Efeu - Die Kulturrundschau

Im Falschen steckt viel Wahrheit

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25.07.2014. Die NZZ tanzt zum Kling-Klong kongolesischer Likembes. SZ und Freitag verlieben sich in die tröstliche Ironie Friedrich Liechtensteins. Die FAZ betrachtet die Jungswelt von Gursky, Rauch und Wall. Die Welt lässt sich von Diao Yinans Film Noir "Feuerwerk am helllichten Tag" in den harschen Alltag Chinas versetzen. Mehr Krallen hätte sich die Presse von HK Grubers Oper "Geschichten aus dem Wiener Wald" gewünscht.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 25.07.2014 finden Sie hier

Musik

Bastard-Pop, Trance oder Congotronic - man kann es nennen wie man will, die kongolesischen Likembe-Orchester machen in jedem Fall fantastische Musik, schwärmt Jonathan Fischer (NZZ), bei dem die neue CD der Kasai Allstars aus den Boxen dröhnt. "Likembes heißen die Fingerklaviere, deren Eisenlamellen meist aus alten Autofedern zurechtgeschmiedet werden und die sich in Kinshasa als Träger durchdringender Basslinien und Obertöne durchgesetzt haben - das von Boxentürmen verstärkte Kling-Klong übertönt selbst das Hupen der Sammeltaxis und das Aufheulen altersschwacher LKW. Europäische Plattenfirmen vermarkten die Likembe-Orchester inzwischen unter dem Stichwort "Congotronics"."

Hier eine Kostprobe:



Friedrich Liechtensteins Album "Bad Gasteig" erweckt in Jens-Christian Rabe (SZ) überaus zärtliche Gedanken zu dem neuen Superstar aus Berlin-Mittes Bohème: "Ironie, insbesondere die von Friedrich Liechtenstein, ist (...) die freundlichste, gütigste und tröstlichste Form des Widerstands. Und Entertainer wie Friedrich Liechtenstein sind nichts weniger als Boten einer besseren Welt." Holger Schulze beschreibt im Freitag unterdessen die Sangeskunst Liechtensteins: Dieser "erzählt, gurrt, grunzt, croont, zwischen Kopfstimme und Barry-White-Bass, er stöhnt, säuselt, pfeift, tändelt, fistelt, knödelt. ... Die Pop-Persona Friedrich Liechtenstein ist ein soignierter Troll der Kanäle, ein Flat Eric, ein SpongeBob und Pan Tau."

Außerdem: Bekümmert muss Jörg Scheller vom Tagesspiegel beim Treffen mit Motörhead-Sänger Lemmy Kilmister feststellen, dass die für ihren Alkoholkonsum berüchtigte Metallegende mittlerweile aus gesundheitlichen Gründen auf Limonade umgestiegen ist. Doch Kilmister bleibt sich auf anderem Feld treu: "Obwohl [seine] Lebensfreude legendär ist, ist der Kern seines Weltgefühls ein apokalyptischer." Für den Tagesspiegel hat sich Andreas Hartmann mit der feministischen Berliner Garagenrockband Jolly Goods getroffen. Hengame Yaghoobifarah porträtiert in der taz die Folkband First Aid Kit.

Besprochen werden ein Neil-Young-Konzert in Wien (Presse, Standard), eine Aufführung von Max Regers "Requiem" mit Placido Domingo und den Wiener Philharmonikern unter Daniel Barenboim in Wien (Presse, Standard) zwei neue Alben von Brian Eno und Karl Hyde (Berliner Zeitung), ein Dokumentarfilm über das Metalfestival in Wacken (Zeit, Tagesspiegel), das neue Album des Wiener Underground-Musikers Philipp Quehenberger (Standard) und Islajas Album "S U U" (taz).
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Kunst


Bild: Jeff Wall, Men move an engine block, 2008, Courtesy: der Künstler

Was haben Andreas Gursky, Neo Rauch und Jeff Wall gemeinsam? Warum werden sie in einer Ausstellung gezeigt? Die Schau im Kunstverein Kestnergesellschaft kann es Niklas Maak (FAZ) jedenfalls nicht erklären. Er sieht: "Einen Kosmos voller Schornsteine, Geräte und Supermänner, eine Jungswelt mit bösen dicken Müttern und unerreichbaren Mädchen, die ein interessantes Panorama auch für Psychoanalytiker bieten würde. Die vielsagendsten Werke aber sind Museumsbilder, die Gursky hier vorstellt. Lehmbrucks "Gefallener" verschwindet dunkel im Hintergrund, im Licht erscheint Hirsts Hai, die immer gleiche globale Kunst, die in Privatsammlungen wie in Museen alles andere von der Bühne drängt. Was hier sichtbar wird, ist die marktkonforme Zukunft der Museen, jetzt auch in Hannover."

Außerdem: Joachim Güntner sieht für die NZZ einem Roboter der Künstlergruppe Robotlab zu, wie er im Jüdischen Museum Berlin die Tora kopiert.


Walker Evans: Girl In French Quarter. New Orleans, Februar - März 1935. © Walker Evans Archive, The Metropolitan Museum of Art

Besprochen werden die Walker-Evans-Schau im Berliner Gropius-Bau (Berliner Zeitung, FAZ), eine Ausstellung der Arbeiten von Gianfranco Baruchello in der Sammlung Falckenberg in Hamburg (taz), eine Ausstellung finnischer Kunst im Kunstverein in Frankfurt (FR), die Ausstellung "Macht. Wahn. Vision" im Arp-Museum Bahnhof Rolandseck (Tagesspiegel)Simon Dennys Installation "New Management" im Portikus in Frankfurt (FR) und die Ausstellung "Menschliches, Allzumenschliches" zur Malerei der Neuen Sachlichkeit mit Werken u.a. von Helmut Kolle, Lotte Laserstein und Herbert Ploberger im Münchner Lenbachhaus (SZ).
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Film



In der Welt legt Anke Sterneborg dem Kinobesucher Diao Yinans mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Film Noir "Feuerwerk am helllichten Tag" (Black Coal, Thin Ice) ans Herz: Es ist "eine erstaunlich wahrhaftige und durchaus kritische Dokumentation des harschen Alltags im modernen China", schreibt sie. Viel mehr als für den Krimi "interessiert sich Diao Yinan für das chinesische Lebensgefühl, für die ernüchternden Arbeitsbedingungen in der Kohleverarbeitung, in einer Reinigung, einem Friseursalon, einer Suppenküche, für die armseligen Vergnügungen in heruntergekommenen Bars, Poolhallen und Tanzklubs oder in einem Eisstadion, das in die Leere der Landschaft ausfranst, in der sich wie in Trance eine schöne Frau verliert." (Hier auch unsere Filmkritik bei der Berlinale)

Weitere Artikel: In der Berliner Zeitung porträtiert Marcus Weingärtner die Stummfilm-Organistin Anna Vavilkina, die im Berliner Kino Babylon an den Tasten sitzt. Und Philipp Bühler gratuliert dem Berliner Undergroundfilmer Lothar Lambert zum 70. Geburtstag. Frédéric Schwilden sieht für die Welt den ersten Trailer zu "50 Shades Of Grey" Probe.

Besprochen werden Philippe de Chauverons Filmkomödie "Monsieur Claude" (Welt) und Joss Whedons "Viel Lärm um nichts" (SZ).
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Literatur

Die FAZ gibt Tipps für die Urlaubslektüre und der Freitag bringt Auszüge aus George Packers Porträtsammlung "Die Abwicklung".

Besprochen werden unter anderem Roy Keseys "Pacazo" (FAZ) und die Anthologie "Über den Feldern" (SZ).
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Stichwörter: Der Freitag

Bühne


Bild: Szene aus "Geschichten aus dem Wienerwald", © Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Warum hat eigentlich nie jemand Ödön von Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" vertont, fragt sich Manuel Brug in der Welt. Aus Angst vor dem Vorwurf anbiedernder Popularität? Der Komponist HK Gruber hat sich jetzt getraut und eine Oper abgeliefert, die bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführt wurde. Notiert Brug hochzufrieden: "Natürlich biedert sich HK Gruber an, schmiegt und schmeißt und schleimt sich mit Wonne ans verlogene Wiener Gemüt. Ihm ist eine zerborsten melodieselige, raffiniert rhythmisierte, wimmernde, bibbernde, klappernde, klirrende Partitur gelungen, die man sich erst einmal trauen muss. Und die fast immer die Balance hält zwischen offensichtlichem Populismus und dem intelligenten Unterlaufen eines solchen. Hier schwankt der Boden der Tatsachen, nichts ist echt, aber im Falschen steckt viel Wahrheit. Der man gern zuhört."

Für Stefan Musil (Presse) hätte Gruber gern "mehr Krallen ... zeigen dürfen. Die Abgründigkeit, die Ironie, die Brutalität, die aus Horváths Text spricht, schimmert nur durch. Manche der hart gedrechselten Sätze des Stücks verweichlichen gar, wenn sie Gruber, um auch ariose Passagen einflechten zu können, mehrmals wiederholen lässt. Die Sänger bewältigen allesamt bewundernswert ihre neuen Rollen." Weitere Besprechung gibt"s in der NZZ und im Standard.

Außerdem: In der Welt porträtiert Kathrin Rosendorff den Comedian Costa Meronianakis: "Der gebürtige Bad Pyrmonter kam für seine Rapperkarriere nach Frankfurt. Da war er 18. "Ich fege deine Mutter", war das erste Graffito, das der Niedersachse am Hauptbahnhof las. So soll nun auch sein erstes großes Soloprogramm heißen, an dem er gerade schreibt." Judith von Sternburg erinnert in der FR an Frank Wedekind. Die Zeit bringt eine Strecke aus dem Fotoband "Pina Bausch Backstage".

Besprochen werden Michael Sturmingers bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführte Walzeropern-Adaption von Ödön von Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" (SZ, FAZ, Tagesspiegel) sowie Jossi Wielers und Sergio Morabitos "Tristan und Isolde"-Inszenierung in Stuttgart (Zeit).
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