Claudio Magris

Utopie und Entzauberung

Geschichten, Hoffnungen und Illusionen der Moderne
Cover: Utopie und Entzauberung
Carl Hanser Verlag, München 2002
ISBN 9783446202160
Gebunden, 365 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Aus dem Italienischen von Ragni Maria Gschwend, Karin Krieger, Renate Lunzer, Madeleine von Pasztory, Petra Brauns und Elise Dinkelmann. Mit Leidenschaft, Ironie und Scharfsinn erzählt Claudio Magris in seinem Essayband von einer Vielzahl von Themen: der Rolle des Intellektuellen in der Politik, der Erfahrung der Grenze, der Frage nach dem freien Willen, und von Autoren der Weltliteratur.

Im Perlentaucher: Rezension Perlentaucher

Claudio Magris ist Literaturprofessor. Vor allem aber ist er Erzähler. Einer der schönsten Romane der letzten Jahrzehnte stammt von ihm. "Donau" heißt er und er erzählt die Geschichte des Flusses von der Quelle, von den Quellen und der Suche nach ihnen bis zur Mündung. Es ist eine große Geschichte mit einem großen Helden, aber sie besteht aus hunderten kleiner Geschichten, die Magris nicht erfunden, sondern gefunden und so aufgeschrieben hat, dass sie in seinen Erzählfluss passen. Er hat es in der Kunst, andere durch sich und sich durch andere klingen zu lassen zu großer Meisterschaft gebracht...
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 03.05.2003

Claudio Magris, ist, keine Frage, eine "Ausnahmeerscheinung". Das versichert die Rezensentin Verena Auffermann gleich zu Beginn. Ein Professor der Germanistik nämlich - lehrend und lebend in Triest -, der lesbar schreibt. Dies Buch aber, mit dem großen und viel, zu viel versprechenden Titel, scheint ihr dann doch im Grunde überflüssig. Eine Sammlung nur von Artikeln, Aufsätzen, Gelegenheitsarbeiten, von 1974 bis 1998, eine Gabe des Verlegers an den erfolgreichen und geschätzten Autor, von der der Rest der Welt so viel nicht hat. Ein rechtes Durcheinander nämlich stellen die Texte dar, der Leser muss eine "lange, lange und intensive Bildungsstrecke" an der Seite des Autors abschreiten, bis es mal wirklich interessant wird, autobiografisch oder in einem "klugen Essay" über Antigone. Nicht unsympathisch, meint Auffermann, sei auch Magris' selbstironischer Bericht von einem seiner Vorträge, über dem die Zuhörerschaft, "alte, kultivierte Damen", entschlummerte. Er, der selbst höchst kultivierte Herr, der er ist, senkte die Stimme, um keine zu wecken. All das ändert aber nichts, bedauert die selbst, wie es scheint, über der Lektüre ein wenig schläfrig gewordene Rezensentin, dass dieser Band in erster Linie das Ergebnis "publizistischer Eitelkeit" ist.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 17.04.2003

Franziska Meier ist recht angetan und etwas überrascht: Claudio Magris gelingt es in diesen Essays, seinem Gebrauchtwarenladen an Themen neue Reize abzugewinnen, meint sie. Er betätige sich als Germanist, als Zeitzeuge und kritischer Intellektueller, doch zusammengehalten werde das alles von seiner Autorenpersönlichkeit, die auch in der Übersetzung bewahrt bleibe. Magris steht der Gegenwart offensichtlich recht skeptisch gegenüber, was Meier durchaus sympathisch ist. Es ist beispielsweise spannend, schreibt sie, seinem "verfremdenden Blick" auf multikulturelle Beliebigkeit zu folgen. Allerdings fällt ihr auch eine gewisse Denkstarre auf: "Magris' Geschichten, Hoffnungen und Illusionen der Moderne sind schön zu lesen, weise, aber sie zeugen eben auch von Ratlosigkeit gegenüber der herrschenden Welt." Kurzum: ein Dinosaurier, aber einer mit viel Stil.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.02.2003

Das Lieblingsargument mancher Kollegen, bei einem solchen Sammelband handele es sich doch bloß um eine "Buchbindersynthese", möchte Hans-Martin Gauger am liebsten ganz vom Tisch fegen: Was bitte sei dagegen einzuwenden, fragt er, wenn das dort Synthetisierte doch gut ist? Insgesamt 37 Aufsätze und Essays versammelt der vorliegende Band, der ein breites thematisches Spektrum abdeckt: Philosophie und Kulturkritik, Literatur allgemein und Autoren insbesondere. Was ist Gauger aufgefallen? Erstens: Magris hat Humor. Zweitens: Er ist redlich, sachlich, belesen, vernünftig. Drittens: Er interessiert sich für religiöse Dinge. Viertens: der Triestiner Autor gewährt Einblick in eine Welt, die uns wohl vertraut ist (deutsch-österreichisch-italienische Kultur und Literatur), aber aus italienischer Perspektive. So nah uns Italien liegt, so fremd ist es uns doch geblieben, stellt Gauger erstaunt fest.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.12.2002

Michael Lützeler würdigt den Autor als den "bekanntesten italienischen Literatur- und Kulturwissenschaftler" und auch die vorliegenden Essays rechtfertigen seiner Ansicht nach den Ruf Magris'. Obwohl die meisten Aufsätze in den 90er Jahren entstanden sind, seien sie nach wie vor aktuell, lobt der Rezensent. Er rühmt Magris als gebildeten, dabei "kosmopolitischen Europäer", wobei ihm besonders gefällt, dass sich der Autor stets auf den "Dialog der Kulturen" einlasse. Die einzelnen Essays dieses Bandes haben Lützeler allesamt gefallen, wobei ihn besonders die Gedanken zu Utopie und Hoffnung angesprochen haben, in denen er Magris als "eigenständigen Schüler" von Ernst Bloch erkennt. Zudem ist er sehr beeindruckt, mit welcher Kenntnis der Autor als "Nichttheologe" die "Offenbarung des Johannes" oder das theologische Problem der "Willensfreiheit" analysiere. Weiter erwähnt er einen Aufsatz zu Goethes "Weltliteratur" als sehr "interessant", und einen Text über Hermann Hesse lobt er für seinen "luziden Exkurs" über die literarische Figur des Vagabunden.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.11.2002

Wenn ein europäischer Intellektueller von Rang wie Claudio Magris sich der Poesie eines Indianervolkes aus dem mittelamerikanischen Regenwald widmet oder der Autobiografie eines grönländischen Eskimos nachgeht, so vermutet Rezensent Steffen Richter dahinter die Intention, "noch in den entlegensten kulturellen Äußerungen das Verbindende" herauszufiltern. Steffen schildert Magris als einen Gelehrten, dem es um die Wahrung universaler Werte geht und der "beharrlich auf das Verbindende setzt" in einer Welt, die nicht zuletzt durch die Unterstützung der Medien in ein "zentrifugales Gewimmel" zersplittert wird. Diese Problematik bezeichnet Richter als den Schwerpunkt der in "Utopie und Entzauberung" versammelten Essays und kleineren journalistischen Arbeiten, die zwischen 1974 und 1998 entstanden sind, und denen der Rezensent großen Respekt zollt.