Die Lagerbildung in der deutschen Kulturlandschaft nimmt neue Formen an, kritisiert die Künstlerin
Hito Steyerl in einem Beitrag zur Veranstaltungsreihe "A Mentsh is a Mentsh" in der Bundeskunsthalle Bonn, organisiert von
Meron Mendel und
Nicole Deitelhoff, den die
FAS heute bringt. Was aber auf der Strecke bleibt, ist die Kunst selbst, so Steyerl: "Künstler oder Künstlerinnen kommen nur vor, falls sie an Skandalen beteiligt sind, ob freiwillig oder unfreiwillig. Konkrete Arbeiten höchstens, sofern sie
einschlägig auffällig werden. Sogar Kuratoren - in den letzten Jahrzehnten die wichtigsten Akteure im Feld - sind nur noch Kulisse. Es geht nicht mehr um die Kunst selbst, was sie kann oder auch nicht, sondern darum,
was sie können dürfen soll. Mittlerweile sind die meisten Akteure der Debatten um Kunstfreiheit ziemlich kunstfern. Es handelt sich vor allem um Bürokraten, Verwaltungs- und Verfassungsjuristinnen, Konfliktforscher,
Antisemitismusexpertinnen und -beauftragte, Anwälte, Historiker, Vertreterinnen verschiedener
Interessensverbände und so weiter, die zunehmend unversöhnlich ihre internen Differenzen im Kulturbereich austragen. Vermutlich auch, weil es viele von ihnen dort
nichts kostet."
In der
Welt erkennt Deniz Yücel nicht nur in der Antidiskriminierungsklausel, sondern auch in der Rede vom
linken Antisemitismus im deutschen Kulturbetrieb vor allem eins: Eine "kollektive Übersprungshandlung", Ausdruck eines "moralischen Rigorismus", der nicht mehr zeige, als dass der Kampf gegen Antisemitismus immer "
woker" werde. Von "Judenhass" im deutschen Kulturbetrieb könne kaum eine Rede sein: "In Deutschland sind diese Tendenzen weit davon entfernt, tonangebend zu sein. Die deutsche
Erinnerungskultur mag allzu ritualisiert sein und die immer gleichen Phrasen wiederholen. Doch vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und als Folge der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um diese - von der Debatte zum Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963-65 über die Kritik der 68er-Bewegung bis zu den erinnerungspolitischen Debatten der 1980er-Jahre - hat sich hierzulande, nicht nur, aber insbesondere in der kulturellen Elite und im Bildungsbürgertum, tatsächlich eine
Sensibilität in Sachen Antisemitismus entwickelt. Vor 40 Jahren war
Jürgen Habermas' Vorschlag aus dem Historikerstreit, nationale Identität nicht aus der Relativierung und Abwehr des Holocaust, sondern aus 'der kritischen Aneignung der eigenen Geschichte' zu beziehen, noch umstritten, heute ist seine Idee
Allgemeingut - genau deshalb beklagen Leute wie Björn Höcke das, was sie 'Schuldkult' nennen." Außerdem, ergänzt Yücel: "Keine andere Linke der Welt ist heute grosso modo
so proisraelisch wie die deutsche."
Nachdem die
Ruhrbarone offengelegt hatten, dass die New Yorker Performance-Künstlerin
Laurie Anderson zu den Unterstützern des "Letter against Apartheid" gehörte (
Unser Resümee), hat sie nun ihre
Gast-
Professur an der Folkwang Universität der Künste in Essen
zurückgezogen, meldet unter anderem Jörg Häntzschel, der in der
SZ von Hochschuldirektor
Andreas Jacob erfährt, er sei nach der Veröffentlichung erschrocken gewesen, habe aber im Gespräch mit Anderson "keinen Grund gesehen, sie auzuladen". "Laurie Anderson selbst ist auf
SZ-Anfrage nicht zu erreichen. Jacob sagt, sie sei '
verstört' gewesen, dass die
Frage ihrer Gesinnung überhaupt Thema wurde, was angesichts einer Unterschrift unter einem offenen Brief im Internet erstaunlich ist. Daraufhin erklärte sie ihren Verzicht auf die Professur. Das wiederum kann Jacob 'total verstehen'. 'Wir waren uns einig, dass Gesinnungsprüfungen nicht gehen.' Abgesehen davon wäre das künstlerische Arbeiten nach dem Anrollen der 'medialen Welle' nicht mehr möglich gewesen."
"Was es mit '
Gesinnungsprüfung' zu tun haben soll, wenn jemand seine Gesinnung öffentlich bekannt gegeben und große Reichweite erzielt hat mit ihr, erschließt sich allerdings nicht",
kommentiert Thomas Wessel bei den
Ruhrbaronen: "Sie ist schon erstaunlich, diese Unfähigkeit des Kunstbetriebs, sich zu sich selber zu verhalten. Die Reaktion von Anderson setzt die Erfahrung mit
Ruangrupa fort, den Documenta-15-Kuratoren, die das Gespräch als eine Form der künstlerischen Selbstverständigung proklamiert, es dann aber mit keinem geführt haben, der nicht ihrer eigenen Meinung war."
Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, hat den vom
Dlf erhobenen Vorwurf, die SPK habe sich selbst Gelder aus "Neustart Kultur" bewilligt (
Unser Resümee), zurückgewiesen, meldet Susanne Lenz in der
Berliner Zeitung: "Diese Unterstellungen weisen wir in aller Deutlichkeit von uns. Um es ganz deutlich zu sagen: Niemand in der Stiftung hat sich hier etwas
vorzuwerfen. Wir haben für viele Bund-Länder-Projekte die Geschäftsführung, aber das bedeutet nicht, dass wir hier nur im Sinne unserer eigenen Häuser agieren." Aber: "Der
Deutschlandfunk teilte am Freitagabend mit: 'Nach nochmaliger Prüfung bleiben wir in Anbetracht der Fakten bei unserer Darstellung.'"