes Lob auch für die von Marc Sinan modernisierte Inszenierung des türkischen Nationalepos "Dede Korkut" als Singspiel im Berliner Maxim Gorki Theater. In der Berliner Zeitung spinnt sich Dirk Pilz erst ganz und gar in die Musik ein, wird dann aber konkret: Dieser Abend "ist auch ein Glaubensbekenntnis an die Produktivität der Konflikte. Insofern passt er hervorragend ans neue Gorki-Theater und sein Bekenntnis zur Kraft der Kontroversen, dem Schöpfungsvermögen der Dispute: Es gibt kein geglücktes Miteinander ohne den Wagemut, die Gegensätzlichkeiten auszuhalten." (In der taz lobt Ingo Arend "die großartige Inszenierung".)
Am Burgtheater spitzt sich die Krise zu. Erst wurde Vizedirektorin Silvia Stantejsky freigestellt, nachdem ein Defizit von 8,3 Millionen Euro ihre kreative Buchführung aufgedeckt hatte. Dann hat das Burgtheater-Ensemble dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Burg, Georg Springer, und dem Intendanten Matthias Hartmann sein Misstrauen ausgesprochen. Im Interview mit dem Standard wiegelt Hartmann ab: "Man will nicht weiter mit anschauen, wie unsere ehemalige kaufmännische Geschäftsführerin öffentlich hingerichtet und ihr die Schuld an allem gegeben wird. Das verstehe ich. Natürlich schmerzt es, und ich nehme die Sache sehr ernst." Georg Springer "zeigte für die Haltung des Ensembles nur eingeschränkt Verständnis", berichtet Judith Hecht in der Presse.
Außerdem: Im Tagesspiegel macht sich Udo Badelt in einem längeren Text Gedanken über Sinn und Unsinn von Microports auf der Bühne. Fabian Wolff spricht in der Welt mit dem britischen Standup-Comedian Eddie Izzard, der seine hiesigen Shows auf deutsch abziehen wird. Besprochen wird Eric de Vroedts Inszenierung des Hugo-Claus-Stücks "Freitag" am Schauspiel Bochum (nachtkritik, FAZ).
Design

Film
Die Berlinale-Bären sind vergeben, die Kritiker ziehen Fazit. Zur Überraschung aller gewann nicht Richard Linklaters "Boyhood" (unsere Kritik), sondern der chinesische Beitrag "Black Coal, Thin Ice" (unsere Kritik) den Wettbewerb. Cristina Nord findet das in der taz zwar "traurig", denn Linklater hätte sie diesen Erfolg von Herzen gegönnt, doch kann sie auch mit dem Siegerfilm gut leben. Im Großen und Ganzen fand sie den Wettbewerb aber, von wenigen Glanzmomente abgesehen, enttäuschend: "Bei über 400 gezeigten Filmen - das ist das Gute an der Berlinale - ist immer etwas dabei, das herausfordert, freut, besticht. Und das Stoff zum Nachdenken gibt. "Iranien" wäre ein Beispiel von vielen möglichen. Das ändert nichts daran, dass die Berlinale, möchte sie sich als Filmfestival ernst nehmen, hart an ihrem künstlerischen Profil arbeiten muss."
Frédéric Jaegers Bilanz auf critic.de lautet ähnlich. Zwar verblasst die Erinnerung an Mittelmäßiges, dafür strahlen die wenigen guten Filme des Wettbewerbs umso weiter. Doch ist das Festival mit diesem Kurs schlecht beraten, findet er: "Dem einzelnen Film ist seine schwache Haltung durchaus auch vorzuwerfen, dem Festival aber, das sie vor der Weltöffentlichkeit ausstellt, umso mehr."
Perlentaucher-Filmkritiker Lukas Foerster kann sich in seinem Blog den Rufen nach mehr Konzentration des Festivals überhaupt nicht anschließen: "Im Zweifelsfall würden bei solchen Selbstbeschränkungen genau die falschen Filme wegfallen, übrig bliebe der Kompromiss des kleinsten gemeinsamen Nenners."
Außerdem: In der Berliner Zeitung zeigt sich Anke Westphal unterdessen sowohl mit der Vergabe des Goldenen Bären, als auch mit dem Wettbewerb nahezu rundum zufrieden: Dass manche Filme bei der Kritik durchfallen, sieht sie eher im Image der Berlinale begründet. Mit "Black Coal, Thin Ice" wurde der beste Genrefilm des Wettbewerbs prämiert, meint Jan Schulz-Ojala im Tagesspiegel. Das chinesische Kino ist so westlich wie nie zuvor, schreibt Hanns-Georg Rodek in der Welt und klagt ebenfalls darüber, dass "Boyhood" leer ausgegangen ist. In der NZZ kann sich Susanne Ostwald überhaupt nicht mit den Entscheidungen der Berlinale-Jury anfreunden. Der internationale Rang des Festivals wird nur noch von Forum und Panorama gerettet, ärgert sich Daniel Kothenschulte in der FR. Warum bekam Dominik Graf für seinen großartigen Schiller-Film keinen Preis, fragt enttäuscht Andreas Kilb in der FAZ. Im Berlinale-Blog der SZ ist Paul Katzenberger so halb enttäuscht von den Jury-Entscheidungen.
Außerdem: Für die Berliner Zeitung unterhält sich Knut Elstermann mit Dietrich und Anna Brüggemann, die für ihren Film "Kreuzweg" (unsere Kritik) mit einem Silbernen Bär ausgezeichnet wurden. Das Kino Babylon in Berlin begeht eine nordkoreanische Filmwoche, schreibt Hinnerk Berlekamp in der Berliner Zeitung. Besprochen wird David O. Russells Oscar-Favorit "American Hustle" (Berliner Zeitung).
Frédéric Jaegers Bilanz auf critic.de lautet ähnlich. Zwar verblasst die Erinnerung an Mittelmäßiges, dafür strahlen die wenigen guten Filme des Wettbewerbs umso weiter. Doch ist das Festival mit diesem Kurs schlecht beraten, findet er: "Dem einzelnen Film ist seine schwache Haltung durchaus auch vorzuwerfen, dem Festival aber, das sie vor der Weltöffentlichkeit ausstellt, umso mehr."
Perlentaucher-Filmkritiker Lukas Foerster kann sich in seinem Blog den Rufen nach mehr Konzentration des Festivals überhaupt nicht anschließen: "Im Zweifelsfall würden bei solchen Selbstbeschränkungen genau die falschen Filme wegfallen, übrig bliebe der Kompromiss des kleinsten gemeinsamen Nenners."
Außerdem: In der Berliner Zeitung zeigt sich Anke Westphal unterdessen sowohl mit der Vergabe des Goldenen Bären, als auch mit dem Wettbewerb nahezu rundum zufrieden: Dass manche Filme bei der Kritik durchfallen, sieht sie eher im Image der Berlinale begründet. Mit "Black Coal, Thin Ice" wurde der beste Genrefilm des Wettbewerbs prämiert, meint Jan Schulz-Ojala im Tagesspiegel. Das chinesische Kino ist so westlich wie nie zuvor, schreibt Hanns-Georg Rodek in der Welt und klagt ebenfalls darüber, dass "Boyhood" leer ausgegangen ist. In der NZZ kann sich Susanne Ostwald überhaupt nicht mit den Entscheidungen der Berlinale-Jury anfreunden. Der internationale Rang des Festivals wird nur noch von Forum und Panorama gerettet, ärgert sich Daniel Kothenschulte in der FR. Warum bekam Dominik Graf für seinen großartigen Schiller-Film keinen Preis, fragt enttäuscht Andreas Kilb in der FAZ. Im Berlinale-Blog der SZ ist Paul Katzenberger so halb enttäuscht von den Jury-Entscheidungen.
Außerdem: Für die Berliner Zeitung unterhält sich Knut Elstermann mit Dietrich und Anna Brüggemann, die für ihren Film "Kreuzweg" (unsere Kritik) mit einem Silbernen Bär ausgezeichnet wurden. Das Kino Babylon in Berlin begeht eine nordkoreanische Filmwoche, schreibt Hinnerk Berlekamp in der Berliner Zeitung. Besprochen wird David O. Russells Oscar-Favorit "American Hustle" (Berliner Zeitung).
Kunst
Besprochen werden eine Ausstellung von Arbeiten des Künstlers Yinka Shonibare in der Galerie Blain/Southern in Berlin (Berliner Zeitung), eine Ausstellung im Cartoonmuseum Basel zum Zeichenstil der Ligne Claire (taz) und eine Ausstellung mit Werken des französischen Malers Sébastien Bourdon in der Alten Pinakothek in München (SZ).
Literatur

Außerdem: Nach einer langen Zusammenfassung der Geschichte der Science Fiction kommt der Autor Günter Hack in der FAZ zu dem Schluss, das die Literatur sich von NSA und Konsorten hat austricksen lassen und jetzt einen Neuanfang wagen muss. In der NZZ gratuliert Andrea Köhler dem amerikanischen Schriftsteller Richard Ford zum 70. Geburtstag.
Besprochen werden unter anderem Per Leos "Flut und Boden" (Welt). Mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr.
Musik
Starke Bushido-Müdigkeit bei Michael Pilz in der Welt: Auf den einst von der Pop-Presse hochgejazzten Gangster-Rapper kann man heute eigentlich nur noch ratlos reagieren, konstatiert Pilz in einer ausführlichen Selbstkritik anlässlich des neuen Bushido-Albums. "Was soll man dazu noch schreiben? Dass man seine Pöbelpoesie nicht hören darf wie eine Neujahrsansprache? Dass sich das lyrische Ich des Gangstas jenseits aller Normen stellen muss? Dass Überunkorrektheit noch mehr nervt als Margot Käßmann?"
Einen Rapper etwas anderen Kalibers präsentiert unterdessen Martin Boldt in einem Gespräch für die Berliner Zeitung mit Marteria. Der sagt: "Für mich und meine Clique war Hip-Hop schon immer etwas ganz anderes. Für uns war das ein Mittel, um die Schwächeren zu beschützen, die die ausgelacht wurden, Zuwanderer oder jene, die in der Schule nur einen Pullover hatten. Ein arrogantes Arschloch zu sein, hat für mich nichts mit Hip-Hop zu tun." Hier sein neues Video:
Peter Uehling besucht für die Berliner Zeitung Peter Sellars" Proben für eine Aufführung der Johannespassion des Berliner Rundfunkchors: "Sellars versucht, den menschlich-weltlichen Kern der Passion zu ergründen. Die fließende Bewegung der liegenden Körper zu Beginn ist keine Nachahmung des musikalischen Flusses, sondern die kollektive Qual eines drückenden Alptraums."
Außerdem: Die taz interviewt Peter Maffay zu politischen Themen. In der FAZ bekennt Stromae im Interview, er hasse Entscheidungen: "Ich mag kongolesischen Rumba, Salsa, Rap, Dance Music und französische Chansons. Und das alles findet sich dann auf meinem Album." In der FAZ schreibt Gerhard Rohde über das Stuttgarter Festival für Neue Musik, Eclat.
Besprochen werden neue Jazz-CDs (Welt), eine Dresdner Aufführung von Verdis "Requiem" (Welt), das Berliner Konzert von Bill Calahan (Berliner Zeitung).
Einen Rapper etwas anderen Kalibers präsentiert unterdessen Martin Boldt in einem Gespräch für die Berliner Zeitung mit Marteria. Der sagt: "Für mich und meine Clique war Hip-Hop schon immer etwas ganz anderes. Für uns war das ein Mittel, um die Schwächeren zu beschützen, die die ausgelacht wurden, Zuwanderer oder jene, die in der Schule nur einen Pullover hatten. Ein arrogantes Arschloch zu sein, hat für mich nichts mit Hip-Hop zu tun." Hier sein neues Video:
Peter Uehling besucht für die Berliner Zeitung Peter Sellars" Proben für eine Aufführung der Johannespassion des Berliner Rundfunkchors: "Sellars versucht, den menschlich-weltlichen Kern der Passion zu ergründen. Die fließende Bewegung der liegenden Körper zu Beginn ist keine Nachahmung des musikalischen Flusses, sondern die kollektive Qual eines drückenden Alptraums."
Außerdem: Die taz interviewt Peter Maffay zu politischen Themen. In der FAZ bekennt Stromae im Interview, er hasse Entscheidungen: "Ich mag kongolesischen Rumba, Salsa, Rap, Dance Music und französische Chansons. Und das alles findet sich dann auf meinem Album." In der FAZ schreibt Gerhard Rohde über das Stuttgarter Festival für Neue Musik, Eclat.
Besprochen werden neue Jazz-CDs (Welt), eine Dresdner Aufführung von Verdis "Requiem" (Welt), das Berliner Konzert von Bill Calahan (Berliner Zeitung).
3 Kommentare