Emine Sevgi Özdamar

Ein von Schatten begrenzter Raum

Roman
Cover: Ein von Schatten begrenzter Raum
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
ISBN 9783518430088
Gebunden, 763 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Nach dem Putsch 1971 hält das Militär nicht nur das Leben, sondern auch die Träume der Menschen in der Türkei gefangen. Künstlerinnen und Künstler, Linke, Intellektuelle fürchten um ihre Existenz; auch die Erzählerin, die aus Istanbul übers Meer nach Europa flieht. Im Gepäck: der Wunsch, Schauspielerin zu werden, und das unbedingte Verlangen, den so jäh gekappten kulturellen Reichtum ihres Landes andernorts bekannt zu machen und lebendig zu halten, ohne sich im "Tiergarten der Sprachen" auf die bloße Herkunft beschränken zu lassen. Und dort, inmitten des geteilten Berlin, auf den Boulevards von Paris, im Zwiegespräch mit bewunderten Dichtern und Denkern, findet sie sich schließlich wieder in der "Pause der Hölle", in der Kunst, Politik und Leben uneingeschränkt vereinbar scheinen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 17.12.2021

Rezensentin Cornelia Geißler freut sich über diese Veröffentlichung von Emine Sevgi Özdamar, die erste seit langem, wie Geißler feststellt. Wenn Özdamar in diesem Buch ihr Leben Revue passieren lässt, ihre Flucht aus der Türkei nach Deutschland, wo sie als Regieassistentin von Besson arbeitete, weiter nach Paris, Bochum, Frankfurt und München, begegnet Geißler den Schatten von Krieg und Demagogie wie auch dem Wunder der Kunst, des Theaters und der Literatur. Das Springen durch Zeiten und Räume im Text, die vielen festgehaltenen Begegnungen machen die Lektüre so anregend, findet Geißler.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 11.12.2021

Rezensent Roman Bucheli ist hingerissen von Emine Sevgi Özdamars Buch über ihre Emigration aus der Türkei nach Deutschland. Schon der Einstieg, in dem die erfolgreiche Schauspielerin von der türkischen Küste aus auf Lesbos und die Verheißung Europa blickt und sich fragt, ob sie "Ophelia oder Putzfrau" sein will, findet der Kritiker toll. Im weiteren Verlauf des Romans erfährt er dann viel über den Phantomschmerz, den die verlassene Heimat für Weggegangene bedeutet, findet aber auch eine tröstliche Darstellung eines friedlichen Jahrzehnts für Europa von 1975 bis in die achtziger Jahre. Vor allem die Passage in Paris, wo Özdamar unter Benno Besson die Ophelia im Putzfrauenkostüm spielt, hält Bucheli für eine der schönsten und lebendigsten des Romans. Ein "menschenfreundliches" Buch von "verschwenderischer Fülle", das den Blick auf die Dinge verändert, schwärmt der Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 06.11.2021

Rezensent Sebastian Fuchs liest Emine Sevgi Özdamars episodische Erinnerungen an die deutsche Theateravantgarde im Berlin der Mauerjahre und das Nouvelle-Vague-Milieu von Paris, an Benno Besson, Sartre und die Beauvoir mit flackernden Augen. Wie ein "geistiges Gründerzeitmärchen" erscheint ihm, was die Autorin hier in einer Mischung aus Prosa und Gedicht festhält, teil Dokument, teils Fantasie, teils Mythos. Vor allem aber erscheint ihm dieser Künstlerroman als Revolte gegen die Zuschreibungen, die in Özdamars Kunst ein Symbol für das "Orientalische" sehen woll(t)en.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.10.2021

Rezensentin Marie Schmidt geht förmlich auf die Knie vor Emine Sevgi Özdamars viertem Roman, der für die Kritikerin nicht weniger als "ein Sturm, die Summe eines Lebens, wirklich ein Divan" ist. Schmidt spürt die Wut, aber auch die Einsamkeit nicht nur zwischen den Zeilen, wenn ihr die Autorin hinreißend frei, mal mythisch, dann "historisch nüchtern" vom Aufwachsen in der Türkei, der Flucht nach dem Militärputsch und dem Arbeiten an Theatern in Deutschland und Frankreich erzählt. Bisweilen hat die Rezensentin das Gefühl dabei gewesen zu sein, etwa wenn Özdamar von Proben erzählt oder schildert, wie sie ihre Eltern aus Berlin anruft und im Hintergrund die Militärhubschrauber über Istanbul kreisen hört. Auch den Literaturskandal aus dem Jahr 2006 - Feridun Zaimoglu soll Motive aus einem Roman von Özdamar kopiert haben, der Spiegel sprach vom "Türkenkrieg" - greift die Autorin noch einmal zornig auf, informiert Schmidt. In diesem Roman "pocht das Herz einer grenzenlosen Literatur", schließt sie.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.10.2021

Rezensent Dirk Knipphals ärgert sich, dass Emine Sevgi Özdamars Werke nicht längst im deutschen Kanon verankert sind. In ihrem nach einer 23-jährigen Pause neu erschienenen Roman erzählt ihm Özdamar auf 760 Seiten von den 70er Jahren bis in die Gegenwart von ihren Erfahrungen in Berlin, Paris und Istanbul, dabei mal die eigenen, dann die gesellschaftlichen Ereignisse beleuchtend, informiert Knipphals. Die eindrucksvolle Sprache Özdamars lässt für den Rezensenten das Beschriebene plastisch werden. Und obwohl viel Vergangenes aus der Perspektive einer Migrantin dargestellt wird, möchte Knipphals das Buch weder als historischen Roman noch als migrantischen oder kulturellen Erfahrungs-Roman bezeichnen, denn ihm zufolge gehe es der Autorin eindeutig darum zu vergegenwärtigen und Aufbruch zu schildern. Ein reiches Buch über das beeindruckende Leben einer Frau, die von der Gegenwart nicht ganz so viel hält, schließt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 18.10.2021

Rezensent Christoph Schröder liest Emine Sevgi Özdamars Roman als nicht durchweg gelungenes transkulturelles Künstlerinnenporträt und Bericht einer Identitätserkundung. Die Geschichte der Ich-Erzählerin, die für Schröder zweifelsfrei die Züge der Autorin trägt, zwischen der Türkei und Deutschland, zwischen ihrem Selbstverständnis als freie Künstlerin im Theater von Benno Besson und der Rolle als Integrationsbeispiel macht es Schröder nicht leicht: Jede Menge Redundanzen und lange Monologe über Orte und (imaginierte) Begegnungen mit Künstlern wie der Piaf oder Brecht strapazieren Schröders Geduld. Zugleich schaffen sie Atmosphäre, gibt Schröder zu, und vermitteln ein möglicherweise allgemein gültiges transkulturelles Lebensgefühl.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.10.2021

Rezensent Fridtjof Küchemann stolpert über die Bühne von Emine Sevgi Özdamars Roman und erkennt, dass hier die Trennung von Fakt und Fiktion, von Erzählerstimme und Autorin nicht weiterführt. Die namenlose Erzählerin und ihre Begegnungen mit Theatergrößen wie Peymann oder Besson sind für ihn eindeutig autobiografisch, aber dann ist die dichterische Freiheit wieder so unbegrenzt und Krähen flüstern Prophezeiungen, dass das Erdachte überwiegt. Im Zentrum aber erkennt Küchemann die Themen Fremde, Sprachverlust und -ermächtigung und die Geschichte der Gewalt an den Armeniern, alles lebendig ausgeleuchtet in Özdamars Bühnenraum.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.10.2021

Als Emine Sevgi Özdamar anfing in den Neunzigern Roman zu schreiben, sprach noch niemand von "migrantischer Literatur" oder "Diversität", erinnert uns Rezensentin Ursula März. In der Folge ihres längst zum "Klassikerkanon" gehörenden Werks machten sich vor allem in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche AutorInnen daran, über das Leben zwischen den Kulturen zu schreiben, um Özdamar wurde es indes still, erklärt die Kritikerin. Umso glücklicher ist sie, dass die deutsch-türkische Autorin nun dieses "opulente" Buch vorlegt, ihr "Lebenswerk" sozusagen, in dem sie erzählt, wie sie als junge Schauspielerin die Türkei nach dem Militärputsch von 1971 verlässt und in Berlin, Paris, Bochum oder Frankfurt mit und unter verschiedenen RegisseurInnen arbeitete. Um eine Autobiografie handelt es sich dabei aber keineswegs, versichert März, die sofort wieder dem Özdamar-Sound, einer Mischung aus nüchterner Dokumentation und Magie, verfällt. März lässt sich von einzelnen intensiven Bildern in  diesem "kolossalen Prosagemälde" durch ein Leben zwischen Kunst, Liebschaften und Politik führen, mitunter wehmütig auf vergangene Zeiten blickend. Ein Werk reich an "humaner Klugheit und poetischer Dichte", schließt sie.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 08.10.2021

Hymnisch bespricht Rezensent Helmut Böttiger diesen Koloss von einem Roman der in der Türkei geborenen Autorin und Theaterregisseurin Emine Sevgi Özdamar. In dem autobiografisch geprägten Roman, der sich laut Kritiker aber von gängigen "autofiktionalen" Texten, ja überhaupt von aller "Saisonware" abhebt, folgt Böttiger der Autorin auf ihrer Flucht aus Istanbul nach dem Militärputsch von 1971 nach Berlin und Paris, liest von ihrer Arbeit an verschiedenen Theatern mit und unter Regisseuren wie Claus Peymann oder Matthias Langhoff und ihren Begegnungen mit zahlreichen Künstlern und Intellektuellen. Wie Özdamar immer wieder die "repressiven Verhältnisse" in der Türkei dagegenschneidet, findet der Kritiker brillant. Vor allem aber bewundert er die Sprache der Autorin, die "Assoziationsräume" eröffnet und "surreale Momente" einbindet.