Bernd Witte

Moses und Homer

Griechen, Juden, Deutsche: Eine andere Geschichte der deutschen Kultur
Cover: Moses und Homer
Walter de Gruyter Verlag, München 2018
ISBN 9783110562170
Gebunden, 384 Seiten, 49,95 EUR

Klappentext

Das Buch befragt die deutsche Literatur- und Geistesgeschichte nach der Verdrängung der jüdischen Tradition und markiert die Lücken, die durch die Vertreibung der geistigen Repräsentanten des Judentums aus dem deutschen Sprachraum gerissen worden sind. Als in Deutschland gegen Ende des 18. Jahrhunderts uneingeschränkte Bewunderung für das antike Griechentum aufkam, wurde gleichzeitig das sich gerade der europäischen Aufklärung öffnende Judentum auf dem Schauplatz der Religionskritik vehement bekämpft. In diesem Kontext ist der aggressive Antijudaismus zu verstehen, mit dem sich Goethe und Schiller gegen die Sinai-Offenbarung und deren legendären Mittler Moses wandten. Beginnend mit Winckelmann hat die deutsche Klassik einen neuen Legitimationsdiskurs geschaffen, der unter Rückgriff auf den antiken Polytheismus das 'produktive Individuum' und die 'wachsende Natur' zu seinen zentralen Kategorien machte und damit den geltenden Monotheismus zu verdrängen suchte. Im Gegensatz dazu suchten Mendelssohn und Heine die Position einer deutsch-jüdischen Moderne zu etablieren. Das Buch verfolgt, wie der 'Weltanschauungskampf' gegen den Monotheismus zum 'völkischen' Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts führte und in der Shoa mündete, was die Verdrängung der jüdischen Tradition aus dem kulturellen Gedächtnis der Deutschen zur Folge hatte.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.03.2019

Rezensent Clemens Klünemann liest Bernd Wittes Buch auch als Warnung vor einem allzu leichtfertigen Umgang mit scheinbar unpolitischen Illusionen. Auch wenn er nicht alle von Wittes Folgerungen nachvollziehen möchte, findet der Rezensent in dem Buch eine anregende Lektüre. Wittes Perspektive auf den deutschen Philhellenismus, der einen Verzicht auf das jüdische Denken und den jüdischen Monotheismus nach sich zog, findet Klünemann bedenkenswert, weil der Autor in seinen Quellentexten nicht wohlfeil nach einem Antijudaismus Ausschau hält, sondern die "Entfremdung" zwischen Deutschen und Juden in einen größeren Rahmen stellt. Erhellend findet Klünemann die Kapitel über Bubers Moses-Buch oder die Heidegger-Rezeption nach '45.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.02.2019

Der hier rezensierende Literaturwissenschaftler Hartmut Böhme findet Bernd Wittes Versuch, die Verdrängung des Judentums durch das Griechentum in der deutschen Klassik aufzuzeigen, wenig überzeugend. Gegen Wittes auf Eliza M. Butlers Grundthese beruhende Rede vom extinktiven Antijudaismus bei Herder, Goethe, Schiller, Hölderlin und Fichte und seine Präsentation einer jüdischen Gegengeschichte mit Moses Mendelsohn, Heine, Freud, Baeck und Buber hat Böhme allerhand Einwände. So die Freundschaft zwischen Kant und Mendelsohn, oder Auerbachs Beschäftigung mit antiker Kultur. Allzu plakativ findet Wittes Polarisierungen und Auslegungen. Den von Witte konstruierten Gegensatz zwischen Homer und Moses, Antike und Judentum, Gewalt und Friede kann Böhme nicht erkennen.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 03.01.2019

Rezensent Gustav Seibt kritisiert Bernd Wittes Versuch, eine andere Geschichte der deutschen Kultur zu schreiben. Dass der Autor den aus älteren Einzelstudien kompilierten Text mit der zentralen These, die deutsche Kultur habe den jüdischen Moses verschmäht und damit die Judenvernichtung ermöglicht, ausgerechnet an Thomas Manns Joseph-Romanen vorbeinavigiert, kann er nicht verstehen. Oder nur zu gut, erkennt er in ihnen doch einen mächtigen Einspruch gegen Wittes Vorstellung. Doch auch ohne Thomas Mann erscheint Seibt Wittes These kaum haltbar. Die Belege aus dem Erbe der deutschen Klassik, die der Autor liefert, findet Seibt nicht überzeugend.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.11.2018

Micha Brumlik denkt mit Bernd Wittes Buch über die Griechenlandbegeisterung der deutschen Klassik nach. Wie der Autor die Verdrängung des Judentums zugunsten der Antike dem deutschen Idealismus, Goethe und Schiller, in die Schuhe zu schieben versucht, findet er lesenswert, wenngleich ihn die Thesen im Band auch ratlos machen. Dass nicht zuletzt deutsche Juden selbst die griechische Kultur studierten, weiß der Autor freilich auch, stellt Brumlik fest. Die dialektische Anlage des Textes ist es, die den Rezensenten letztlich vor allem beeindruckt.