Magazinrundschau - Archiv

Le Monde

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Magazinrundschau vom 30.01.2007 - Le Monde

In einer Reportage berichtet Annick Cojean über den Widerstreit von Laizismus und Fundamentalismus in französischen Krankenhäusern, das heißt die religiösen, kulturellen und ethischen Konflikte, die sich bei der Behandlung Angehöriger unterschiedlicher Religionen in Krankenhäusern ergeben und bis hin zu Handgreiflichkeiten führen können. Nach Auskünften betroffener Ärzte ist es demnach gelegentlich schwierig bis unmöglich, eine muslimische Frau überhaupt untersuchen zu können, andere Ärzte wiederum haben Probleme damit, zur Aufrechterhaltung der "Familienehre" vor einer Heirat die Jungfernhäutchen junger Frauen wiederherzustellen. Ein Gynäkologe berichtet: "Im Entbindungssaal hat mir einmal ein Mann gesagt: 'Rühren Sie meine Frau nicht an.' Und ich habe geantwortet: 'Halten Sie die Klappe! Hier bin ich der Chef! Ich werde ihre Frau respektieren, ihr nicht in die Augen sehen und Ihr Baby sicher auf die Welt bringen. Aber keine Diskussionen!' So. Anschließend habe ich den Vater, nachdem die Nabelschnur durchtrennt war, ein Gebet ins Ohr seines Kindes sprechen lassen."

Magazinrundschau vom 12.09.2006 - Le Monde

Als ein "lauerndes Monster, das beim geringsten Anlass erwacht," bezeichnet der amerikanische Fotoreporter Stanley Greene in einem Interview den Rassismus in Amerika. Greene, der vor allem durch seine Dokumentation des Tschetschenien-Krieges bekannt wurde und kürzlich im Irak fotografierte, zeigt derzeit im Rahmen des Festivals Visa pour l'image auch Bilder, die er nach dem Hurrikan Katrina in New Orleans aufgenommen hat. Katrina, so Greene, habe wie ein "Entwickler" auf den flächendeckenden Rassismus in den Vereinigten Staaten gewirkt. Mit seinen jüngsten Bildern aus New Orleans wolle er den "Zynismus" der Wiederaufbaumaßnahmen entlarven. "Dieselben Leute sitzen noch immer in derselben Scheiße. Das Ziel ist nicht, die Leute wieder zurückzuholen, sondern eine weiße und lukrative Stadt aus New Orleans zu machen. Die Stadt wurde von Sklaven angelegt, im Gegensatz zu Baton Rouge in Louisiana, das die Konföderierten gegründet haben. Viele Amerikaner haben in New Orleans einen Sündenpfuhl gesehen. Für sie sind die Überschwemmungen nun ein Mittel, Prostitution, Verbrechen und Drogen loszuwerden und stattdessen Investitionen anzukurbeln. Deshalb hängen überall diese Schilder mit Anzeigen von Immobilienhändlern. Die Investoren suchen überall nach den Eigentümern der zerstörten Häuser. Die sie ihnen dann für 10.000 Dollar abkaufen. Katrina ist der größte Raubzug aller Zeiten."

Magazinrundschau vom 23.08.2005 - Le Monde

In Le Monde gibt Michel Houellebecq dann persönlich Auskunft über sein Buch und seine Schreibgewohnheiten. Er erklärt, dass er am liebsten schreibe, wenn er "noch nicht ganz wach" ist. Außerdem habe er nach dem Schreiben des jüngsten Buchs eigentlich den "Geschmack an Science-Fiction" und dem Thema Klonen schon wieder verloren. "Ich habe den Eindruck, dass mich das alles nur interessiert hat, um es schreiben zu können." So sei es ihm auch schon mit dem Thema seines Romans "Plattform" gegangen. Schließlich bekennt er, "militanter Schopenhauerianer, und deshalb Antihegelianer" zu sein. Nietzsche habe den "Zugang zu Schopenhauer nachhaltig versperrt". Allerdings verdanke er ihm seinen ersten "öffentlichen Auftritt". Im Gymnasium habe er bei der Nietzsche-Lektüre im Deutschunterricht dessen Text über den "letzten Menschen" widersprochen. "Ich wurde aus dem Kurs ausgeschlossen und bin mit der Würde eines Märtyrers gegangen. Und dann habe ich Schopenhauer entdeckt und festgestellt, dass Nietzsche nur einen winzigen Teil von dessen Denken abdeckt."

Magazinrundschau vom 01.03.2005 - Le Monde

Vor 20 Jahren zeigte Claude Lanzmann (mehr) erstmals "Shoah", seinen Film über die Ermordung der europäischen Juden. In einem Artikel gesteht der Regisseur nun, dass er lange keinen Namen für den Film hatte und ihn, wenn das möglich gewesen wäre, am liebsten ohne Titel gelassen hätte. Für sich nannte er ihn "die Sache", eine Möglichkeit, "das Unbenennbare zu benennen". Der Begriff "Shoah" sei ihm erst ganz am Ende seiner Arbeit eingefallen, weil er eigentlich kein Hebräisch könne und seinen Sinn nicht verstand. "Aber auch für jene, die hebräisch sprechen, ist 'Shoah' vollkommen unangemessen. Der Begriff taucht in der Bibel in mehreren Zusammenhängen auf, er bedeutet 'Katastrophe', 'Zerstörung', 'Vernichtung', es kann sich dabei aber auch um ein Erdbeben oder eine Überschwemmung handeln. Nach dem Krieg haben Rabbiner willkürlich entschieden, dass er 'die Sache' bezeichnen solle. Für mich war 'Shoah' ein Bezeichnendes ohne Bezeichnetes, eine Verkürzung, undurchsichtig, ein unzugängliches Wort, unzerlegbar wie ein Atomkern." Lanzmann entschied sich dennoch dafür, und als ihn jemand vor der Premiere nach dem Titel des Films und seiner Bedeutung fragte, habe er geantwortet: "Ich weiß nicht, was 'Shoah' bedeutet." - "Aber das muss man erklären, das wird kein Mensch verstehen." - "Genau das will ich, dass kein Mensch es versteht."

Magazinrundschau vom 15.03.2004 - Le Monde

Na gut, Le Monde ist eine Tageszeitung, aber wir behandeln sie heute mal als Magazin, weil wir sonst nicht auf zwei fulminante Artikel hinweisen können, die in der letzten Woche auf den Debattenseiten des führenden Pariser Instituts veröffentlicht wurden. Beide handeln vom Fall Cesare Battisti. Dieser italienische Ex-Terrorist lebt im französischen Exil als Krimiautor. Präsident Francois Mitterrand hatte italienischen Terroristen einst Asyl gewährt. Die heutige Regierung aber will Battisti ausliefern - gegen den Protest der gesamten Pariser Intellektuellenschaft (in Le point etwa begründet Bernard-Henri Levy seine Gegnerschaft zur Auslieferung).

Le Monde veröffentlichte als Antwort zwei Artikel italienischer Intellektueller, einen von Claudio Magris (mehr hier), der vielen ehemaligen Sympthisanten des italienischen Terrorismus heute vorwirft, für Berlusconis Medien zu arbeiten. Und einen umwerfenden Artikel von Barbara Spinelli, der Stampa-Korrespondentin in Paris. Sie verweist darauf, dass Battisti vier Morde zu verantworten hat, zwei in der Planung und zwei als Täter, und dass er zwar in Abwesenheit, aber in einem fairen Prozess mit klaren Beweisen verurteilt worden sei. Sie richtet sich direkt an die französischen Intellektuellen, denen sie vorwirft, die Geschichtsversion der Ex-Terroristen übernommen zu haben, ohne sich über die italienische Realität zu informieren: "Ich bitte Sie, sprechen Sie nicht mehr von Flüchtlingen, sondern von flüchtigen Verurteilten. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Ihre Vision unserer Gerichtsbarkeit jener gleicht, die Berlusconi Tag für Tag zum besten gibt. Auch er spricht von Sondergerichten, wie so viele angebliche Flüchtlinge. Ich nehme an, dass Sie einem ehrlichen und ehrbaren Italien helfen wollen. Nun, Sie helfen ihm nicht. Jenes Italien, das heute von Berlusconi unterminiert wird, kämpft für die Verteidigung der Institutionen, und an erster Stelle der Gerichtsbarkeit."