Magazinrundschau - Archiv

Cinema Scope

3 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 02.07.2019 - Cinema Scope

In einem schönen, ausführlichen Essay geht Christoph Huber dem Verhältnis des im März gestorbenen Musiker Scott Walker zum Kino nach: "In den Jahrzehnten nach den 70ern erfand er sich als in seinen Visionen kompromissloser Künstler neu. Es ging ihm darum, alle überflüssigen Exzesse aus seinem Werk zu streichen. Robert Bresson nannte er als Ideal: 'Wenn ich seine Filme sehe, sehe ich eine visuelle Entsprechung dessen, auf was ich abziele. Er greift nie auf echte Schauspieler zurück. Wenn ein Mensch seine Hand sinken lässt, dann will er nur, dass Du weißt, dass ein Mensch seine Hand sinken lässt. Das ist das Phänomen, Mensch zu sein.' Es ist diese Idee der universellen Menschlichkeit, die Walkers Spätwerk kennzeichnet: Nach dem Vorbild des Bresson'schen Konzepts des 'Modells' versuchte er sogar, die Persönlichkeit aus seiner unverwechselbaren Gesangsstimme zu streichen, um der Essenz eines Songs nicht im Wege zu stehen. Im selben Interview beschreibt Walker Bresson auf eine Art, die auch seine eigene musikalische Entwicklung zutrifft: "'Ein zum Tode Verurteiler ist entflohen' ist der erste Film, in dem er seinen Stil nahezu vollständig entwickelt hat, insbesondere was den Gebrauch von Klang betrifft. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich von Musik noch nicht vollständig verabschiedet. Erst später stellte er fest, dass Musik - insbesondere 'glorreiche Musik' (Mozart, Bach, Lully, etc.) - das Bild tatsächlich sogar flach werden lässt, wohingegen ein Klangeffekt dem Bild Tiefe verleiht. Aber kein anderer Regisseur lässt uns derart auf das blanke Rätsel des menschlichen Wesens fokussieren.' In dieser Hinsicht spielt es keine Rolle, ob das menschliche Wesen ein Unbekannter oder Marlon Brando ist, vor dem Walker in einem Stück auf 'Soused', seiner großen Zusammenarbeit mit Sunn o))) aus dem Jahr 2004, den Hut zieht, oder Pasolini, um den es in 'Farmer in the City', dem großartigen ersten Stück auf 'Tilt', geht. Darin übersetzt Walker Passagen aus Pasolinis Gedicht 'Uno dei tanti Epiloghi' (das der Künstler für seinen jungen Liebhaber Ninetto Davoli geschrieben hatte) und integriert es dann in ein anspielungsreiches Netzwerk, das auf etwas Größeres und universell Nachvollziehbareres verweist."

Zum Reinhören:

Magazinrundschau vom 03.04.2018 - Cinema Scope

Dass Hollywood seine altgedienten Recken längst nicht mehr an die großen Fleischtöpfe lässt, kann man auch als Chance begreifen - Drehbuchautor und Regisseur Paul Schrader jedenfalls tut dies auf seine alten Tagen und feuerte in den letzten Jahren einen günstig gedrehten, eigenwilligen Film nach dem nächsten raus. Mit "First Reformed", in dem Ethan Hawke angesichts einer Öko-Apokalypse Gewissensbisse umtreiben (hier unsere Kritik), drehte Schrader nun erstmals einen Film in jenem ruhigen, an Bresson, Tarkowski und Dreyer geschulten Stil, dem er in den Siebzigern mit "Transcendental Style in Film" ein ganzes Buch widmete (hier Jonathan Rosenbaums Besprechung von 1972), an den er sich selbst in seinen filmischen Arbeiten allerdings nie wagte. Am "Slow Cinema" der Gegenwart, das durch die Arbeiten von Wang Bing, Béla Tarr oder Lav Diaz geprägt ist, hat er sich dabei explizit nicht orientiert, erklärt Schrader im Gespräch gegenüber Alex Ross Perry in der aktuellen Ausgabe von Cinema-Scope: Als guter Amerikaner sieht er auch Kunstfilme in der Pflicht, sich am Markt zu behaupten. "Die Filme, die mich am meisten interessierten, orientierten sich immer noch im kommerziellen Kontext - im Gegensatz zum Festival- und Museumskontext. Das sage ich im respektvollen Hinblick auf Tarkowksi. Sobald sich das Kino von der Narration wegbewegt, muss es an einem gewissen Punkt den Tarkowski-Ring überschreiten. Und wenn dies geschehen ist, verlässt das Kino die Welt des Publikums und betritt die Welt des Museums und der Festivals. Also interessierte ich mich für Filme, die sich noch innerhalb dieses Rings positionieren - etwa 'Silent Light' (2007) von Reygadas, 'Kreuzweg' (2014) von Dietrich Brüggemann, Pawlikowskis 'Ida" (2013), offensichtlich 'Hadewijch' (2009) von Bruno Dumont, 'Lourdes' (2009) von Jessica Hausner. Das sind alles Filme, die auf gewisse Weise noch daran interessiert sind, ein Publikum zu bespielen. Es handelt sich nicht einfach um Museumsartefakte."

Magazinrundschau vom 27.02.2018 - Cinema Scope

Mit "Laissez Bronzez les Cadavres" hat das für seine extravaganten Inszenierungen bekannte, den Bild- und Stil-Fundus des italienischen und französischen Genrefilms der 60er und 70er mit dem Gestus der Avantgarde kombinierende Regie-Duo Hélène Cattet & Bruno Forzani einen Roman des Neo-Polar-Meisters Jean-Patrick Manchette auf die Leinwand gebracht. Und dies einmal mehr auf klassischem Filmmaterial, auf Super16mm - sehr zur Freude von Christoph Huber, der sich mit den beiden Filmemachern zu einem großen Gespräch zusammengesetzt hat. "Im Gegensatz zu den eher konservativen Polizeifilmen" aus der italienischen Produktion der 70er, bot sich den beiden hier "eine komplett anarchistische Perspektive", sagt Forzani. "Wenn die Frau dem Cop sagt: 'Ich will, dass Du stirbst!', dann hat uns das an die Situation der Sheriffs im Italowestern erinnert. Amerikanische Western neigen dazu, die Perspektive von Recht und Ordnung einzunehmen, wohingegen im Spaghettiwestern jede Figur Gut und Böse, Moral und Unmoral in sich vereint. ... Wenn man auf klassischem Film dreht, dann entsteht etwas Magisches. Ich denke, das kommt daher, dass man dem filmischen Universum Glaubhaftigkeit verleiht. Man schafft etwas Materielles. Digital gedreht, wäre 'Laissez...' bloß Karneval. Wir nutzten sogar Techniscope, um die Atmosphäre eines Italowesterns zu erzielen. Als wir uns ans Storyboard machten, wollten wir Pastiche-Charakter allerdings vermeiden. Was hätte das auch für einen Sinn, das finale Duell so zu drehen wie Sergio Leone, wo er es so doch schon vollkommen perfekt gemacht hat? Stattdessen ging es uns um eine fiebrige Qualität." Der Trailer vermittelt davon einen ersten Eindruck:



Außerdem: Michael Sicinski spricht mit Blake Williams über dessen experimentellen Langfilm "Prototype", in dem es darum geht, wie ein verheerender Sturm um 1900 die Entwicklung von Kino und Fernsehen befeuert. Chuck Stephens freut sich über die Wiederentdeckung eines Buchs von Stan Brakhage. Und Jonathan Rosenbaum macht auf globale Entdeckungen aus der Welt der DVDs und BluRays aufmerksam.