Ingo Schulze

Die rechtschaffenen Mörder

Roman
Cover: Die rechtschaffenen Mörder
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020
ISBN 9783103900019
Gebunden, 320 Seiten, 21,00 EUR

Klappentext

Wie wird ein aufrechter Büchermensch zum Reaktionär - oder zum Revoluzzer? Norbert Paulini ist ein hoch geachteter Dresdner Antiquar, bei ihm finden Bücherliebhaber Schätze und Gleichgesinnte. Über vierzig Jahre lang durchlebt er Höhen und Tiefen. Auch als sich die Zeiten ändern, die Kunden ausbleiben und das Internet ihm Konkurrenz macht, versucht er, seine Position zu behaupten. Doch plötzlich steht ein aufbrausender, unversöhnlicher Mensch vor uns, der beschuldigt wird, an fremdenfeindlichen Ausschreitungen beteiligt zu sein. Die Geschichte nimmt eine virtuose Volte: Ist Paulini eine tragische Figur oder ein Mörder?

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.03.2020

Rezensent Jan Wiele kann Ingo Schulzes neuen Roman auf keinen Nenner bringen, auch wenn mancher Kritiker ihm das nahelegt. Wiele taugt der Text eben nicht als Kommentar zu aktuellen politischen Entwicklungen im Osten Deutschlands. Und als intertextuell ambitionierter historischer Roman über "traurige Ost-West-Differenzen" kommt der Text für den Rezensenten mit einer immerhin fragwürdigen Voraussetzung daher. Die Geschichte des "Büchermenschen" Paulini aus dem Dresdner Bildungsbürgertum, der sich in den Augen seiner Zeitgenossen zum Herrschaftsmenschen wandelt, geht laut Wiele nämlich fälschlicherweise davon aus, dass ein sogenannter Büchermensch notwendigerweise aufrecht sei. Dass der Roman Wiele schließlich dennoch mit Differenziertheit überzeugen kann, liegt an seiner "komplexen Erzählstruktur". Handelt es sich am Ende um eine Parodie auf Tellkamps "Der Turm", fragt sich der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 10.03.2020

Helmut Böttiger ist auf alles gefasst bei Ingo Schulze. Die Neigung des Autors zum literarischen Vexierspiel, zu falschen Fährten und ausgefeilten Leerstellen begegnet ihm auch in diesem Buch. Etwa mit dem wechselnden Erzählton oder in Gestalt dreier ziemlich disparater Romanteile. Oder auch in der schillernden Hauptfigur. Was wie eine Legende über einen Dresdner Antiquar beginnt, führt Böttiger über den Herbst 1989 und eine dramatische Liebesgeschichte zu ostdeutschen Befindlichkeiten und falschen DDR-Bildern und schließlich mitten hinein ins "zeitgenössische Unbehagen".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.03.2020

Da dieser Roman mit der fiktiven Biografie eines Dresdner Antiquars einsetzt, der nach der Wende arbeitslos wird und mit Pegida zu sympathisieren beginnt, hat Rezensent Jörg Magenau zunächst einen guten "konventionellen Schlüsselroman" erwartet. Als das Buch dann aber im zweiten Teil zu den Geständnissen des fiktiven Biografen Schultze (mit t!) übergeht, wird es zum doppelbödigen Spiel mit Leser*innenerwartungen, denn Schultze ist nicht zu trauen, so Magenau. Spätestens als er beim dritten, von der fiktiven Verlegerin Schultzes erzählten Teil ankommt, in dem ein Kriminalfall aufgerollt wird, weiß der Kritiker, dass er es hier mit einem schalkhaften, aber umso brillanteren Hinterfragen von Ossi-Klischees zu tun hat, das zugleich den kapitalistischen Literaturbetrieb anklagt - ein zukünftiger Bestseller, prophezeit der beeindruckte Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 05.03.2020

Rezensent Carsten Otte irrt gewaltig herum in Ingo Schulzes Roman. Allerdings macht ihm dieser dreiteilige, "wendungsreiche" Text durchaus Spaß, wenn Schulze erst von einem Dresdner Buchhändler in den 1970ern, dann von einem Schriftsteller, der über den Buchhändler schreibt, und schließlich von einer Lektorin, die diesen Text redigiert, schreibt und dabei sowohl "amüsant" Büchermenschen porträtiert als auch deutsch-deutsche Befindlichkeiten schildert. Aufmerksam muss Otte zwar sein, will er den wechselnden Blickwinkeln und Tönen folgen, doch der Blick in Schulzes "literarischen Spiegel" beschenkt ihn auch mit Erkenntnissen über Ressentiments, angestaubte Begriffe und Schablonen des Alltags und des Erzählens.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.03.2020

Rezensent Christoph Möllers scheint Ingo Schulzes neuer Roman an Überdeterminiertheit zu leiden. Sowohl die komplexe Konstruktion der Erzählebenen als auch die thematische Fülle mit Stasi-Verstrickung, Finanzruin, ignorantem Westen und Rückgabeansprüchen findet er überwältigend. Dass der Roman hilft, die aktuelle politische Entwicklung im Osten besser zu begreifen, wie es Möllers zunächst scheint, kann der Rezensent am Ende nicht behaupten. Das Einfache (der Figurenzeichnung, der Szenenbearbeitung) und das Komplizierte (der Konstruktion und der beschriebenen ostdeutschen Identitäten) finden im Text nicht zueinander, bedauert Möllers.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 04.03.2020

Rezensentin Cornelia Geissler geht mit lauter Fragen, aber durchaus beglückt aus der Lektüre von Ingo Schulzes neuem Roman. Die drei Teile, in denen Schulze von einem Buchhändler in Dresden, einem Bekannten dieses Mannes, einem Schriftsteller, und schließlich von den Anmerkungen von dessen Lektorin berichtet, beziehen sich laut Geissler aufeinander und befruchten sich gegenseitig. Etwas umständlich erscheint Geissler die Sprache und erinnert sie zunächst an Tellkamps "Turm". Schließlich erkennt sie: Schulze schreibt kein politisches Buch, sondern sät Zweifel an der Geschichte.