Bücher der Saison

Frühlingsromane

Eine Auswahl der interessantesten, umstrittensten und meist besprochenen Bücher der Saison.
06.04.2020. Eine ordentliche Portion Eskapismus kann in diesen Tagen nicht schaden. Warum nicht die Welt mal mit den Augen von Thomas Cromwell sehen? Oder die Nachwende von Chemnitz aus betrachten? Oder die Liebe mit zwei höchst achtsamen Millenials durchleben? Auch die Sachbücher bieten jenseits von Epidemien-Büchern Lesestoff zum Abtauchen:  Jens Malte Fischers Karl-Kraus-Biografie entfachte in Daniel Kehlmann eine neue Liebe zu dem brillanten Polemiker.  Charles King schickt uns in die Schule der rebellischen Kulturanthropologen der zwanziger Jahre. Und Zoran Terzic erzählt uns eine Geschichte der Idiotie. Dies alles und mehr in den Büchern der Frühjahrssaison.
Willkommen zu den Büchern der Frühjahrssaison 2020! Sie wissen ja: Wenn Sie Ihre Bücher in unserem Buchladen eichendorff21 bestellen, ist das nicht nur bequem für Sie, sondern auch hilfreich für den Perlentaucher. Wir bedanken uns im voraus und wünschen viel Spaß beim Stöbern.

Literatur / Sachbücher / politische Bücher

Zwischen Ost und West

Die Geschichten vom Nazi-Vater in der deutschen Literatur werden seltener, längst sind Rückblicke auf die DDR, die alte BRD und Wenderomane an deren Stelle getreten. Lutz Seilers "Stern 111" (Bestellen) hat dieses Jahr sogar den Leipziger Buchpreis gewonnen, wir haben den Roman bereits in unserem Bücherbrief des Monats März empfohlen: So einen Wenderoman hat man noch nicht gelesen, jubelten die Kritiker. Nominiert war auch Ingo Schulzes Roman "Die rechtschaffenen Mörder" (Bestellen), der von vielen Kritikern als Kommentar zu den aktuellen politischen Entwicklungen im Osten gelesen wurde. Wenn Schulze in drei disparaten Teilen erst von einem Dresdner Buchhändler in den 1970ern, der später mit Pegida sympathisiert, dann von einem Schriftsteller, der über den Buchhändler schreibt, und schließlich von einer Lektorin, die diesen Text redigiert, erzählt, verliert so mancher Rezensent zwar den Überblick. SZ-Kritiker Jörg Magenau erkennt aber, dass er es hier mit einem schalkhaften, aber umso brillanteren Hinterfragen von Ossi-Klischees zu tun hat, das zugleich den kapitalistischen Literaturbetrieb anklagt. Auch Helmut Böttiger wird im Dlf-Kultur über den Herbst 1989 und eine dramatische  mitten hinein ins "zeitgenössische Unbehagen" geführt. Handelt es sich bei diesem Roman am Ende um eine Parodie auf Tellkamps "Der Turm"?, fragt sich Jan Wiele in der FAZ.

Von Ostberlin und Dresden nimmt uns die Titanic-Redakteurin Paula Irmschler in ihrem Debütoman "Superbusen" (Bestellen) mit nach Chemnitz. Dorthin nämlich zieht es ihre Heldin Gisela, die mit ihrer Frauenband trinkt, feiert und dem von Nazis, Sexismus und Liebeskummer bestimmten Alltag trotzt und das Konstrukt Ost und West entdeckt. Ein wunderbar wertfreies Buch, das mit seiner Begeisterung für Musik ansteckt, findet Katrin Gottschalk in der taz. Dieser Antifa-Roman macht "wahnsinnig gute Laune", meint Volker Weidermann bei Spiegel Online und kürt den Roman zum "Popbuch der Stunde". SZ-Kritiker Ulrich Rüdenauer empfiehlt außerdem Jens Wonnerbergers Roman "Mission Pflaumenbaum" (Bestellen). Wie der Autor seinen mürrischen Dörfler Rottmann auf kaputte Fassaden, Zukunftsentwürfe und "Fremde" achten lässt, halb Wutbürger, halb Kassandra, findet der Rezensent lesenswert, auch der subtilen sprachlichen Artistik wegen: Wonneberger scheint ihm ein leiser, der Entdeckung würdiger Beobachter von Außenseitern und Verlierern zu sein.


Sein, Design, Diskurs

Die Coronakrise lässt die Gegenwartsliteratur rasch altern, schrieb Gerrit Bartels kürzlich im Tagesspiegel: Bei Leif Randts Roman "Allegro Pastell" (Bestellen), von einigen Kritikern als pure Gegenwartsdiagnose gelobt, habe man den "Eindruck, er spiele in einer weit, weit zurückliegenden Vergangenheit", meinte er. 
Das sah Leif Randt im ARD-Beitrag von Titel Thesen Temperamente natürlich ganz anders. So oder so stieß der Roman auf geteilte Kritik: In der Zeit überschlug sich Ijoma Mangold vor Begeisterung: Aus der Liebesgeschichte zweier nahezu perfekter Zeitgenossen, die Drogen, Liebe und Tee gleich achtsam und nachhaltig zu zelebrieren scheinen, könne eine Jugendbewegung entstehen, glaubt er, um fortzufahren: Dieses schimmernde, tiefgreifende Pointenfeuerwerk lässt sogar Rainald Goetz alt aussehen! Mehr als eine treffende Milieustudie, ein Sittengemälde der Berliner Republik im freien Fall, lobte Doris Akrap in der taz. Fluffig, intensiv und subtil, nannten auch die Kritiker aus SZ, FR und Welt den Roman. Ganz hübsch, aber auch recht dünn, meint hingegen FAZ-Kritiker Tilman Spreckelsen, während Wolfgang Schneider im Dlf-Kultur das bewusste und "faire" Futtern und Fühlen ziemlich auf die Nerven ging. Wem so viel Achtsamkeit auf die Nerven geht, hält es vielleicht eher mit SZ-Kritikerin Insa Wilke, die Scott McClanahans "Sarah" (Bestellen) empfiehlt. Die "klassische" Liebesgeschichte von Scott und Sarah, in der Scott schließlich "alles kaputt" macht, ist lustig und traurig, cool und fiebrig, herzerweichend und einfach genial, verspricht sie. Dass Clemens Setz das Buch übersetzt hat, ist außerdem eine Empfehlung.

Eine völlig andere Gegenwart vermisst die irische Autorin Edna O'Brien in ihrem Roman "Das Mädchen" (Bestellen). O'Brien verarbeitet den realhistorischen Fall der nigerianischen Chibok-Girls, bei dem 276 Internatsschülerinnen im April 2014 von der islamistischen Terrormiliz Boko Haram entführt wurden: Erzählt wird die Geschichte von Maryam, die entführt, gefoltert, vergewaltigt und zwangsverheiratet wird, später mit ihrer Tochter fliehen kann, nur um in ihrem traditionellen Heimatdorf als Hure der Terroristen weiter gepeinigt zu werden. Für FR-Kritikerin Petra Pluwatsch ein wichtiges Buch, das nicht nur von Gewalt und Terror, sondern auch "von der Stärke und dem Lebensmut von Frauen erzählt". FAZ-Rezensent Thomas Thiel kann die Drastik zwar kaum ertragen, aber diese wird durch poetische Naturbeschreibungen und feine Figurenpsychologie abgemildert, schreibt er. In Abbas Khiders "Palast der Miserablen" (Bestellen) treffen sich im Bagdad der neunziger Jahre die Intellektuellen und dort zieht es auch Khiders Helden, den in den Slums von Bagdad aufwachsenden Shams hin. Vor allem aber erzählt uns Khider vom Alltag in der irakischen Diktatur und zwar so unpathetisch und schonungslos, dass Carsten Hueck im Dlf-Kultur das Gelesene erstmal verdauen muss. Auch SZ-Kritikerin Lea Schmieder erkennt die Drastik, mit der Khider von Elend, Armut und Flucht erzählt. FR-Kritikerin Cornelia Geissler entdeckt allerdings auch Humor und Zuversicht in dem Roman.

Von einem Aufbruch in die Freiheit der ganz anderen Art erzählt uns Birgit Birnbacher in ihrem Roman "Ich an meiner Seite" (Bestellen). Mit "feinem Gespür für sozial Unterprivilegierte", so Christoph Schröder in der SZ, begleite die letztjährige Bachmann-Preisträgerin Knacki Arthur auf dem Weg zur Therapie und zur Resozialisierung. Dabei setzt die österreichische Schriftstellerin nicht auf soziologische Milieuschilderungen, sondern auf Witz und "Satire", meint in der NZZ Paul Jandl, der sich manchmal wie in einem "Wiener Film noir" fühlt. Als schlüssige Deutschland-Momentaufnahme empfahl SZ-Kritiker Christoph Schröder Cihan Acars Debüt "Hawaii" (Bestellen), der die Geschichte eines jungen Deutschtürken während einiger heißer Tage im anti-migrantisch bewegten Heilbronn erzählt.

Eindeutig ein Roman dieser Saison war auch Verena Güntners "Power" (Bestellen), der auf der Shortlist für den Leipziger Buchpreis stand. Wenn Güntner uns von der kleinen Kerze erzählt, die alle Kinder ihres Dorfes hinter sich versammelt, um fortan wie ein Hunderudel im Wald zu leben, lobten die Kritiker das Monströse, Schillernde und Verstörende des Romans. Ein "Herr der Fliegen des 21. Jahrhunderts", befand Elmar Krekeler in der Welt. In eine nahe Zukunft, in der uns eine Droge von Schmerz befreit und unsere Wünsche wahr werden lässt, entführt uns Christoph Höhtker in diesem Bücher-Frühjahr mit seinem Roman "Schlachthof und Ordnung" (Bestellen). Dem NZZ-Kritiker Paul Jandl beschert die Lektüre eine intelligente dystopische Erfahrung, er nennt es ein "krachend intensives Schweben". Noch vor der Nobelpreis-Debatte schrieb Peter Handke seinen Roman "Das zweite Schwert" (Bestellen), der von den Kritikern positiv, aber fast ohne jeden Kommentar zur Debatte besprochen wurde. In der FAZ las Tilman Spreckelsen den Roman, der den Rachewunsch des autobiografisch geprägten Erzählers an einer Journalistin behandelt, als Prozess einer "heilsgeschichtlich grundierten" Selbstwerdung: Eingebettet in "anmutige" Schilderungen von Frühlingslandschaften. Und FR-Kritiker Arno Widmann erfreute sich an Witz und Streitbarkeit des Romans.


de profundis


Die Zeit der Isolation ist für viele Menschen auch psychisch eine Belastungsprobe. Nicht erst in dieser Saison, schon seit einer geraumen Weile schreiben Schriftsteller über ihre Depressionen, 2016 etwa Thomas Melle (hier) oder Gerbrand Bakker (hier). Vom Leben mit einer Depression und Kind erzählt uns die in Moldawien geborene Autorin Marina Frenk in ihrem Debütroman "Ewig her und gar nicht wahr" (Bestellen). Aber Frenk belässt es nicht dabei: Sie baut das Schicksal ihrer ebenfalls aus der Republik Moldawien geflohenen Heldin Kira zu einer europäischen Migrationsgeschichte aus. Wenn FAZ-Kritiker Oliver Jungen hier von Heimatlosigkeit, Identitätssuche und Zugehörigkeit liest, jubelt er: Frenck verweist die Flut von "Selbstbeschauungs-Debüts" auf die Plätze. "Hochaktuell, wundervoll poetisch und unprätentiös" findet er auch, wie Frenck die Vergangenheit ihrer Heldin - Flucht, Ankunft im Ruhrgebiet, Scheitern als Malerin, erste Beziehung und Fehlgeburt - mit derjenigen ihrer Vorfahren verknüpft: In verschiedenen "Imaginationen" blende Frenk die Erlebnisse ihrer einst im Faschismus und Kommunismus lebenden Familie bildgewaltig übereinander. Ein bewegender "zeitgenössischer Diaspora-Roman", meint Zeit-Kritiker Ijoma Mangold, ein Text dicht und plastisch wie ein detailreiches Gemälde, lobt Cornelia Geissler in der FR

Der Spiegel-Journalist und Autor Benjamin Maack ergänzt den Depressionskanon mit "Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein" (Bestellen) um einen sehr persönlichen Bericht und Dlf-Kritiker Jan Drees lobt: Ein Novum in der Menge der Depressionsgeschichten! Denn Maack lässt ihn in Form eines "poetischen Tagebuchs" quasi live teilhaben an seinem Rückfall in die Krankheit, am Verlust von Familie, Gefühl und Gedanken, bruchstückhaft bis ins Schriftbild hinein. FAZ-Kritiker Dietmar Dath erlebt hier gar einen Aha-Effekt der Literatur: Er kann Maacks Erfahrungen zwar nicht teilen, aber wenn der Autor ihm in "Lyrikspuren" ohne Leidensprosa von der klinischen Depression erzählt, lernt er, wie sich Lebenswahrheit und Literatur auf sinnvolle, erhellende Weise ergänzen. Nur in der taz vermisst Rene Hamann eine Fallgeschichte, Knausgaard'sche Selbstanalyse, Gesellschaftskritik oder wenigstens einen Link zur deutschen Vergangenheit. Dass Lana Lux ein Händchen für's Eingemachte hat, hat sie bereits mit ihrem hochgelobten Debüt "Kukolka" bewiesen. In "Jägerin und Sammlerin" (Bestellen) erzählt sie uns von Alisa, einer jungen Berlinerin mit Essstörung, die mit ihren Eltern im Alter von zwei Jahren die Ukraine verlässt und von klein auf um die Anerkennung der unglücklichen, harten Mutter kämpft. Wie Lux die Seelen von Alisa und ihrer Mutter, die im zweiten Teil des Romans selbst zu Wort kommt, ausleuchtet, findet Hannah Lühmann in der Welt sogkräftig und authentisch.

Den Link zur Vergangenheit, den taz-Kritiker Rene Hamann bei Benjamin Maack vermisste, bietet uns Bov Bjergs Roman "Serpentinen" (Bestellen), den wir bereits in unserem Bücherbrief des Monats Februar empfohlen haben: Bjergs Held kämpft mit Suizidgedanken, die nicht zuletzt auf die nationalsozialistische Vergangenheit seiner Familie verweisen. Wucht, Rundheit und die "hammerschlagartige Kraft des Authentischen" attestierten die Kritiker dem Roman. Ein Buch der Saison ist definitiv auch Josef Haslingers Bericht "Mein Fall" (Bestellen) über seine Erlebnisse als Schüler an einem Klosterinternat und den erfahrenen sexuellen Missbrauch durch einen Pater. Sachlich, schonunglos und verstörend nannten die Kritiker das Buch, dessen Lektüre sie einstimmig empfehlen.

Frank Witzel blickt in seinem neuen Roman "Inniger Schiffbruch" (Bestellen) auf die eigene Kindheit in den sechziger Jahren der Bundesrepublik zurück. Er erzählt von strengen Eltern, die ihre traumatische Kindheit vergessen wollen und von überkommenen Moralvorstellungen. Wie Witzel ohne Bemühung um Fiktionalisierung "Erinnerungsstücke" sammelt, in die Abgründe seiner Familiengeschichte eintaucht und sich eigener Versehrungen bewusst wird, hat den SZ-Kritiker Helmut Böttiger bewegt: Hier wird "viel an Scham" freigesetzt, ahnt er. Sehr gut besprochen wurde auch David Vanns von der eigenen Familiengeschichte inspirierter Roman "Momentum" (Bestellen), in dem uns der amerikanische Autor von seinem manisch-depressiven Vater erzählt. Taz-Kritiker Tom Wolfahrt staunt, wie es Vann gelingt, die Krankheit in einen zeithistorischen Kontext zu stellen: Ein Buch "voll von feiner Weisheit, Menschlichkeit und literarischer Meisterschaft", findet er.


Historisches

Vom Mittelalter bis über die amerikanischen Vierziger bis in den Irak der Neunziger führen uns die historischen Romane diese Saison. Fast nur hymnische Besprechungen hat zum Beispiel Hilary Mantel für den letzten Teil ihrer Tudor-Trilogie "Spiegel und Licht" (Bestellen) erhalten: Wenn uns Mantel auf über tausend Seiten einmal mehr von Thomas Chromwell, mittlerweile Earl of Essex und Berater des launischen Königs Heinrich VIII. erzählt, liest etwa Welt-Kritiker Richard Kämmerlings ein spannendes, quellen- und detailgenaues, vielstimmiges Historiengemälde: Nie leuchtete die Geschichte Englands heller als bei Mantel, jubelt er. Auch FAZ-Kritiker Andreas Platthaus schwärmt: Mantel ist nicht nur eine Virtuosin des Geschichtenschreibens, sondern sie beherrscht auch Geschichtsschreibung: Wie historische Fakten und Mantels reiche Fantasie hier das Tudor-England auferstehen lassen, Innenpolitik, Intrigen, intellektuelle Positionen, Gebäude, Gemälde, massenhaft Akteure, das sucht für Platthaus seinesgleichen und erzeugt Wahrhaftigkeit, wenngleich nicht Wahrheit. Fülle, Rasanz und Witz, loben auch die Kritikerinnen in SZ, FR und Dlf-Kultur, nur Zeit-Kritikerin Judith Luig herrscht hier etwas zu viel Gewimmel.

Vom Tudor-England geht es mit Eric Vuillard direkt ins Deutschland der Bauernkriege im 16. Jahrhundert. Mit seinem Roman "Der Krieg der Armen" (Bestellen) hat sich Vuillard selbst übertroffen, jubelt Gustav Seibt in der SZ: Denn auf gerade mal hundert Seiten macht ihm der französische Autor das Leben Thomas Müntzers gegenwärtig und verdichtet dort, wo andere historische Romane detailreich ausmalen. Allerdings warnt Seibt: Vuillard zieht sein Müntzer-Bild aus der marxistischen Tradition. Literarisch, nicht historisch hält es der Kritik stand. Im 16. Jahrhundert spielt auch "Chronos erntet" (Bestellen). Der polyphone historische Roman der slowenischen Autorin und Philosophin Mojca Kumerdej erzählt in verschiedenen Handlungssträngen und Geschichten vom Kampf gegen unfaire und korrupte Autoritäten. So chaotisch wie das Zeitalter, in dem er spielt, meint FAZ-Kritiker Martin Lhotzky, den der Roman zugleich "erschreckend" ans Heute erinnert. Dickes Lob geht auch an den Übersetzer Erwin Köstler. Hingewiesen sei auch noch auf Edvarts Virzas Roman "Straumēni" (Bestellen), in dem der 1883 geborene Autor vom Leben auf einem lettischen Bauernhof Mitte des 19. Jahrhunderts erzählt, und auf "Die Liebenden von Taschkent" (Bestellen), das Hauptwerk des als Vater des modernen usbekischen Romans geltenden Autors Abdulla Qodiriy.

Knapp vierhundert Jahre später spielt Monika Helfers autobiografischer Roman "Die Bagage" (Bestellen), der vom Leben ihrer Großeltern im Vorarlberger Land während und nach dem Ersten Weltkrieg erzählt: Eindringlich, feinsinnig lakonisch und berührend nennt Tom Wohlfahrt in der taz den Roman, dem er trotz Armut und Krieg auch Sinn für das Märchenhafte entdeckt. Ein kleines literarisches Fest feiert NZZ-Kritiker Rainer Moritz mit den skurrilen Charakteren in dieser untergegangenen Welt. Kein Heimatroman, sondern große Kunst, ergänzt SZ-Kritiker Ulrich Rüdenauer. Viel Lob erhielt auch Mariam Kühsel Husseinis Roman "Tschudi" (Bestellen) über den Berliner Museumsdirektor Hugo von Tschudi. FAZ-Kritiker Niklas Maak liest nicht nur die Geschichte des visionären Kunstliebhabers, sondern auch einen politischen Roman über ein verhindertes Deutschland, einen Berlin-Roman und eine Kunstgeschichte des späten 19. Jahrhunderts, die ihm über die französischen Impressionisten oder über Menzel, Liebermann und Co. mehr verrät als manches Fachbuch. Ein balzacsches Epochenbild, jubelt er. In der Zeit schwebt Elke Heidenreich durch den Roman wie auf einem fliegendem Teppich und bewundert die vor Schönheit lodernde Sprache.

Bereits 1946 ist Ann Petrys Roman "The Street" (Bestellen) im amerikanischen Original erschienen - und heute nicht minder lesenswert, wie die Kritikerinnen versichern. "Glühend und quälend" erscheint es Sylvia Staude in der FR, wie Petry das Elend eines  jungen schwarzen Kindermädchens in Harlem, die Diskriminierung, den Sexismus und die Gewalt beschreibt. Wie in einem Thriller scheint alles immer noch bedrohlicher zu werden für die Erzählerin, meint sie. Aufrüttelnd nennt in der taz Marlen Hobrack das Buch, das ihr Rassismus in all seinen Facetten zeigt. Ein klaren Blick, eindrückliche Bilder und viel Feingefühl lobt Birgit Koß im Dlf-Kultur. 1956 veröffentlichte James Baldwin seinen Debütroman "Giovannis Zimmer" (Bestellen). Niemand kann über Liebe - Mutterliebe, Geschwisterliebe, sexuelle Liebe - schreiben wie Baldwin. Mit 208 Seiten ist es sein kürzester Roman. Wenn Sie dieses Buch anfixt, können Sie sich auf vier weitere, sehr viel dickere und noch bessere Romane freuen (die man zum Teil auf Deutsch leider antiquarisch suchen muss).In eine ähnliche Zeit, aber doch an einen anderen Ort und in anderes Milieu nimmt uns Graham Swift in seinem neuen Roman "Da sind wir" (Bestellen) mit. Ganz verzaubert ist SZ-Kritiker Lothar Müller, wenn er hier von der Dreiecksbeziehung zwischen einem Zauberer, seiner Assistentin und einem Schauspieler in der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg liest. Ein Buch wie ein Spiegelkabinett, staunt er. Hingewiesen sei auch noch auf Samuel Selvons Roman "Eine hellere Sonne" (Bestellen) der uns ins Trinidad der vierziger Jahre führt. Die während des Zweiten Weltkriegs auf der Insel stationierten Amerikaner geben den Anstoß zu einem Aufbruch, der Konventionen infrage stellt und so auch dem Sohn einer indischen Einwandererfamilie den Aufstieg ermöglicht. Seite für Seite liest man, wie der Protagonist dabei die ihm in die Wiege gelegten Ideen von Tradition und ethnischer Homogenität zurücklässt, lobt Marko Martin in Dlf Kultur. SZ-Rezensent Christoph Bartmann staunt über ungewöhnliche sprachliche Wendungen, die ihn daran erinnern, dass Selvon einst das karibische Englisch "literaturfähig" machte.

Literatur / Sachbücher / politische Bücher