Magazinrundschau - Archiv

La Croix

2 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 11.04.2017 - La Croix

Der Shooting Star auf der Zielgeraden der französischen Präsidentschaftswahlen heißt Jean-Luc Mélenchon, der inzwischen in den Umfragen den Konservativen François Fillon und den Sozialdemokraten Benoit Hamon abgehängt hat. Der - nicht wahrscheinliche, aber auch nicht unmögliche - Alptraum aller Kommentatoren wäre eine zweite Runde bei den Wahlen mit Marine Le Pen versus Jean-Luc Mélenchon. Bei dem Linkspopulisten Mélenchon überrascht wie bei Donald Trump oder Beppe Grillo die naive Brachialität seines Narzissmus - Marine Le Pen wirkt dagegen als eiskalte Technikerin der Emotionen. Die Autorin Stéphane Audeguy analysiert in einem interessanten Psychogramm die "zwei Körper" des Jean-Luc Mélenchon und beobachtet etwa bei Fernsehdebatten mit den anderen Kandidaten seine betont einfache Kleidung als "einer aus dem Volk". "Man wird sagen, das sind doch nur Details. Aber die Linke will, dass der Kandidat das Volk verkörpert. Mélenchon ist von der Idee dieser Inkarnation besessen. Er hat zu diesem Thema höchst überraschende Dinge gesagt - hier etwa eine Äußerung aus einer Fernsehsendung: 'Das Wichtigste ist nicht Wahlpolitik, das wichtigste ist das Vaterland - ich weiß, dass ich viele Leute schockieren werde, selbst in meinem eigenen Lager... Für mich ist das republikanische Vaterland die Identität Frankreichs und meine identität. Das bin ich selbst. Ich bin nichts anderes als das republkanische Volk. Das mag prätenziös erscheinen, aber...'"

Zu den Zeichen seiner höheren Sendung gehört auch das kleine rote Blechdreieck, das sich Mélenchon stets ans Revers heftet, bemerkt Audeguy, eine obszöne Aneignung eines Résistant- und Opferstatus aus der Geschichte, wie das Magazin Marianne erläutert: "Wer sich an den Geschichtsuntericht erinnert, wird hierin das Symobl erkennen, das die Nazis benutzten, um in ihren Lagern die politischen Gefangenen zu kennzeichnen: Widerstandkämpfer, Kommunisten, Wehrdienstverweigerer..." Selbst von einem Anhänger befragt, was es mit diesem Abzeichen auf sich hat, "bestätigt er diesen Ursprung: 'Das sind die deportierten Kommunisten.' Und er habe sich entschlossen, es permanent zu tragen, um auf rechte Kritiker zu reagieren, die ihn mit der extremen Rechten vergleichen." Das Zeichen wurde ursprünglich in Belgien als Abzeichen des Antifaschismus gegen neue Rechtsradikale erfunden.

Magazinrundschau vom 10.02.2009 - La Croix

Mit der Chinareise der avantgardistischen Zeitschrift Tel Quel um Philippe Sollers und Roland Barthes geriet das Genre der von kommunistischen Regimes veranstalteten Autorenreise in seine postmoderne Spätphase. Barthes veröffentlichte später seine lauwarmen Notizen von der Reise in Le Monde und wurde von dem Sinologen Simon Leys für das Beschweigen der totalitären Schweinereien scharf attackiert. Nun werden Barthes' ebenfalls recht laue Tagebücher von der Reise veröffentlicht, und Leys setzt in der katholischen Zeitung La Croix nochmal nach: "In der letzten Nummer des Magazine litteraire behauptet Sollers, dass Barthes' Tagebücher eine einst von George Orwell gefeierte Tugend besäßen, den 'alltäglichen Anstand'. Mir scheint im Gegenteil, dass Barthes in dem, was er verschweigt, eine ganz außergewöhnliche Unanständigkeit an den Tag legt. Der Vergleich ist sowieso abwegig (der 'alltägliche Anstand' nach Orwell basiert auf Einfachheit, Ehrlichkeit und Mut. Barthes hatte sicherlich gute Eigenschafen, aber nicht diese). Angesichts der chinesischen Schriften Barthes' (und seiner Kumpel von Tel Quel) kommt mir ein anderes Orwell-Zitat in den Sinn: 'Man muss Teil der Intelligentsia sein, um derartige Dinge zu schreiben, ein gewöhnlicher Mensch wäre dazu nicht dumm genug.'"