Thomas Melle

Die Welt im Rücken

Cover: Die Welt im Rücken
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2016
ISBN 9783871341700
Gebunden, 352 Seiten, 19,95 EUR

Klappentext

"Wenn Sie bipolar sind, hat Ihr Leben keine Kontinuität mehr. Die Krankheit hat Ihre Vergangenheit zerschossen, und in noch stärkerem Maße bedroht sie Ihre Zukunft. Mit jeder manischen Episode wird Ihr Leben, wie Sie es kannten, weiter verunmöglicht. Die Person, die Sie zu sein und kennen glaubten, besitzt kein festes Fundament mehr. Sie können sich Ihrer selbst nicht mehr sicher sein. Und Sie wissen nicht mehr, wer Sie waren. Was sonst vielleicht als Gedanke kurz aufleuchtet, um sofort verworfen zu werden, wird im manischen Kurzschluss zur Tat. Jeder Mensch birgt wohl einen Abgrund in sich, in welchen er bisweilen einen Blick gewährt; eine Manie aber ist eine ganze Tour durch diesen Abgrund, und was Sie jahrelang von sich wussten, wird innerhalb kürzester Zeit ungültig. Sie fangen nicht bei null an, nein, Sie rutschen ins Minus, und nichts mehr ist mit Ihnen auf verlässliche Weise verbunden." Thomas Melle leidet seit vielen Jahren an der manisch-depressiven Erkrankung, auch bipolare Störung genannt. Nun erzählt er davon, erzählt von persönlichen Dramen und langsamer Besserung - und gibt einen außergewöhnlichen Einblick in das, was in einem Erkrankten so vorgeht.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.11.2016

Rezensent Roman Bucheli wird nicht froh mit Thomas Melles Buch. Das liegt nicht so sehr am Thema, dem Ringen des Autors mit seiner bipolaren Störung, als daran, dass der Text nicht als Roman durchgeht, dem Rezensenten also nur die Haltung des Mitleidens an dem laut Bucheli mitunter qualvoll authentischen Bericht ermöglicht. Melles medizinische Akribie und Drastik bei der Schilderung seiner manisch-depressiven Erkrankung kann Bucheli in ästhetischer Hinsicht nicht überzeugen. Auch wenn das Buch für Bucheli in einem "emphatischen Sinn" wahr ist, er fühlt sich nur als der notwendige Zeuge einer Lebensbeichte und Erlösung. Der Autor, meint der Rezensent, schreibt eigentlich nur für sich selber.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.10.2016

Mit einer ausgedehnten Besprechung würdigt Christopher Schmidt Thomas Melles neues Buch, das der Kritiker als "blitzhelle Stroboskop-Prosa" bezeichnet, aber auch als zweispältiges Lesevergnügen. Schmidt beschreibt dieses Memoir als einen Streifzug ins "hirnverbrannte Oberstübchen" des an einer schweren Form manischer Depression erkrankten Autors. Er erfährt, wie Melle daran glaubte, Sex mit Madonna zu haben oder Picasso auf einer Berliner Technoparty Rotwein in den Schoß gegossen zu haben und wie es sich anfühlt, wenn die Krankheit den Kern der eigenen Persönlichkeit korrumpiert. Der Rezensent staunt, wie unmittelbar und drastisch Melle den Lesern teilhaben lässt und wie klug und "theoriefreudig" er die Krankheit auch mit Bezügen zur Geistesgeschichte reflektiert.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 29.09.2016

Keinen Roman, aber definitiv "große Literatur" hat Rezensent Ijoma Mangold mit Thomas Melles "Die Welt im Rücken" gelesen. Nachdem der Autor in drei Romanen bereits die manischen Auswüchse seiner bipolaren Störung fiktionalisiert verarbeitet hat, erzählt er nun die persönliche Geschichte seiner Krankheit, informiert der Kritiker. Und das gelingt ihm in mehrfacher Hinsicht schlicht brillant, so Mangold: Tragisch, gelegentlich auch komisch und poetisch findet der Rezensent, was Melle über die manische Phase erzählt, in der die "Neuronen außer Rand und Band feuern": Wenn Melle schreibt, wie er sich für den Messias hielt und glaubte, mit Madonna geschlafen zu haben oder sich in die Accounts von Popliteraten wie Christian Kracht oder Moritz von Uslar einloggte und in deren Namen postete, erlebt der Rezensent neben der verstörenden, auch die megalomanisch geniale Seite der Krankheit, in die bei Melle so viel kulturelles Wissen einfließt, dass sie Mangold wie eine "außer Kontrolle geratene Übersemiose" erscheint. Gebannt liest der Kritiker nicht nur, wie der Autor den neurochemischen Ursachen seiner Krankheit nachgeht, sondern auch, wie Melle seine Herkunftsgeschichte kurz skizziert und den Umgang mit seiner hypersensibel-hochbegabten Veranlagung im Arbeitermilieu schildert. Ein faszinierendes Buch, das Mangold wie die raffinierte Weiterentwicklung von Rainald Goetz erscheint.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.09.2016

Rezensentin Sabine Vogel ist völlig geplättet von Thomas Melles "Hammer"-Literatur. Wie der Berliner Autor seine Manien und seine Depressionen zu Papier bringt, ist für sie große Kunst. In "irrlichternder Präzision" verfolgt sie seine Schübe, während er ein Literaturportal fingiert, die Volksbühne aufmischt, im Berghain Picasso trifft oder am Kotti Madonna aufreißt. Wenn er sich nicht aufspielt und seine Freunde nervt, liegt er mit Depressionen darnieder oder in der Geschlossenen. Doch egal welches Wahnsystem bei ihm gerade die Oberhand nimmt, immer seziert Melle es mit der hyperscharfen Wahrnehmung, die ihm Manie und literarische Versiertheit zur Verfügung stellen, meint Vogel total beeindruckt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.09.2016

Sandra Kegel empfindet es als "gefährlichen Akt", wenn Thomas Melle seine manisch depressive Veranlagung thematisiert, das Ich in Zentralperspektive, meint sie, ist mehr als schmerzhaft, mehr als Überwindung von Scham. Wie der Autor im Verlauf seiner Erkrankung, sozial absteigt, wie er die Krankheit erlebt und was sie anrichtet, schildert Melle laut Kegel einerseits technisch nüchtern, andererseits direkt und genau als Einblick in sein Leben. Für Kegel ein Riesenprojekt, keine Fiktion, sondern die Poetik des Authentischen. Beeindruckend, findet sie.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 31.08.2016

"Schlicht umwerfend" findet Cord Riechelmann, wie Thomas Melle in seinem Roman "Die Welt im Rücken" von seinem eigenen Zerreißen erzählt. Melle ist manisch-depressiv, Höhenflüge wechseln sich ab mit Phasen tiefster Depression. In großer Unmittelbarkeit erlebt der Rezensent die Affektgemengelage mit, Synapsenabstürze, "überfunkende Nerven" und Maniemomente ("Ich bin ein Opfer des Weltgeistes. Ich bin der, den der Weltlauf aus der Kurve warf"). Mit Ich-Literatur habe das nichts das Geringste zu tun, meint Riechelmann, betont aber auch, dass Melle allein im eigenen Namen spreche. Aber eben wie! In solcher Konzentriertheit, dass der Rezensent gar nicht weiß, wie er dafür die passenden Lobesworte findet soll.