9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Kulturpolitik

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9punkt - Die Debattenrundschau vom 25.01.2024 - Kulturpolitik

Im Tagesspiegel-Interview mit Katrin Sohns begrüßt Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, das vorzeitige Aus für die Berliner Antidiskriminierungsklausel, die gegen viele BDS-nahe Organisationen gegriffen hätte: "Der Versuch, einen Teil der Szene durch solche Klauseln zu 'erziehen', führt eher dazu, dass hier von 'Zensur' gesprochen wird." Dennoch seien Boykott-Bewegungen wie "Strike Germany" zu verurteilen. "Sie vertreten eine totalitäre Ideologie, die sie mit allen Mitteln durchsetzen wollen. Sie sind auch nicht an einem Gespräch und einem Weiterkommen interessiert. Aber das ist nur ein Teil. Ein großer Teil der Kunst- und Kulturwelt hat bestimmte Einstellungen eher fraglos übernommen. Dann gehört es halt dazu, dass man Israelis boykottiert oder Israel als Kolonialstaat bezeichnet. Dieser Rhetorik und diesem Weltbild etwas entgegenzusetzen, das sehe ich als eine sehr wichtige Aufgabe. Und ich sehe hier eine ganz große Verantwortung bei Museumsleitungen, Festivalleitungen, Kuratoren, Theaterintendanten. Sie müssen die Expertise haben, sie müssen den Dialog suchen, sie sind die Gatekeeper."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 24.01.2024 - Kulturpolitik

In der taz kommt Ilija Trojanow nochmal auf die inzwischen zurückgezogene Berliner Antidiskriminierungsklausel zurück, die er für eine Einschränkung der Meinungsfreiheit hält: "Sollte es eine solche Definition von Staats wegen überhaupt geben? Das Grundgesetz vertraut auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamstes Mittel gegen Menschenverachtung. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Urteilen zum Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG) festgestellt, dass die gesellschaftliche Willensbildung sich 'staatsfrei', ergo ohne 'lenkende und steuernde Einflussnahme des Staates' und somit 'von unten nach oben und nicht umgekehrt' zu gestalten habe. Mit Denkverboten lässt sich keine humanere, tolerantere Gesellschaft aufbauen. Das bürokratische Einhegen des Diskurses läuft auf eine Entmündigung der Gesellschaft hinaus."

Chialos Klausel war falsch in der Form, niemand darf zu einem Bekenntnis genötigt werden, kommentiert Claudius Seidl, der in der FAZ Chialos Ansinnen trotzdem richtig findet: "Überall dort, wo Künstler sich in den Dienst der einfachheitshalber postkolonial genannten Sache stellen, erklären sie, dass der Begriff der Kunst überwunden werden müsse, weil dieser Begriff nur die geistige und ästhetische Hegemonie des Westens perpetuiere und die Künstler gewissermaßen zu dessen Hofmohren mache. Kaum einer, der sich nicht mindestens als 'Künstler und Aktivist' vorstellt. Kaum einer, der nicht trotzdem den Schutzraum der Kunst für sich beansprucht, jenen Raum, in dem die Kunst mehrdeutig, schwer verständlich, rätselhaft und sinnlos sein darf. Aktivismus zielt aber auf Eindeutigkeit und Verständlichkeit. Aktivismus provoziert Zustimmung oder Gegnerschaft - und dass der Kultursenator einen Aktivismus, der Israel als Apartheidstaat und Siedlerkolonie verleumdet, das Gebiet vom Jordan bis zum Mittelmeer von den Juden befreien und den Terror der Hamas als Befreiungskampf feiern will, dass Chialo also diesen antisemitischen Aktivismus nicht mit Steuergeld fördern möchte, ist nichts, was man ihm vorwerfen müsste."

Die gefeierte Performance-Künstlerin und Musikerin Laurie Anderson soll die Pina Bausch-Professur an der Folkwang Universität der Künste erhalten. Selbstverständlich hat sie sich in deutlichster Weise pro BDS geäußert, weiß Thomas Wessel von den Ruhrbaronen, dem Blog, das die Debatten um Achille Mbembe, die Documenta, aber auch Sharon Dodua Otoo maßgeblich mit angestoßen hatte. Otoo hatte sich nicht nur von ihren früheren Äußerungen distanziert, sondern sich im Blick auf den 7. Oktober auch wirklich damit auseinandergesetzt. Ähnliches schlägt Wessel für Anderson vor. Anderson hatte 2021 zusammen mit Bonaventure Ndikung, Annie Ernaux und 1.100 anderen Prominenten den "Letter against Apartheid" unterzeichnet, darin heißt es "Israel ist die kolonisierende Macht. Palästina ist kolonisiert. Das ist kein Konflikt: das ist Apartheid." Es ist übrigens durchaus von Belang, die antiisraelischen Engagements von Künstlern zu prüfen, denn sie prägen den Betrieb, meint Wessel: "Auf der letzten Documenta, der Ausstellung für zeitgenössische Kunst im Sommer 2022, hat sich gezeigt, wie effektiv diese kaum merkliche Form des Antisemitismus ist. Pro-israelische Künstler werden bereits bei der Programmplanung ausgesiebt, unmerklich fallen sie durchs Netz der Netzwerker."

Warum darf eine "Israelhasserin" auf einem Klimakongress in Hamburg auf großer Bühne sprechen, fragt Frederik Schindler in der Welt. Die Einladung der Klimaaktivistin Zamzam Ibrahim, die BDS-Unterstützerin ist und das Existenzrecht Israels verneint, muss vom Senat unbedingt zurück gezogen werden, fordert Schindler: "Die Hamburger Kulturbehörde schließt sich zwar der Kritik an den antisemitischen Äußerungen Ibrahims an, verweist aber darauf, dass es sich um eine Veranstaltung zu einem anderen Thema handele und die Veranstalter zugesagt hätten, keinen Judenhass zu dulden. Die Behörde des Senators Carsten Brosda (SPD) übersieht dabei, dass Zamzam Ibrahim beide Themen miteinander verbindet. Klimagerechtigkeit sei der 'globale Ruf nach dem Ende der Zerstörung', was 'perfekt zu den Erfahrungen der Palästinenser' passe, sagte die Aktivistin dem Auslandssender des iranischen Antisemiten-Regimes."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.01.2024 - Kulturpolitik

Gute Nachricht für Antisemiten in Berliner Kulturinstitutionen: Sie dürfen nun wieder mit Subventionen rechnen, wenn sie BDS-nahe Künstler beschäftigen und Ereignisse stillschweigend so organisieren, dass sich diese nicht von Israelis oder proisraelischen Kollegen gestört fühlen. Nach Protesten im Berliner Kulturbetrieb (4.000 Unterschriften!) zieht der Berliner Kultursenator Joe Chialo seine Antidiskriminierungsklausel zurück, meldet unter anderen die BZ Berlin. "Als Senator habe er die Argumente ernst genommen. Zudem gebe es juristische Bedenken, dass die Antidiskriminierungsklausel in dieser Form nicht rechtssicher sei. 'Wenn es berechtigte Zweifel gibt, ordne ich meinen Willen der Verfassungsmäßigkeit unter', sagte Joe Chialo. 'Die Klausel wird deshalb vorerst nicht mehr zur Anwendung kommen.'"

Für den amerikanischen Juristen Kenneth S. Stern, der für die IHRA-Definition verantwortlich zeichnet, war Chialos Klausel ohnehin "McCarthyismus", wie er im Gespräch mit Susanne Lenz von der Berliner Zeitung sagt. Überhaupt sei die Definition "oft als stumpfes Instrument missbraucht worden, um jemanden aus vielerlei Gründen als antisemitisch abzuqualifizieren, auch für Kritik an Israel. (…) Vielleicht gar nicht so sehr dafür, Kritik an Israel als antisemitisch zu disqualifizieren, sondern vor allem für propalästinensische Einstellungen. Ich mag mit manchen dieser Einstellungen oder Aussagen nicht einverstanden sein, aber sie antisemitisch zu nennen ist falsch, es ist sogar schädlich. Ich weiß, dass Deutschland eine andere Tradition hat, was Meinungsfreiheit angeht, als die USA, aber das schadet auf jeden Fall einer freien Diskussion, die in einer Demokratie so wichtig ist. Und es schadet dem Kampf gegen Antisemitismus, wenn man ihn auf diese einfachen Bedingungen reduziert, denn man verliert dann die Fähigkeit zu erkennen, was Antisemitismus wirklich antreibt."

Chialo ist "eingeknickt" und steht nun vor einem "Scherbenhaufen", kommentiert Swantje Karich in der Welt: "Die Klausel hat das Gegenteil dessen erreicht, was sie wollte. Eine späte Erkenntnis: Klauseln bekämpfen keinen Antisemitismus! Sie schränken den Austausch ein. Fatal aber wäre, wenn das Scheitern der Klausel nun auch ein Scheitern des Kampfes gegen Antisemitismus wäre. Die Museen, Theater, Institutionen müssen endlich selbst dafür sorgen, 'dass sie die Fähigkeit entwickeln, eigenständig über Antisemitismus zu urteilen'. Diese Worte hatte der Direktor des Deutschen Historischen Museums, Raphael Gross, in seiner Rede vor dem Abgeordnetenhaus Joe Chialo ins Stammbuch geschrieben, als draußen demonstriert wurde. Und er fügte etwas hinzu, was jetzt wirklich wichtig wird: 'Dazu gehört aber notwendigerweise auch Freiheit - auch Freiheit sich in seinem Wissen zu irren.'"

Im Tagesspiegel sekundiert Nicola Kuhn: "Es verdient Respekt, dass Joe Chialo nachgibt und die Stümperhaftigkeit seines Vorstoßes eingesteht. Lob verdient es nicht, das ihm manch Politiker im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses wohl vor allem aus Erleichterung darüber zollte, weil er Berlin damit aus der Kritik holt. Bei der anschließenden Aussprache ließ der Senator kaum erkennen, mit welchen Institutionen er sich denn nun zu beraten gedenkt außerhalb seiner Verwaltung, die ihn so schlecht präparierte."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 19.01.2024 - Kulturpolitik

Jörg Häntzschel atmet in der SZ auf: Die üblichen Verdächtigen haben den "Strike Germany"-Aufruf nicht unterzeichnet, stattdessen wurde ein weiterer Aufruf veröffentlicht, "dem sich jetzt bekannte Mitglieder der Berliner Akademie der Künste angeschlossen haben, darunter Hito Steyerl, Wolfgang Tillmans, Valie Export, Katharina Grosse, Monica Bonvicini, Gregor Schneider und Karin Sander. In betont gemessenen Worten setzt sich der Brief, der von Berliner Kulturverbänden wie dem Rat für die Künste, der Koalition der Freien Szene und dem Netzwerk Berliner Filmfestivals verfasst wurde, mit der im Dezember überraschend verabschiedeten Antidiskriminierungsklausel (ADK) des Berliner Senats auseinander." Die Autoren wenden sich gegen das "persönliche Bekenntnis" zur Antisemitismus-Definition der IHRA: "Die Regelung könne zum Beispiel dazu führen, dass Bürger von Ländern wie Iran oder Libanon, die sich um Stipendien in Berlin bewerben, Erklärungen abgeben müssen, die ihnen in ihrer Heimat schaden. Oder dazu, dass in Berlin lebende israelische Künstler, die ihre Regierung kritisieren, in Berlin keine Förderung mehr erhalten."

In der Welt kann Andreas Rosenfelder derweil nicht fassen, dass Goethe-Institutspräsidentin Carola Lentz im Spiegel bezogen auf die Antidiskriminierungsklausel tatsächlich von "moralischem Imperialismus" und einem "neuen Mc-Carthyismus" sprach (Unser Resümee): "Dass Carola Lentz das nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober erwachte Bewusstsein dafür, dass auch die Kulturszene ihren Anteil am erstarkenden Antisemitismus hat, mit dem Kampfbegriff 'Imperialismus' verleumdet und damit sogar boshaft in die Nähe jenes 'Kolonialismus' rückt, den die postkoloniale und anitjüdische BDS-Szene derzeit Israel unterstellt, ist ein Skandal - und wirft die Frage auf, ob die Präsidentin des Goethe-Instituts einer Krise, in der sich Juden weltweit nicht mehr sicher fühlen können und Deutschland wegen seiner Solidarität mit Israel von Teilen der globalen Kulturszene boykottiert wird, gewachsen ist."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 18.01.2024 - Kulturpolitik

Im Interview mit der Berliner Zeitung spricht Berlins Kultursenator Joe Chialo über seine Projekte, aber vor allem auch über die Antidiskriminierungserklärung, die Künstler künftig unterschreiben sollen, wenn sie sich für öffentliche Gelder in Berlin bewerben. Antisemitismus wird darin mit der IHRA definiert. Den Vorwurf, dass diese Definition ernsthaft umstritten sei, weist er zurück: "Sie findet in etwa 40 Ländern international Anwendung, auf europäischer Ebene, im Bund und seit 2019 auch in Berlin! So umstritten ist sie also nicht. ... Es geht nicht um Gesinnungsprüfung. Ich weiß, es gibt Ängste, die da lauten: Können wir dann überhaupt noch Israels Politik kritisieren, solche Streitgespräche gehören ja auch zu einer Demokratie. Und ich sage: Ja, natürlich! Aber die rote Linie ist überschritten, wenn das Existenzrecht Israels infrage gestellt wird. Das ist unvereinbar mit der Geschichte dieses Landes und vor allem dieser Stadt. Die BDS-Bewegung mit ihrem Boykottaufruf gegen individuelle israelische und antisemitismuskritische Künstler und Wissenschaftler hat die Räume in Deutschland verengt."

Parolen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen, findet auch Christiane Peitz im Tagesspiegel klar antisemitisch. Aber eine Verpflichtungserklärung für Künstler, solche Parolen bei öffentlich geförderten Projekten zu unterlassen, ist ihr unheimlich. Die Kulturinstitutionen müssen selbst einen moralischen Kompass für Antisemitismus entwickeln, meint sie. "Wir müssen also weiter streiten. Über Definitionen und Überzeugungen. Über Werke und ihre möglichen judenfeindliche Inhalte, wie bei den antisemitischen Bild-Stereotypen auf dem Documenta-Großbanner 'Peoples Justice' von Taring Padi. Auch über die Kulturschaffenden: Was sie als Künstler zu sagen haben und vielleicht als Privatpersonen auf Social Media verbreiten. Die Kontrahenten werden sich oft nicht einigen können. Aber das beste Mittel gegen Polarisierung und Spaltung ist immer noch der Dialog. Nicht die vehemente Gegenüberstellung von Positionen, sondern der leidenschaftliche Austausch von Argumenten, Erfahrungen, Geschichten, Geschichte. Raus aus der Bubble, und wenn es noch so anstrengend ist."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 17.01.2024 - Kulturpolitik

Die Berliner Antidiskriminierungsklausel hat viel Wind gemacht (unsere Resümees). Dabei existieren ähnliche Klauseln etwa in Schleswig-Holstein oder in NRW schon seit langem, hat Stefan Laurin bei den Ruhrbaronen herausgefunden: "Der Landtag von Nordrhein-Westfalen fasste schon 2018 einen Beschluss, nachdem dem Landtag und Einrichtungen des Landes untersagt wurde, der BDS-Kampagne Räume zur Verfügung zu stellen. ... Verschiedene Städte haben in der Folge den Beschluss übernommen und auf ihre Verhältnisse angepasst. 'Von Organisationen, die für ihre Arbeit finanzielle Zuwendungen der Stadt Münster beantragen, setzen wir voraus, dass sie sich gegen jeden Antisemitismus einsetzen und das Existenzrecht Israels verbindlich anerkennen,' antwortet Münster auf die Anfrage dieses Blogs."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.01.2024 - Kulturpolitik

Jens Winter setzt sich in der taz nochmal kritisch mit den Protestaufrufen gegen Joe Chialos Antidiskriminierungsklausel auseinander (unsere Resümees). Künftig sollen Veranstalter sich gegen alle Formen der Diskirminierung, darunter israelbezogenen Antisemitismus nach der IHRA-Definition aussprechen, bevor sie in den Genuss von Subventionen gelangen. Es gehe doch nur darum, BDS-Positionen auszuschließen, meint Winter, also Künstler, die fordern, dass andere Künstler boykottiert werden: Aber "keiner der Texte kann präzise benennen, was die schrecklichen Verwerfungen sein sollen, die ein Bekenntnis gegen israelbezogenen Antisemitismus mit sich bringen soll. Warum es überhaupt ein Problem ist, dass der deutsche Staat keine Personen fördern möchte, die einen demokratischen Staat wie Israel delegitimieren wollen, blieb sogar auf Nachfrage unbeantwortet."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 15.01.2024 - Kulturpolitik

Auf Spon kritisiert Carola Lentz, Präsidentin des Goethe-Instituts, die Antidiskriminierungsklausel, deren Unterzeichnung nach einem Beschluss des Berliner Kultursenators Joe Chialo Voraussetzung für Projektförderungen in Berlin werden soll - jedenfalls soweit sie die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zur Grundlage macht. Die ist ihr "viel zu vage" und von einem "moralischen Rigorismus" der die internationale Kulturarbeit in Deutschland und deutscher Instituge im Ausland gefährde. "Dass die Findungskommission für die kommende Documenta kollektiv zurückgetreten ist und offen gefragt wird, ob man in Deutschland überhaupt noch eine solche weltoffene Ausstellung organisieren kann, ist beunruhigend. In dieser polarisierten Situation scheint es mir wichtig, grundsätzlich über die Rolle von Kulturarbeit und Kulturaustausch im politischen Raum nachzudenken. ... Für Kulturarbeit im Inland jedenfalls kann die gesellschaftliche und politische Relevanz von Kunst, etwa im Sinne von 'Demokratieförderung', nicht erzwungen werden, denn es gelten die Grundrechte der Freiheit von Kunst und Wissenschaft." Würde Lentz das auch bei einer reinen Antirassismusklausel sagen?

9punkt - Die Debattenrundschau vom 13.01.2024 - Kulturpolitik

Mark Siemons weist in der FAS darauf hin, dass im Streit um die Berliner Antidiskriminierungsklausel (unsere Resümees) eine entscheidende Frage gar nicht gestellt wurde. Die Hauptfunktion der Klausel sei es nämlich gar nicht, zu verhindern, dass antisemitische Projekte gefördert werden. Wie Siemons einer Erklärung der Pressestelle Joe Chialos entnehmen kann ist "eine Überprüfung des im Förderantrag eingeforderten Bekenntnisses offenbar gar nicht vorgesehen". Vielmehr sei das Ziel "die kulturelle Institution, in diesem Fall den Senat als Verteiler von Fördergeldern, zu entlasten, unangreifbar zu machen, wenn es zu antisemitischen Vorfällen in ihrem Bereich kommt. Sie kann dann immer darauf verweisen, dass die betreffenden Personen ihr gegenüber ja eine von allen relevanten staatlichen Stellen und der überwiegenden Mehrheit der Öffentlichkeit gedeckte Erklärung abgegeben haben; wenn sie dieser dann zuwiderhandeln, sei das nach Maßgabe der staatlich geschützten Kunstfreiheit nicht mehr die Sache der Behörde, die der ihr zuzumutenden Verantwortung durch Einholung einer Selbsterklärung gerecht geworden sei."

In einem Essay auf den "Bilder und Zeiten"-Seiten der FAZ denkt die Schriftstellerin Kathrin Röggla über das Schweigen und (angebliche) Sprechverbote zum Nahost-Konflikt in der Kulturszene nach: "Die ganze Situation zeichnet sich durch eine Fahrigkeit, Hektik und Hysterie aus - und, ja, auch durch Absagen. Meine Hoffnung ist, dass sich das nicht verschärft, sondern wieder beruhigt. Aber es ist auch ein Zeichen dafür, dass es schon lange viel weniger um die Texte selbst geht, um die künstlerischen Arbeiten, sondern um die Frage, wer jetzt zu Wort kommen soll. Es spricht von einer enormen Politisierung der Kunstszene, in der Kunstwerke hauptsächlich als politische Markierung gelten. Das komplexe System der Zeichen, die Melodie und die ästhetische Formierung treten krass in den Hintergrund. Alles ist Symbolpolitik."

Christiane Peitz berichtet im Tagesspiegel von einer angeregten Podiumsdiskussion zur Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in der Staatsbibliothek Unter den Linden. Einig sind sich die Teilnehmer vor allem bei einer Sache, so Peitz - es wird mehr Geld gebraucht: "Die Länder sind willig, wollen keineswegs aussteigen, sondern jeweils drei Millionen Euro mehr zahlen. Aber was ist mit dem Bund, auch angesichts einer Haushaltslücke von 28 Millionen Euro im laufenden Jahr, des überall zu beobachtenden Rückzugs von Kultursponsoren, des bis 2037 geschlossenen Publikumsmagneten Pergamonmuseum und der angespannten Haushaltslage? Hierzu hätte man gerne Claudia Roth gehört, ein Bekenntnis zur Preußenstiftung als bedeutendster gesamtstaatlicher Kulturschatz und Wissenschafts-Konglomerat, mit großem demokratiefördernden Potenzial. Und ein Bekenntnis dazu, dass ihre Behörde für eine bessere finanzielle Ausstattung kämpft."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.01.2024 - Kulturpolitik

"Bekenntniszwänge gehören in Systeme mit Staatskunst", schreibt auf ZeitOnline der Rechtswissenschaftler Ralf Michaels, einer der Wortführer postkolonialen Denkens in Deutschland, der allerdings vor allem rechtliche Einwände gegen die Antidiskriminierungsklausel hat. Er erinnert an die vor über einem Jahr von  Ex-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder verabschiedete und bald zurückgenommene "Extremismusklausel" genannte Selbstverpflichtung, die Förderungsempfänger vor Abruf von Mitteln zu unterzeichnen hatten und die auch heutige Befürworter der Berliner Antidiskriminierungsklausel kritisierten. Auch das Verwaltungsgericht Dresden hielt die Klausel für rechtswidrig: "Das Gericht sah einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot. Gemeint ist: Wenn Antragstellerinnen zu etwas verpflichtet sein sollen, muss der Inhalt ihrer Verpflichtung so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, dass Verpflichtete ihr Verhalten danach richten können." Kritik gab es auch an der "Verpflichtung, ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzugeben. Bedenklich sind solche Bekenntnispflichten nicht etwa deshalb, weil an der freiheitlichen demokratischen Grundordnung etwas problematisch wäre. Vielmehr greift sogar der Zwang, sich zu Grundwerten des Staates zu bekennen, in die sogenannte negative Meinungsfreiheit ein, die Freiheit also, sich einer bestimmten Meinung nicht anzuschließen, eine bestimmte Meinung nicht zu äußern - und das ist rechtfertigungsbedürftig."

"Die deutsche Kulturlandschaft dürfte homogener werden, selbstzentrierter, auch: provinzieller", befürchtet indes Sonja Zekri in der SZ: "Denn so rigoros ist das Vorgehen im Namen der Antisemitismusbekämpfung, so akribisch werden Aussagen durchleuchtet, die manchmal Jahrzehnte zurückliegen, so kalt werden Künstler trotz jahrelanger Zusammenarbeit verabschiedet, dass vielen auch außerhalb Deutschlands der Atem stockt. New York Times und Washington Post, Guardian und Economist berichten alarmiert über das Vorgehen vor allem gegen jüdische Künstler - nicht, weil die Nahost-Debatte in ihren Ländern weniger polarisiert verliefe, sondern weil Deutschland doch als 'Hafen künstlerischer Freiheit' (New York Times) galt."