Post aus der Walachei

Was wird aus dem Haus des Volkes?

Von Hilke Gerdes
23.07.2004. Das Bukarester "Haus des Volkes" gehört zu den monströsesten Bauten des 20. Jahrhunderts. Was soll daraus werden?
Nachbarschaften

Einige Hundert Meter hinter dem "Haus des Volkes", dem berühmtesten Gebäude Rumäniens und Mittelpunkt der berüchtigten städteplanerischen Vision Ceausescus für Bukarest, leben Menschen in barackengleichen Bauten. Einstöckig, mit zusammengezimmerten Verschlägen und Zäunen, vielfach ausgebesserten Blechdächern, ohne Wasseranschluss. Wenige Autos rumpeln an diesen Samstagnachmittag über die Kopfstein gepflasterte Straße. Nur noch ein vorbeiziehendes Pferdefuhrwerk fehlt, um zu glauben, fernab von allem Städtischen zu sein.

In der Nähe sehen wir Ruinen, so groß wie Lagerhallen. Und mehrstöckige Häuser. Hier muss früher ein Markt gewesen sein. Geschäftiges Treiben. Viel Leben. Jetzt ist fast kein Mensch auf der Straße zu sehen. Nur eine alte Frau hängt ihre Wäsche auf den Balkon.


Annäherung an die Festung

Wir gehen Richtung "Haus des Volkes". Die helle Fassade des Palastes blendet beim heutigen Sonnenschein. Das in seiner Grundfläche zweitgrößte Gebäude der Welt und das drittgrößte an Bruttogeschossfläche ist in seiner Dimension nicht zu erfassen, wenn man vor ihm steht. Man muss schon um den Palast herumlaufen, will man sie erahnen. Was allerdings wenig Vergnügen bereitet, denn man bewegt sich hauptsächlich auf weitläufigen Brachen, die von Straßen durchschnitten sind.

Und der Palast bleibt auf Distanz. Auf einem Hügel thront er einem Schloss gleich. Und wie ein Festungsglacis wirkt die Fläche um ihn herum, mit der hohen Mauer, die den Spazierenden begleitet. Symbolträchtiger geht es nicht. Das Volk hier unten und der Führer da oben, dem Himmel nah.


Rumänische Perfektion

Nachdem wir endlich den Seiteneingang für Besucher gefunden und die erste Wache passiert haben, geht es hinauf. Empfangen werden wir von einer exorbitanten Pracht an weißem und rötlichem Marmor, an großen Kristallleuchtern. In dieser Halle muss man den Securitycheck passieren, der abläuft wie auf einem Flughafen.

Besichtigen kann man die Räume nur mit Führung. Unser Guide, eine junge Frau, spricht sehr gut Englisch, spult seinen Text aber lustlos ab. Viele und beeindruckende Zahlen werden genannt. Als sei dieses Bauwerk das Heroischste, was Rumänien hervorgebracht hätte. 2.000 Kristallleuchter befinden sich in dem Gebäude, die größten von ihnen wiegen 2 Tonnen; die Teppiche sind bis zu 200 Quadratmeter groß und wurden eigens in den Räumen zusammengenäht. Im Ballsaal hängen 16 Meter lange Samtvorhänge, deren Gold- und Silbermuster von Nonnen in den Moldau-Klöstern gestickt worden sind. Mit Gottes Hilfe zum Glanz des "Haus des Volkes", nur dass nicht das Volk, sondern der Diktator hier Einzug halten wollte.

Alles ist in Rumänien hergestellt worden: die schweren Eichentüren, die Nuss- und Kirschholzintarsien, die vergoldeten Heizungsgitter, die in jedem Saal ein anderes Muster besitzen. Was wir sehen, ist perfekt, und der extreme Gegensatz zur Welt 500 Meter hinter dem riesigen Komplex. Nichts wird erwähnt davon, dass ein Fünftel der Bukarester Altstadt für diesen Bau und die auf ihn zuführende Straße zerstört wurde, darunter das jüdische Viertel, zahlreiche Kirchen und ein Kloster, dass 70.000 Einwohner ihre Häuser verlassen mussten und in sozialistische Wohnblocks gezwängt wurden, dass die dementsprechende Menge an zurückgelassenen Hunden zu hungrigen Straßenkötern mutierte, dass die schlechte Versorgungslage einen historischen Höhepunkt erreicht hatte, während hier über Blattgolddekore sinniert wurde.


Wilde Wiesen

Im Gegensatz zur hermetischern Abriegelung nach außen können wir innerhalb des "Glacis" nach Herzenslust herumlaufen, ohne dass irgendein Wachposten uns zurückpfeift. Die Kameras an den Gebäudeecken lassen unser Kind gewähren, in den verwilderten Grünanlagen Gräser und Blumen zu pflücken. Wir laufen quer über die Wiesen hinunter zum Ausgang. Diese Bewegungsfreiheit mutet uns ebenso merkwürdig an wie die gesamte Anlage in ihrer Mischung aus Repräsentationssucht, Machtdemonstration und äußerlicher Vernachlässigung.

Die Familie Ceausescu selbst kam nicht mehr in den Genuss, hier zu wohnen. Sie hinterließ im Dezember1989 eine Baustelle. Man baute weiter und baut bis heute. Ist man hinten fertig, kann man vorne wieder mit dem Sanieren anfangen, heißt es. Es soll erhebliche bauliche als auch funktionale Mängel geben. Andere wiederum beschwören seine erdbebenresistente Solidität.


Erinnerungsort

Ceausescu hat seinem Land nicht nur eine ruinierte Volkswirtschaft hinterlassen, sondern ein problematisches architektonisches Erbe. Was hält die Bevölkerung von diesem Bauwerk, das als steinerne Allmachtsphantasie des Diktators wie ein Fremdkörper in der Stadt steht? Schon allein der Unterhalt des Gebäudes verschlingt große Summen. Und der vom Palast ausgehende Boulevard, eine durch das historische Zentrum geschlagene Ost-West-Schneise, hat außer einem dichten Verkehrsaufkommen nichts vorzuweisen. Investoren bevorzugen für ihre Büros und Geschäfte Gegenden, die traditionell gewachsen sind. Läuft man in dieser toten Blockgegend herum, fühlt man sich an Riccardo Bofill erinnert, dessen postmoderne Wohnkomplexe wie zum Beispiel in Marne-la-Vallee bei Paris gespenstisch-surreal wirken.

Wie ist mit diesem Bau umzugehen, der die totalitäre Stadtplanung Ceausescus beispielhaft versinnbildlicht? Ist er politisch kontaminiert? Hätte man den Palast des Conducator abreißen sollen, wie es in Berlin mit Honeckers "Palast der Republik" geschieht? Oder ist das die falsche Fragestellung? Muss man ihn als einen "lieu de memoire" in seiner Vielschichtigkeit deutlich machen?

Abgesehen davon, dass der gigantomanische Abriss in Bukarest nicht zu finanzieren wäre, fehlt dafür der politische Wille. Und das ist auch gut so, sagen diejenigen, die nichts davon halten Tabula rasa zu machen mit politisch unliebsam gewordenen Zeugnissen der Geschichte.


Architektur und Identität

"Kein Gebäude ist schuldig", meinte Michael S. Cullen, der Reichstag-Experte und Publizist auf dem Anfang Mai von der Deutschen und Französischen Botschaft in Bukarest organisierten Symposium "Ein Ort der Erinnerung - vom Haus des Volkes zum Parlamentspalast". Er hält eine breite Diskussion über die Bedeutung und Nutzung dieses Baus in ganz Rumänien für notwendig. Dass dürfe auch Jahre dauern, denn es sei doch keine Eile geboten.

Die Wahrnehmung des Gebäudes werde sich nicht durch einmalige Aktionen verändern, wie die des französischen Künstlers Pierre-Alain Hubert. Dieser hatte anlässlich des Europa-Tages am 9. Mai vor dem Gebäude ein Spiel mit Licht und Feuerwerk inszeniert.

Durch einen von oben verordneten Auftrag lasse sich nichts in Bewegung bringen. Weshalb auch die Reichstagsverhüllung von Christo 1995, abgesehen von den nicht vergleichbaren politischen Konnotationen dieser Bauten, nicht übertragbar sei, denn sie war eine reine Privatinitiative, die Jahre brauchte, um den politischen Widerstand zu brechen. Begreift man den Parlamentspalast als ein Emblem Rumäniens, wie Frederick Jameson, so stellt sich die Frage: Was ist Rumänien heute? Wie sieht die neue rumänische Identität aus?

Gemäß der poststrukturalistischen Theorie, nach der Identität gesellschaftlich konstruiert ist, lasse sich nicht von einer rumänischen Identität sprechen, so der Architekturtheoretiker Neil Leach (auf einem anderen Symposium). Die Vielfältigkeit dessen, was Identitäten ausmacht, gelte es auf die Architektur zu projizieren, die wiederum als Spiegel fungiere.

Wie es in ähnlicher Weise beim Reichstag geschehen ist, könnte man hinzufügen. Durch die lange Diskussion und den ungewöhnlichen Umgang mit dem Bau - Menschen sind dort mit Schlafsack und Picknickkorb hingepilgert - verändert sich die Wahrnehmung des Gebäudes. Individuelle Assoziationen verbinden sich mit ihm. Darin steckt ein identifikatorisches Moment. Ähnliches wäre für den Parlamentspalast wünschenswert.


Politiker

Erhellend, was das Thema der Identität anbelangt, und ein Intermezzo echt rumänischer Art war der Beitrag eines Unbekannten aus dem Publikum. Er bedankte sich außerordentlich für die Vorträge, die ihm das Gefühl gäben, zu Europa zu gehören (was eigentlich keiner in Frage gestellt hatte). Und er pries die inzwischen doch positive Konnotation des Gebäudes, denn es sei ja Sitz des Parlamentes, das die demokratischen Gesetze geschaffen habe. Unzweifelhaft war es ein Politiker der Regierungspartei, der hier sprach. Kaum hatte er es gesagt, war er schon entschwunden. Für eine Diskussion stand er nicht zur Verfügung. Insofern ist Cullens Vorschlag einer breiten Diskussion gesellschaftspolitisch interessant, denn sie wäre ein Gradmesser der Demokratisierung in Rumänien.

Entscheidungsträger der Regierung habe ich bisher noch nie auf einem öffentlichen Podium gesehen, wenn es um städtebauliche oder allgemein kulturelle Themen ging. Die Absicht, dieses Symposium passend zum Thema im Parlamentspalast zu veranstalten, wurde wegen einer unangemessen hohen Saalmiete ad acta gelegt. Veranstaltungen dieser Art stoßen nicht gerade auf großes Entgegenkommen bei den Behörden, um es vorsichtig zu formulieren.


Anbindung

Der rumänische Historiker Lucian Boia, der über die heterogene, westlich wie orientalisch beeinflusste Bukarester Stadtentwicklung referierte, hält das "Haus des Volkes" für einen Ausdruck des Minderwertigkeitskomplexes von Ceausescu, der ja bekanntlich aus bescheidenen Verhältnissen stammte und seine Kindheitserinnerung an das kleine Elternhaus mit dem Monumentalbau zu kompensieren versucht habe. Boias Ansicht nach seien diverse Nutzungen des Hauses möglich.

Zuerst müsse eine Verbindung zur Stadt geschaffen werden, denn der festungsartige Charakter des Ceausescu-Baus sei das größte Problem, meinte der französische Bauhistoriker François Loyer.

Den hermetischen Charakter des Baus zu verändern und seine Monumentalität durch die Verdichtung seiner Umgebung abzumildern, war auch der Vorschlag der Hamburger Architekten Meinhard von Gerkan und Joachim Zais. Mit ihrem Projekt hatten sie im Jahre 1996 den ersten Preis im Wettbewerb um die Umgestaltung des "Haus des Volkes" und der von ihm ausgehenden Schneise des Boulevard Unirii gewonnen. Umgesetzt in konkrete Bauvorhaben wurde bis heute nichts.


Erinnerungen

Der heutige Parlamentspalast ist als Erinnerungsort nicht nur mit dem Namen Ceausescus verbunden. Tausende von Arbeitern und Soldaten, 300 (nach anderen Quellen 400) Architekten waren am Bau beteiligt. Zahlreiche Menschen waren Zeugen, wie die Kirche Mihai Voda und das Antim-Kloster transloziert, wie Dutzende weiterer Kirchen und das Kloster Vacaresti zerstört wurden. Zahlreiche Menschen hatten hier ihren eigenen Garten. Was geht in ihrem Kopf vor, wenn sie heute den Palast sehen?

An diesem Punkt setzt Calin Dan an. Der in Amsterdam lebende rumänische Medienkünstler möchte Menschen, die in unterschiedlicher Form mit dem "Haus des Volkes" zu tun hatten, nach ihren Erinnerungen befragen und dieses Material zu einem Video aufbereiten, das der Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Vielleicht kann man es eines Tages in dem Museum für zeitgenössische Kunst zeigen, das im Herbst diesen Jahres dort eingeweiht wird? Und das eine Chance sein könnte, den Ort ohne direkten Einfluss von Politik und Kommerz zu beleben.


Utopien

Der Palast wird heute als Internationales Konferenzzentrum genutzt und Räume können für private Zwecke gemietet werden. Ob die Präsenz von Claudia Schiffer im rosa Chiffonkleid den Dämon Ceausescus vertreiben kann, oder wieder auferstehen lässt, wie der rumänische Historiker Adrian Cioroianu augenzwickernd erzählt, sei dahingestellt. Kosmetikpromotion und Modenschau sind bereits Realität. Warum dann nicht die restlichen Quadratmeter - ein Drittel der Grundfläche soll leer stehen - in eine riesige Shoppingmall verwandeln, die die Neureichen der östlichen Welt in die Walachei lockt? Es wäre die vielleicht ehrlichste Variante, denn der Hunger nach diesen Einrichtungen ist groß.

Machen wir Bukarest zum Shoppingparadies des Ostens! Dazu im Angebot noch eine schön-schaurige Dracula-Tour in Transsilvanien mit abschließenden Beachurlaub am Schwarzen Meer. Oder: Das "Haus des Volkes" wird wirklich zum Haus für das Volk mit Indoor-Spielplatz für Kinder, Halfpipes für die Skater, Ateliers für Künstler, Suppenküche für Bedürftige, Wellness für Gestresste und so weiter. Alles gratis und finanziert von der Soros-Stiftung. Findet sich kein Investor, wird das "Haus des Volkes" - gemäß eines schon vor Jahren geäußerten Vorschlags - in den Dornröschen-Schlaf versetzt. Von grünen Schlingpflanzen überwuchert, leistet es einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Bukarester Luft. Das Parlament kann ja woanders tagen.