Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Literatur

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.01.2024 - Literatur

Die elfte Lieferung zum siebten Band (von irgendwann einmal zehn) des Goethe-Wörterbuchs ist erschienen und für FAZ-Kritiker Frieder von Ammon (und, wie er unterstreicht: "für alle an der deutschen Sprache, ja an Sprache überhaupt Interessierten") ist es ein einziges Fest, sich durch die Lemmata zu schmökern. Unter anderem erfährt der Leser, was es mit in eher niederen Bereichen des Alltags angesiedelten Verben wie "schwummeln", "schwuppen" und "schwippen" auf sich hat. "In ein anderes, gediegeneres Register gehört 'schwanerzeugt': Dieses Wort findet sich in 'Faust II' und ist dort auf Helena gemünzt, die dem griechischen Mythos nach aus der Verbindung von Leda und dem als Schwan in Erscheinung getretenen Zeus hervorgegangen ist. Insofern kann sie von dem Chor der gefangenen Trojanerinnen als 'uns're Schwanerzeugte' angesungen werden. Abgesehen von dem Wohlklang dieses Wortes, der vor allem durch seine prägnante rhythmische Gestalt hervorgerufen wird, die es außerdem für die Verwendung im Vers prädestiniert, ist das Besondere an ihm, dass es wirkt wie die Übersetzung eines homerischen Epithetons. In Wahrheit ist es aber eine Wortbildung Goethes, vielleicht sogar eine Neuschöpfung von ihm, die beweist, dass er, wenn er nur wollte, dichten konnte wie Homer."

Außerdem: Edo Reents führt online bei der FAZ durchs Dickicht der Auseinandersetzungen ums Buddenbrookhaus in Lübeck, bei dem sich Denkmalschutz und Thomas-Mannianer nicht eins werden, derweil der Moder durchs Gemäuer zieht. Besprochen werden unter anderem der letzte Band aus Riad Sattouf Comicreihe "Der Araber von morgen" (Tsp), László Krasznahorkais Erzählband "Im Wahn der Anderen" (NZZ), Susann Krellers "Salzruh" (FAZ) und Nathan Hills "Wellness" (SZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.01.2024 - Literatur

Schier zum Verzweifeln ist Mara Delius von der Welt zumute, wenn sie Annie Ernaux' Unterschrift auf der "Strike Germany"-Petition sieht, die zum Boykott staatlicher Kultureinrichtungen in Deutschland aufruft, um eine Abschaffung der BDS-Resolution zu erwirken. Da Ernaux BDS seit längerem zugeneigt ist, sei die Unterschrift zwar "nicht unbedingt verwunderlich. Verwunderlich ist aber, dass eine Literaturnobelpreisträgerin sich nicht anders äußert als in der maximal bequemen Form einer Unterschrift - warum stellt sie sich keiner öffentlichen Auseinandersetzung? ... Was folgt daraus, wenn sich Autorinnen, ob namhaft wie Ernaux oder eher unbekannt wie Bastašić (unser Resümee) aus dem deutschen Diskurs zurückziehen? Es ist der Ausdruck eines sehr seltsamen Verständnisses von demokratischer Öffentlichkeit. Mehr noch: Wer glaubt, durch Rückzug aus dem Diskurs Politik machen zu können, hat seine Rolle als Intellektuelle nicht richtig verstanden."

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Außerdem: Für Intellectures spricht Thomas Hummitzsch mit dem Wiener Comiczeichner Nicolas Mahler, der seinen Zyklus von Comic-Bearbeitungen literarischer Hochkultur nun mit zwei Veröffentlichungen zu Kafka fortgesetzt hat. Hugo Bettauers 1922 verfasster, zwei Jahre später auch verfilmter Roman "Stadt ohne Juden" schildert im Stil einer warnenden Kolportage ziemlich gut, was beim rechten Geheimtreffen in Potsdam an Vertreibungsfantasien diskutiert wurde, findet Bernd Noack in der NZZ. Ronald Pohl erinnert im Standard an Hugo von Hofmannsthal, der vor 150 Jahren geboren wurde.

Besprochen werden unter anderem Eliot Weinbergers Essay "Engel & Heilige" (Tsp), Ondřej Cikáns "Blühende Dämonen" (Standard), das Christine-Lavant-Lesebuch "Ich bin maßlos in allem" (Standard), Hans Pleschinskis Roman "Der Flakon" (Standard), Lena Hachs "Was Wanda will" (online nachgereicht von der FAZ) und neue Kinder- und Jugendbücher, darunter Philip Waechters "Weltreise mit Freunden" (FAZ).

In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Jan Philipp Reemtsma über Theodor Kramers "Der alte Gelehrte":

"Für meine Schüler halt ich offen Haus;
sie kommen immer noch zu mir heraus ..."

Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.01.2024 - Literatur

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Was für eine schöne Entdeckung, was für eine schöne Fügung, schreibt Dirk Knipphals in der taz: Beinahe hätten die Kurzgeschichten der 1966 bei einem Verkehrsunfall 23-jährig verstorbenen Autorin Diane Oliver den Sprung vom Manuskript in die Öffentlichkeit nämlich nicht geschafft - umso märchenhafter, dass sie nun auf Deutsch zu lesen sind. Sie führen mitten hinein in die frühen Sechziger in die USA: "Die Bürgerrechtsbewegung ist längst aktiv, der Name Martin Luther King fällt in dem Band ausdrücklich, doch die Segregation ist noch nicht überwunden. ... Man darf sich diese Kurzgeschichten nun aber keinesfalls nur als eine Art Geschichtsunterricht vorstellen. Interessant bis heute sind sie vor allem, weil Diane Oliver konsequent auf die individuelle Ebene geht. In der Story 'Nachbarn' lässt sie, erzählerisch geschickt, die Zweifel, Sorgen und Skrupel innerhalb einer Familie aufscheinen, deren Sohn Tommy ausersehen ist, als erstes Schwarzes Kind auf eine bis dahin rein weiße Schule zu gehen." Die Autorin "zeichnet eine Gesellschaft, in der es, wie es an einer Stelle heißt, 'viele Veränderungen' gibt, die aber auch erst einmal psychisch verarbeitet werden müssen. Auch deshalb - und keineswegs nur, weil viele der gesellschaftlichen Probleme bis heute virulent sind - sind diese Geschichten weiterhin relevant. Durch diese Sammlung wird die amerikanische Literatur um eine weitere Stimme reicher."

Außerdem: Marc Reichwein stellt in der WamS Astrid Böhmisch, die neue Leiterin der Leipziger Buchmesse, vor. Andreas Rosenfelder stellt in der WamS Kafka (100. Todestag) und Kant (300. Geburtstag) gegenüber, und fragt sich im Schlaglicht-Duell: Wer von beiden ist eigentlich zeitgemäßer? Robert Misik führt in der NZZ aus demselben Anlass durch Kafkas Leben. Marc Reichwein erzählt in der WamS von seinem Besuch in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig. Queen Camilla macht nun einen Literaturpodcast, meldet Alexander Menden in der SZ. Susanne Lenz erinnert in der Berliner Zeitung an den Schriftsteller Walter Kaufmann, der dieser Tage 100 Jahre alt geworden wäre. Judith von Sternburg blickt für die FR aufs Jahr 1774, als Goethes "Werther" erschien.

Besprochen werden unter anderem Sigrid Nunez' "Die Verletzlichen" (taz), Benjamín Labatuts "Maniac" (taz), Bai Juyis, Bashô Matsuos und Kamo no Chômeis Lyrikband "Die Klause der Illusionen" (NZZ), Stephan Wackwitz' "Geheimnis der Rückkehr" (SZ) und Natascha Wodins Erzählband "Der Fluss und das Meer" (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.01.2024 - Literatur

Besprochen werden unter anderem Sigrid Nunez' "Die Verletzlichen" (FR), Simone Hirths "Malus" (online nachgetragen von der FAZ), die im Fischer-Verlag erschienene Textsammlung "Worte in finsteren Zeiten" (Freitag), Maurice Zermattens "Kräuterarzt" (TA), ein Wiener Kafka-Abend von Thomas Maurer (Standard), Jürgen Flimms postum veröffentlichte Autobiografie (SZ) und Barbara Beuys' "'Die Heldin von Auschwitz'. Leben und Widerstand der Mala Zimetbaum" (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.01.2024 - Literatur

Darauf, dass Annie Ernaux den Aufruf "Strike Germany" unterstützt, der fordert, staatliche deutsche Kultureinrichtungen zu boykottieren, weil die Bundesrepublik in Sachen Palästina-Solidarität sich zu wenig hervortue, hatte Claudius Seidl schon vor ein paar Tagen in der FAZ hingewiesen (unser Resümee). Nun ziehen auch die übrigen Feuilletons nach: Laut Suhrkamp hat die Literaturnobelpreisträgerin allerdings auch weiterhin nichts dagegen, wenn ihre Bücher etwa durch Theateradaptionen mittels staatlicher Förderungen unterstützt werden, schreibt Gerrit Bartels im Tagesspiegel. "Konsequent ist das nicht. ... Oder unterscheidet Ernaux sehr genau, welche Theater und Verlage öffentlich finanziert werden und welche nicht? Eher nicht, muss man vermuten. Ihr scheint es mehr um die Idee eines Boykotts zu gehen, um eine bloße Solidaritätsadresse. Vielleicht ist es trotz ihrer politischen Einstellung auch einfach eine gewisse Nonchalance, mit der Annie Ernaux auf Boykott-Anfragen reagiert. Sie sagt zu, danach schert sie sich nicht weiter drum. Nur gut, dass ihre Bücher umso vieles stringenter sind."

Judith von Sternburg weist in der FR auf die verbale Drastik des Aufrufs hin, der vom Hamas-Angriff am 7. Oktober zwar nicht spricht, aber sich ein Ausmerzungsszenario für Palästina-Solidarität in Deutschland und einen auch von den hiesigen Medien angeblich getragenen und vorangetriebenen "Neofaschismus" herbeifantasiert. Dass Ernaux sich diese Drastik per Unterschrift zu eigen macht, findet Iris Radisch in der Zeit sehr enttäuschend: "Diesen hetzerischen Sprachgebrauch sind wir, Pardon, liebe Annie Ernaux, eher von Putin gewohnt, wenn er über die Ukraine spricht. Oder von Pegida, wenn die deutsche Presse verleumdet werden soll." Und "niemand in Ernaux' schönem Heimatland hat sich bisher an ihrem Aufruf zum Boykott deutscher Kulturinstitutionen gestört. Warum interessiert Paris sich nicht dafür, dass die französische Literaturnobelpreisträgerin die deutsche Loyalität zu Israel zum Anlass nimmt, das Nachbarland als neofaschistisch zu diffamieren?"

Nicht nur Claudia Roth blickt derzeit mit etwas Sorge auf die Frankfurter Buchmesse im Oktober, die Italien als Gastland willkommen heißt, wo allerdings derzeit bekanntlich eine krypto-faschistische Regierung das Sagen hat, die den Auftritt für eigene Zwecke nutzen könnte, fürchtet Marc Beise in der SZ. Deshalb habe sich Roth "nach ihrer Rom-Reise vorgenommen, die weitere Planung für die Buchmesse auf Wiedervorlage zu halten. Buchmesse-Chef Juergen Boos dagegen ist ganz entspannt und weist auf die gewachsene Autonomie seiner Messe und des sie tragenden Literaturbetriebs hin. Das italienische Programm machen die Buchmesse, die deutschen Verlage mit ihren italienischen Autoren und die italienischen Verlage, die mehrheitlich eher links stehen."

Weiteres: Willi Winkler ist in der SZ ziemlich genervt vom Gute-Laune-Modus, in dem das Goethe-Institut per Pressemitteilung das Kafka-Jahr 2024 annonciert und darin davon schwärmt, dass man mit ganz neuen crossmedialen Konzepten Kafka jetzt aber mal so richtig durchsetzen werde. Besprochen werden unter anderem Jean Amérys Essayband "Der neue Antisemitismus" (FR), Nathan Hills "Wellness" (Zeit), Barbi Markovićs "Minihorror" (FAZ) sowie Navid Kermanis und Natan Sznaiders Mailwechsel "Israel" (NZZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.01.2024 - Literatur

Bereits Ende Oktober hatte die in Berlin lebende Schriftstellerin Lana Bastašić im Guardian erzählt, dass man in Deutschland mit Palästina nicht solidarisch sein dürfe. Nun verlässt sie ihren Verlag S.Fischer, weil dieser sich, auch wegen seiner jüdischen Gründungsgeschichte, kürzlich in einer Banderole auf seiner Website mit Israel solidarisiert und Antisemitismus angeprangert hatte. "Der Verlag mache sich mitschuldig daran, dass jeder einzelne Muslim in Deutschland seine Deportation fürchten müsse", fasst Claudius Seidl in der FAZ das auf Instagram veröffentlichte Statement der Autorin zusammen. "Solche dummen Sätze schaden vor allem der palästinensischen Sache. Lana Bastašić beendet ein Gespräch, das, nach dem Guardian-Artikel, hätte beginnen müssen." Auch Gerrit Bartels findet es im Tagesspiegel "verblüffend, was Bastašić in die zwar recht allgemein gehaltenen, aber gut gemeinten Zeilen des S. Fischer Verlags alles hineinliest." So "bleibt einmal mehr die Verwunderung darüber, dass hier eine Schriftstellerin, und zwar ausgerechnet eine Schriftstellerin, sehr leichtfertig mit Worten wie 'Genozid', 'ethnischen Säuberungen' und 'Zensur' umgeht."

Auch Felix Stephan von der SZ könnte verzweifeln: "Zwei erinnerungspolitische Lager, die jeweils beanspruchen, den Lehren aus dem Holocaust verpflichtet zu sein, stehen einander in Gerichtshöfen und öffentlichen Meinungsarenen gegenüber, ausgerüstet mit impermeablen Begriffsapparaten, die von diesem Umgang nicht komplexer und raffinierter werden. Die Begriffe 'Genozid' und 'Zensur', 'Apartheid' und 'Kolonisator' sind im Moment vor allem als diskursive Grenzposten im Einsatz. Dass so nur reden kann, wer nicht wirklich nachdenken will, wurde inzwischen vielfach angemerkt. Eine Aufgabe der Schriftsteller könnte in dieser Lage sein, den Worten eine Bedeutung zu verleihen, die nicht bloß im Gesprächsabbruch besteht."

Besprochen werden unter anderem Adam Thirlwells "Die fernere Zukunft" (FR), Natascha Wodins Erzählungsband "Der Fluss und das Meer" (SZ), Jan Peter Bremers "Nachhausekommen" (FAZ), Bernhard Schlinks "Das ewige Leben" (Welt) und Giovanni Catellis "Camus muss sterben" (NZZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.01.2024 - Literatur

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Goethes Wohnhaus am Weimarer Frauenplan soll saniert werden, berichtet Hubert Spiegel in der FAZ. Die dafür fälligen Millionen aus der Kulturpolitik sind gesichert, Bonusprojekte sollen mit Spenden finanziert werden. Bleibt allein die Frage nach dem Wie und also die konservatorische Gretchenfrage: "Wie hast du's mit der Authentizität?" Mit der "Legende vom Wohnhaus letzter Hand, das den Besucher im selben Zustand empfängt, in dem Goethe es 1832 verlassen hat", möchte Projektleiterin Petra Lutz jedenfalls "auf behutsame Weise aufräumen. Sie will zeigen, welche Eingriffe im Lauf der Jahrzehnte vorgenommen wurden, welche Kompromisse geschlossen, welche Improvisationen vorgenommen wurden. Nicht von allen Räumen des Hauses ist die Funktion überliefert, andere wie etwa die Mansardenzimmer galten als nicht repräsentativ genug, um sie für das Publikum zu öffnen. Lutz will dies ändern und möchte auch die immer noch bestehenden Wissenslücken ansprechen, um zu zeigen, dass Goethes Wohnhaus immer auch Gegenstand einer Forschung war, die keineswegs abgeschlossen ist."

Außerdem: Der Standard bringt ein Gedicht von Michael Krüger. Besprochen werden unter anderem Stephan Wunschs "Verrufene Tiere" (FR) und Sigrid Nunez' "Die Verletzlichen" (SZ). Außerdem sammelt das Deutschlandradio in diesem Überblick alle seine Buchkritiken des Monats als PDF.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.01.2024 - Literatur

Der russische Dichter Lew Rubinstein ist den Folgen eines Verkehrsunfalls erlegen, den er vor einigen Tagen in Moskau erlitten hat. Schon in der "tiefsten Agonie des Sowjetimperiums" setzte er sich zur Wehr, erinnert Ronald Pohl im Standard, "ein dichtender David allein gegen den Goliath der Sowjetmacht". Rubinstein "setzte der Flut an absurden Vorschriften - Ausdruck der allgegenwärtigen Gängelung jedes Einzelnen - eine Vielzahl von Karteikarten entgegen. Die auf ihnen verzeichneten Sätze glichen oft nur Vermerken: Abwandlungen einer Wirklichkeit, die - trotz sozialistischer Wissenschaftshörigkeit - keinerlei Überprüfung standhielt, am wenigsten der moralischen." Aber seine "feine poetische Ironie nahm es auch mit Finsterlingen wie Russlands Präsident Wladimir Putin auf".

Es ist "ein unersetzlicher Verlust", schreibt Kerstin Holm in der FAZ. "Rubinstein war seit Langem ein engagierter öffentlicher Intellektueller, wie es sie in Russland kaum noch gibt. Er bezeichnete die russische Großinvasion in die Ukraine als verbrecherischen Krieg, kritisierte die Verfolgung von Landsleuten mit nichttraditioneller sexueller Orientierung und die Blockade kritischer Nachrichtenportale. In Beiträgen für westliche Medien verglich er Moskau, wo das normale Leben weitergeht, zugleich aber gezielt Menschen verhaftet und misshandelt werden, mit Paris unter NS-Besatzung. Er sagte, im Gegensatz zu den Untaten im Sowjetstaat fühle er sich für die des Putin-Regimes mitverantwortlich."

Weitere Artikel: Die Welt unterhält sich mit dem Schriftsteller Volker Kutscher darüber, dass die Potsdamer Villa, in der laut jüngster Correctiv-Recherchen ein Vernetzungstreffen Rechtsextremer stattgefunden hat, als Kulisse für die auf Kutschers Rath-Krimis basierende Serie "Babylon Berlin" - passenderweise als Hauptquartier für einen mafiösen Gangster - diente. Maxim Biller erinnert sich in der Zeit an seine Begegnung mit dem israelisch-arabischen Schriftsteller Sayed Kashua. Der Übersetzer Juri Durkot schreibt in der Welt einen Nachruf auf den an der Front gefallenen, ukrainischen Dichter Maksim Kryvtsov. Im Standard widmet Attwenger-Sänger Markus Binder der Kulturhauptstadt Bad Ischl diverse "Gstanzln".

Besprochen werden unter anderem Iris Wolffs "Lichtungen" (taz, FR, online nachgereicht von der FAZ), Bernhard Schlinks "Das späte Leben" (Welt), Inger-Maria Mahlkes "Unsereins" (NZZ), Bodo Kirchhoffs "Seit er sein Leben mit einem Tier teilt" (SZ) und neue Hörbücher, darunter Shenja Lachers Lesung von Jonas Jonassons "Wie die Schweden das Träumen erfanden" (FAZ).

In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Gisela Trahms über Georgi Gospodinovs "Tee mit Sahne".

"Was machst du, fragt sie. Einen netten
englischen Morgen mache ich mir ..."

Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.01.2024 - Literatur

Jolinde Hüchtker erkundigt sich für die taz im Literaturbetrieb, wie es gelingen kann, über die eigene Familie zu schreiben, ohne Angehörige bloßzustellen. Einige immerhin können um Erlaubnis fragen, anderen fehlt diese Möglichkeit, sogar wenn etwa die Eltern noch leben: "Die Mutter der Autorin Maren Wurster ist schwer dement, sie versteht nicht mehr, worum es in dem Buch ihrer Tochter geht. 'Papa stirbt, Mama auch' heißt es, ein Porträt der erkrankten Eltern, das die Sorgearbeit in den letzten Wochen und Jahren eines Menschenlebens sichtbar macht - explizit, aber würdevoll, eine Gratwanderung. Die Schriftstellerin lässt bis heute die Frage nicht los, ob sie das alles aufschreiben durfte." Autofiktion "ist oft Literatur, die meint, etwas erzählen zu müssen, das über einen selbst hinausgeht, etwas wie Klasse, Frausein, Migration oder Sterben. Wann es Schonungslosigkeit braucht, um dieser Dringlichkeit gerecht zu werden, welches Detail ein notwendiges Bekenntnis ist und welches vor dem öffentlichen Blick verborgen bleiben soll, damit hadern auch Schriftsteller. Also dichten einige etwas hinzu oder lassen etwas weg, um rücksichtsvoll zu sein, aber gleichzeitig das tun zu können, was Sylvie Schenk nennt: 'Maman aus dem Nichts retten.'"

Für Aufsehen sorgt derzeit eine Online-Initiative namens "Strike Germany", die deutsche Kulturinstitutionen dafür abstrafen will, wenn sie bei der Palästina-Solidarität nicht eifrig genug waren. Über 600 Künstler haben den Aufruf bereits unterschrieben und sich damit dazu verpflichtet, mit keinen staatlich finanzierten deutschen Kultureinrichtungen mehr zusammenzuarbeiten. "Der prominenteste Name ist Annie Ernaux, französische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin", merkt Claudius Seidl in der FAZ an. "Ihr deutscher Verlag, Suhrkamp, bestätigt, dass sie unterschrieben hat. Ein großer Schock ist es aber nicht. Aus ihrer Sympathie für die Boykottbewegung BDS hat Annie Ernaux nie ein Geheimnis gemacht. ... Ernaux, sagt der Verlag, möchte die Veröffentlichung und Inszenierung ihrer Texte nicht boykottieren."

Außerdem: Reimar Paul spricht für die taz mit Pastor Martin Weskott, der einst zahlreiche Bücher auf ostdeutschen Müllkippen gerettet hat und jetzt eine alternative Literaturgeschichte der DDR schreibt. Dazu passend befasst sich Alexa Hennings im Literatur-Feature für Dlf Kultur mit dem "Archiv unterdrückter Literatur in der DDR" in Berlin. Dirk Knipphals wirft für die taz einen kurzen Blick auf den Shitstorm, der über Andrea Paluch - der Ehefrau von Robert Habeck - für deren Kinderbuch "Die besten Weltuntergänge" ausgekübelt wird. Im FAZ-Gespräch mit Jan Wiele erzählt der Schriftsteller Jan Faktor unter anderem von seiner Zeit als Gebirgsträger in der slowakischen Tatra, wie er sich in der Ostberliner Literaturszene in den Achtzigern tummelte und schließlich Deutsch als eigene Literatursprache für sich entdeckte. Katharina Bracher und Michael Schilliger sprechen für die NZZ mit der britischen SF-Autorin Naomi Alderman über Weltuntergänge, Überlebensfragen und den Zweifel an der romantischen Liebe. Der Schriftsteller Urs Mannhart schwärmt in der NZZ von der Zufriedenheit, die er in sein Leben mitnimmt, wenn er zwei Tage die Woche auf einem Bauernhof als Landwirt arbeitet.

Besprochen werden unter anderem Haruki Murakamis "Die Stadt und ihre ungewissen Mauern" (Zeit, FR, WamS), neue Comicveröffentlichungen zu den 100. Geburtstagen der Comiczeichner Morris und André Franquin (taz), Qiu Miaojins "Letzte Worte vom Montmartre" (taz) und Iris Wolffs "Lichtungen" (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 12.01.2024 - Literatur

Erstmals seit 33 Jahren wird es im Januar in der spanischen Zeitungen El País keine Kolumne mehr von Mario Vargas Llosa geben, schreibt Paul Ingendaay online bei der FAZ: Der Literaturnobelpreisträger zieht sich aus dem Tagesgeschäft zurück, was Ingendaay zum Anlass für einen künstlerischen Nachruf zu Lebzeiten nimmt, zumal der Schriftsteller wohl auch keinen Roman mehr schreiben werde. Hier geht "nicht nur ein furioser Schriftsteller mit dem Ethos eines Schwerarbeiters" aus der Öffentlichkeit, sondern "auch einer der ganz wenigen kosmopolitischen Intellektuellen der Gegenwart." Was ihm als in Peru, dem Land der unzähligen Kartoffelsorten, Geborenen nicht direkt in die Wege gelegt war: "Vargas Llosa musste sich also befreien, und diesen Prozess hat er mehrmals in seinem Leben mit Ehrgeiz und Entschlossenheit wiederholt." Doch "kann man wirklich aufhören, wurde er kürzlich gefragt, Schriftsteller zu sein? 'Nein', lautete seine Antwort, 'man träumt weiterhin Romane, auch wenn man aufhört, sie zu schreiben.' Einen wie ihn, der alles aus seinen Möglichkeiten gemacht hat, der nie ängstlich, opportunistisch oder bequem war und immer den besten Anzug trug, wird es schwerlich wieder geben."

Besprochen werden unter anderem Haruki Murakamis "Die Stadt und ihre ungewisse Mauer" (FR, SZ), Iris Wolffs "Lichtungen" (Tsp), Jörg Herrmanns im Kino gezeigter Porträtfilm "Sonntagskind" über die Schriftstellerin Helga Schubert (taz), Virginia Woolfs Biografie von Roger Fry (Tsp). die deutsche Erstausgabe von Charles Willefords frühem Krimi "Filmriss" aus dem Jahr 1960 (Standard), Michael Maars "Leoparden im Tempel. Portraits großer Schriftsteller" (Standard) und Stefanie Sargnagels "Iowa" (taz)..