Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Film

3102 Presseschau-Absätze - Seite 9 von 311

Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.01.2024 - Film

Das Berlinale-Forum meldet auf Facebook, dass nun auch Suneil Sanzgiri ihre Installation "Two Refusals" wegen Unterstützung der Kampagne "Strike Germany" aus dem Festivalprogramm abgezogen hat. Zuvor hatte Ayo Tsalithaba seinen Film "Atmospheric Arrivals" zurückgerufen, um damit ein Zeichen gegen die angebliche "rassistische und faschistische Zensur der deutschen Regierung" zu setzen (für das Elend, zu dem die Hamas die Menschen im Gazastreifen, mit denen er sich angeblich solidarisiert, seit vielen Jahren verdammt, findet der Filmemacher allerdings keine vergleichbar deftigen Worte). Die unterwürfige Reaktion der Festivalsektion ärgert wiederum den Filmemacher Christoph Hochhäusler in einem Facebook-Kommentar darunter: "Es ist mir unverständlich, warum ihr so einfühlend von 'Respekt" und 'Gewissensfreiheit' schreibt, während Ayo Tsalithaba (...) eine maximal diffamierende, uniformierte Position einnimmt, die eine Diskussion gar nicht mehr zulässt. Das sanfte Säuseln eures Bedauerns gegenüber diesem Affront passt für mich nicht zu der Tatsache, dass ihr ein öffentlich finanziertes Festival seid."

Außerdem: Elmar Krekeler spricht für die Welt mit dem Schauspieler Felix Kramer, der in der ARD-Mysteryserie "Oderbruch" (besprochen in der FAZ) die Hauptrolle spielt. Bei einem Abend in Wien wurden neue, geförderte Drehbücher vorgestellt, berichtet Valerie Dirk im Standard. Magdalena Pulz porträtiert für den Tages-Anzeiger den Schauspieler Jacob Elordi. Bully Herbig dreht 2024 eine Fortsetzung seines Blockbusters "Der Schuh des Manitu", meldet David Steinitz in der SZ.

Besprochen werden Kaouther Ben Hanias "Olfas Töchter" über junge Tunesierinnen, die sich dem IS anschließen (Tsp), Adrian Goigingers "Rickerl" mit Voodoo Jürgens (Standard), die indische Netflix-Serie "Killer Soup" (Presse) und die auf Paramount gezeigte Serie "The Woman in the Wall" (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.01.2024 - Film

Rüdiger Suchsland wundert sich auf Artechock darüber, dass das Aus für die beiden Vorstände der Babelsberger Filmstudios auffallend zögerlich nach Außen kommuniziert wurde. Um die Studios, in den Neunzigern noch als Hoffnungsträger für einen international attraktiven Produktionsstandort Deutschland gehandelt, steht es in letzter Zeit sehr schlecht: "Die Pandemie hat Babelsberg getroffen, die allgemeine Kinokrise ist viel stärker geworden. Es gab Kurzarbeit und Auftragsmangel. Und es gab 2023 keine einzige Hollywoodproduktion - natürlich haben da die Streiks in den USA auch nicht geholfen. Zugleich leiden Filmstudios heute keineswegs unter Auftragsmangel. Studios sind im Prinzip gut beschäftigt. Aber die deutschen Studios können - auch wegen der Versäumnisse der Filmförderung - nicht mit der scharfen internationalen Konkurrenz mithalten. Selbst deutsche Produktionen - Kino wie Serien - drehen in Budapest und Prag oder in Rumänien. In diesen Ländern locken nicht zuletzt Steuervorteile die Produzenten."

Rettet den Stummfilm, ruft Patrick Holzapfel in der NZZ anlässlich des Stummfilmfestivals im Filmpodium Zürich. Dabei geht es ihm zwar auch, aber beileibe nicht nur ums Archivieren und Verwalten. Sondern vor allem ums freudige Wiederentdecken und Schöpfen aus den Vollen: Denn "im Stummfilm herrscht ein ungetrübter Glaube an die visuellen Möglichkeiten vor. ... Sieht man Stummfilme, kann man nicht aufs Handy schauen oder bügeln, denn man würde alles verpassen. Lässt man sich auf sie ein, merkt man erst, wie vollgetextet die meisten Bilder sind, die heute produziert werden. Ständig werden uns potenzielle Bedeutungen vorgekaut und Interpretationen ins Ohr gesetzt. Seien es Sportkommentatoren, unzählige Podcasts und Talkshows oder Filme, in denen mehr geredet wird, als man hören kann. Oft wird von unerträglichen Bilderfluten berichtet, längst aber sind es die Interpretationen der Bilder, vor denen man sich retten muss. Stummfilme bieten da trotz den bisweilen erklärenden Zwischentiteln einen anderen, durchaus befreienden Ansatz", in ihren hält sich "eine aufregende Ambiguität".

Weitere Artikel: Der Londoner Filmemacher Ayo Tsalithaba hat im Zuge der "Strike Germany"-Kampagne seinen Film "Atmospheric Arrivals" aus dem Programm des Forum Expanded der Berlinale abgezogen. Anna Bitter führt auf Artechock durch die Filme von Catherine Breillat, deren "Im letzten Sommer" (unsere Kritik) gerade in den Kinos läuft. Lukas Foerster resümiert für Cargo das Kölner Symposium "Prozessieren" über juristische Verfahren im Dokumentarfilm. Dunja Bialas empfiehlt auf Artechock die Retrospektive Claire Simon im Filmmuseum München. Arne Koltermann blickt für den Filmdienst auf die Geschichte des Radios im Film. Marian Wilhelm informiert sich für den Standard, was es mit dem neuen Berufsfeld der Intimitätskoordination bei Dreharbeiten auf sich hat. Eva Dinnewitzer schaut sich für die Presse den Hype um Jeremy Allen Whites Muskelpakete genauer an.

Besprochen werden Yorgos Lanthimos "Poor Things" (Welt, unsere Kritik), Franco Rossos Musikfilm "Babylon", der laut Robert Wagner auf critic.de "jede Menge trotzigen Groove" bietet, und die ARD-Serie "Oderbruch" (Tsp). Hier außerdem der Überblick über die Artechock-Kritiken zur aktuellen Kinowoche.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.01.2024 - Film

Unzeitgemäß, aber in seiner Mechanik komisch: "The Palace" von Roman Polanski

In der SZ verteidigt Fritz Göttler Roman Polanskis neue, nicht nur beim Filmfestival Venedig, sondern jetzt auch zum Kinostart ziemlich verrissene und allem Vernehmen nach ziemlich derbe Satire "The Palace". Ohne den Druck eines Festivals im Rücken jedoch "kann man den Film gelassener sehen, sogar Spaß an ihm haben", meint er. "Das Lachen bleibt einem oft im Hals stecken, so absurd und klamottig, derb und zotig ist das alles - so wie das Kino einst angefangen hatte, bevor Chaplin, Laurel & Hardy und Keaton dem Slapstick Eleganz verpassten. ... Gnade aber verlangt der Film gar nicht, nur die Bereitschaft, sich auf die schöne Mechanik des Komischen einzulassen. Vielleicht ist das der simple Affront, auf den Polanski aus war: einen Film abzuliefern, der - keine sogenannte ehrenwerte Abschiedsvorstellung - alle Festivalstandards ignoriert." Karsten Essen vom Filmdienst indessen hält den Film "angesichts der Unmenge an Unzeitgemäßem sowie vieler handwerklicher Fehler" für "schlicht aus der Zeit gefallen". Perlentaucher Michael Kienzl hingegen findet: "So schlecht ist der Film nun auch nicht. Im Vergleich zu Ruben Östlunds thematisch ähnlich gelagerter Reichensatire 'Triangle of Sadness' kann man Polanski seine klassizistische Genügsamkeit zugute halten." Allerdings wirke Polanskis Schabernack "ein bisschen zu steif, gediegen und angestaubt, um das Potenzial wirklich auskosten zu können".

Weitere Artikel: Hanns-Georg Rodek unterhält sich für die Welt mit der Schauspielerin Hannah Herzsprung. In Hollywood halten Stars bei Preisverleihung immer häufiger die Hand vor den Mund, bemerkt Silke Wichert in der NZZ. David Steinitz amüsiert sich in der SZ (online nachgetragen vom Tages-Anzeiger) darüber, dass die Serie "Better Call Saul" es mittlerweile zwar auf 53 Emmy-Nominierungen gebracht hat - aber noch nie auch nur einen einzigen Emmy gewonnen hat. Eva Dinnewitzer erklärt in der Presse, warum sich derzeit alle nach dem muskelgestählten Körper von Jeremy Allen White umdrehen. Der unter anderem für die beiden Meta-Medien-Komödien "Piratensender Powerplay" und "Die Einsteiger" (beide mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger) bekannte Regisseur Siegfried Rothemund ist tot, melden die Agenturen. Im Dlf Kultur erinnert Ulrich Mannes von der (nach Rothemunds Pseudonym benannten) Filmzeitschrift SigiGötz-Entertainment an den Filmemacher.

Besprochen werden Yorgos Lanthimos' "Poor Things" (Perlentaucher, FR, FAS, Standard, mehr dazu hier), Behrooz Karamizades "Leere Netze" ("ein eindrucksvoller Film über die Perspektivlosigkeit" im "Leben junger Erwachsener im Iran", schreibt Fabian Tietke in der taz), die DVD-Ausgabe von Erblin Nushis "I Love You More" ("den Namen Erblin Nushi muss man sich merken", versichert Ekkehard Knörer in der taz), Will Glucks Hochzeitskomödie "Wo die Lüge hinfällt" (FR), die ARD-Serie "Oderbruch" (taz) und die auf Disney gezeigten Serie "The Artful Dodger" (FAZ) und "Cristóbal Balenciaga" (Presse). Außerdem informiert das SZ-Team, welche Filme sich in dieser Woche lohnen und welche nicht. Der Filmdienst bietet hier seinen Überblick über alle aktuellen Filmstarts mit Filmkritiken.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.01.2024 - Film

Neugierig und getrieben vom Willen zum Wissen: Emma Stone in "Poor Things"

Yorgos Lanthimos' Frankenstein-Variante "Poor Things" nach dem gleichnamigen Roman von Alasdair Gray hatte schon beim Filmfestival in Venedig alle Herzen und den wichtigsten Preis gewonnen (unser Resümee), nun kommt der Film auch regulär ins Kino. Emma Stone spielt darin das künstliche menschliche Wesen Bella vor prächtigen Sets, sehr zur Begeisterung von FAZ-Kritiker Dietmar Dath: "Die Kulissen dieser Welt haben erfreulicherweise mehr mit Enki Bilal, Moebius und Yacek Yerka zu tun als mit dem abgebrauchten Steampunk-Dekor gängiger Kino-Retrophantastik; in ihnen lebt eher Grandville als Wes Anderson, und das Paris von 'Poor Things' stammt gar aus Benjamins Passagenvisionen, es ist ein Ort, der 'mit jedem Pflasterstein, jedem Ladenschild, jeder Stufe und jeder Torfahrt in den Traum des Passanten eingehen' kann. Bella vögelt diesen Ort zunächst in Grund und Boden. Dann schält sie sich aus der Brunft als ein Wesen, dem selbst eigener körperlicher Schmerz weniger nahegeht als das Elend anderer, ein Geistgeschöpf aus Neugier und frischer Urteilskraft." Und "wer sich der Übermacht Emma Stones in diesem Film in den Weg wirft, ist verloren." Auf SZ-Kritiker Tobias Kniebe wirkt die Wucht und Spielfreude dieser unbeugsamen Bella wie ein Befreiungsschlag: Der Film "wird angetrieben von der Lust auf Erkenntnis, einem unbedingten Willen zum Wissen, der sich für nichts mehr entschuldigen muss. ... Unvorstellbar, dass Neugier, Offenheit und Unerschrockenheit wieder die Welt beherrschen?" Ein "sehenswertes Spektakel", lobt auch tazlerin Arabella Wintermayr, gibt aber auch zu bedenken, dass der Film dem "male gaze" zuweilen ein bisschen zu sehr nachgibt. Andrey Arnold erinnert in der Presse an Lanthimos' Wurzeln im neuen griechischen Autorenfilm um 2010.

Mathis Rabe sieht auf Zeit Online die Phase der Streaming-Wars an ihre Ende geraten - mit dem lange Zeit angeschlagenen Netflix als möglichem Gewinner. Dort jedenfalls steigen die Abozahlen und Umsätze, während die von den Kinofilm-Konzernen lancierten Streamingdienste - insbesondere Disney - vor einem immer größer werdenden Milliardengrab stehen. Ein Grund dafür ist sicher auch, dass die etablierten Popkultur-Franchises, auf die Disney vor allem setzt, derzeit allesamt straucheln. "Ein wenig erinnert die Situation an die große Publikumsermüdung der Sechzigerjahre. Auch damals verschwanden die Menschen aus den Kinos, weil die Hollywoodstudios alte Erfolgsrezepte ewig zu wiederholen versuchten. Die Filmemacher der New-Hollywood-Bewegung brachten schließlich durch inhaltliche und ästhetische Experimente die Wende, Klassiker wie 'Die Reifeprüfung', 'Easy Rider' und 'Der Pate' entstanden als Alternativen zum ewigen Western- und Komödien-Einerlei des alten Hollywoods. Damals waren es nicht die großen etablierten Studiobosse, die kreative Antworten auf die Krise ihrer Branche hatten. Und alles deutet darauf hin, dass diese auch heute keine Antworten haben werden. Für den Film an sich muss das keine schlechte Nachricht sein."

Außerdem: Reinhard Kleber hört sich für den Filmdienst bei den Kinos um, wie diese die Coronapandemie verkraftet haben. Während einerseits der GenZ vorgeworfen wird, allzu prüde zu sein und kein Interesse an Sexszenen im Kino mehr zu haben, gehen nun andererseits ausgerechnet die transgressiven Drastiken aus dem aktuellen Amazon-Hit "Saltburn" auf TikTok steil, stellt Andrey Arnold in der Presse überrascht fest. Urs Bühler porträtiert in der NZZ die Schauspielerin Carmen Jaquier. Matthias Kalle resümiert für Zeit Online die Emmy Awards. Heide Rampetzreiter wagt für die Presse einen Ausblick aufs Serienjahr 2024.

Besprochen werden Roman Polanskis Farce "The Palace" ("nichts als ein schlechter Witz", ärgert sich Gunda Bartels im Tsp), die vierte Staffel von "True Detective" mit Jodie Foster (Presse, mehr dazu hier), Ayşe Polats Thriller "Im toten Winkel" (Zeit), Laura Kaehrs Dokumentarfilm "Becoming Giulia" über die Tänzerin Giulia Tonelli (FD, SZ) und Gareth Edwards' auf Disney gezeigter SF-Film "The Creator" (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.01.2024 - Film

Ermitteln in der Polarnacht Alaskas: Kali Reis und Jodie Foster in "True Detective. Night Country"

Die vierte Staffel von "True Detective" stößt auf breite Resonanz in den Feuilletons. Diesmal ermittelt Jodie Foster in der (insbesondere damals wegen der ersten Staffel hochgepriesenen) Anthologieserie. Die Kulisse bildet die Polarnacht Alaskas in einem Städtchen, in dem die Toten auf Wanderschaft gehen - und die Show wurde nicht mehr von Nic Pizzolatto, sondern von Issa López geschrieben. "Die mexikanische Horror-Spezialistin legt einen anderen Fokus auf die vertrauten Serienmotive", schreibt Andreas Busche im Tagesspiegel: "Nicht alles in Alaska lässt sich mit forensischen Methoden erklären. Aber das Übersinnliche ist in 'Night Country', anders als bei Pizzolatto, keine Genre-Folklore, sondern tief verankert in der lokalen Kultur und der verwundbaren indigenen Community."

Carolin Gasteiger hat in der SZ (online nachgereicht vom Tages-Anzeiger) rege Freude am Ermittlerinnenduo: Foster als "Liz Danvers ist ein raue, verbissene Polizistin, privat ein Wrack, im Job aber kompromisslos und fast schon genial. ... Es spricht für López, dass sie Foster einen zwar unbekannten, aber passenden Sidekick verleiht: Kali Reis, im wahren Leben Profiboxerin und 2021 erfolgreich im Thriller 'Catch the Fair One', spielt Evangeline Navarro. Die indigene Polizistin ist allein optisch eine ideale Ergänzung für Danvers: einen Kopf größer, ein breites Kreuz und viele Tattoos. Auch sie ein unglaublicher Sturschädel." Und Oliver Jungen freut sich in der FAZ: Nachdem die zweite und dritte Staffel an die famose erste kaum anzuschließen vermochten, kann diese "atmosphärisch endlich wieder mithalten".

Carolin Weidner berichtet in der taz vom Symposium "Prozessieren" der Dokumentarfilminitiative Köln, die damit den Blick auf die Darstellung von Gerichtsverfahren in dokumentarischen Formen legte. "Die zusammengetragenen Perspektiven erhellten, demonstrierten aber zuverlässig auch die Komplexität des Gegenstandes: Zwischen Wahrheitssuche und -verschleierung, versuchter Sachlichkeit und Anprangerung, Manipulation und Investigation ist alles möglich. Ein einziger Tatbestand zwingt Menschen in Rollen, macht sie zu Opfern oder Beschuldigten, Verteidigern oder Skeptikern."

Außerdem: Marian Wilhelm empfiehlt im Standard eine Liliana Cavani gewidmete Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum. Bei den Emmys bestimmten die Serien "Succession" (als beste Dramaserie), "Beef" und "The Bear" den Abend, melden die Agenturen. Der Berliner Schauspieler Kida Khdor Ramadan wird, nachdem er eine ansehnliche Gerichtsstrafe wegen mehrfachen Fahrens ohne Führerschein wohl auch wegen eines laufenden Insolvenzverfahrens nicht zahlen konnte, demnächst eine Haftstrafe antreten müssen, berichtet Nadine Brügger in der NZZ. Besprochen werden C. J. Obasis "Mami Wata" (Jungle World, mehr dazu hier) und Roman Paul Wideras Buch "Zerfallspoetik" über zerfallende Filmstreifen (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.01.2024 - Film

Reichtum als moralische Verwahrlosung: "Triangle of Sadness"

Das Gegenwartskino widmet sich vermehrt einer "satirischen Lust an den Abgründen einer im Luxus schwelgenden Elite", beobachten Ann-Kristin Tlusty und Vanessa Lara Ullrich auf Zeit Online. Der aktuellste Fall ist "Saltburn", dem Filme und Serien wie "The White Lotus", "Triangle of Sadness", "Parasite" und "Knives Out" vorausgingen. Das ist allerdings nur vordergründig kritisch und ohne analytischen Mehrwert, meinen Autorinnen: "Wo in der Realität Räume für politische Kämpfe schrumpfen, wo Ohnmacht und Abstiegsängste dominieren, kann sich das Publikum hier zumindest in der Fiktion erheben und in antikapitalistischem Wohlgefallen suhlen. ... Doch Kapitalismus ist kein moralisches Übel und wird auch nicht, wie antisemitische Tropen gern nahelegen, von einer reichen Elite orchestriert. ... Der filmisch inszenierte Klassenkampf erschöpft sich in vielen Filmen in einer moralisierenden Auseinandersetzung mit der Dekadenz der Reichen: In ihrer Kritik am Opulenten verwechseln die Serien und Filme Reichtum mit kapitalistischer Produktion. Wir sehen Geld - nicht aber, wie es entstanden ist. Wir sehen Reichtum - nicht aber, was er mit Eigentumsverhältnissen zu tun hat."

Weitere Artikel: Constance Jamet spricht für die Welt mit Jodie Foster über die vierte Staffel von "True Detective", in der Foster als Ermittlerin tief ins kalte Alaska abtaucht. Morticia Zschiesche befasst sich in einem Filmdienst-Essay mit Elem Klimows Antikriegsfilm-Klassiker "Komm und sieh" von 1985.

Besprochen werden Thomas Cailleys "Animalia" (FAZ, mehr dazu bereits hier), Anna Hints' Dokumentarfilm "Smoke Sauna Sisterhood" (Standard, unsere Kritik hier), der Animationsfilm "Robot Dreams", der bei uns erst im Mai startet (NZZ), und die im ZDF gezeigte BBC-Serie "The Outlaws" (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.01.2024 - Film

Überrascht mit Koexistenz-.Fantasie: "Animalia"

In Thomas Cailleys Fantasyfilm "Animalia" wachsen Menschen plötzlich tierische Gliedmaßen und entmenschlichen zusehends. "Der Film beginnt als Bodyhorror-Fantasie über monströse Mutationen und apokalyptische Bedrohungen, ganz klassisch in der (hier: südwestfranzösischen) Provinz angelegt", schreibt Jan Künemund im Tagesspiegel. "Und mit einer aufregenden Reihung von Schockbildern: ein verwachsenes Gesicht am Bildrand, aus dem eine Eidechsenzunge fährt, eine flüchtende Gestalt im Supermarkt mit Tentakeln, ein vom Blitz erleuchtetes Wesen mit Fischaugen und Kiemen." Aber "was 'Animalia' aus diesem genrespezifischen Unordnungen entwickelt, ist alles andere als schematisch durchgeführt und vorhersehbar." Denn der Film entwerfe "auf berührende Weise eine überraschende Koexistenz-Fantasie mit komplexen Trugbildern und stellt auf sanfte Weise neue, radikale Fragen über das Zusammenleben nach dem Rücktritt des Menschen."

Dietmar Dath und Maria Wiesner legen den Westdeutschen in "Bilder und Zeiten" (FAZ) nahe, sich mal mit dem DDR-Schauspieler Horst Drinda zu beschäftigen, der in den alten Bundesländern so gut wie unbekannt ist. Mitunter war er auf in sich ruhende Figuren spezialisiert, die alles in wenige Worte legen: "Einmal sitzt Drinda, erschöpft vom Büffeln, am Radio, und da wird ein Lied geträllert: 'Schön ist unsere Welt', danach lallte ein Denker einen Vortrag vom modernen Menschen, und Drinda fasst seufzend zusammen, diese schöne Welt, mitsamt dem modernen Menschen, könne ihn 'am Arsch lecken'. Selbst diese Müdigkeit hat was Heroisches, denn sie jammert nicht, sie raunzt höchstens ein bisschen, weil sie bald aufstehen muss und weiterkämpfen. Selten sieht man Drinda in Film und Fernsehen wütend oder aufbrausend; wenn er laut wird, geht's trotzdem noch nuanciert zu."

Außerdem: Im Filmdienst widmet sich Sebastian Seidler den Filmen des griechischen Autorenfilmers Yorgos Lanthimos, dessen "Frankenstein"-Variante "Poor Things" kommende Woche anläuft. Caroline Schluge wirft für den Standard einen Blick darauf, warum gerade die junge TikTok-Generation auf die Ekelszenen in Emerald Fennells viralem Streaminghit "Saltburn" anspringt. Valerie Dirk unternimmt für den Standard einen Streifzug durchs Thema "künstliche Reproduktion im Film". Hanns-Georg Rodek erzählt in der WamS von seiner Begegnung mit Hannah Herzsprung, deren neuer (in der FAZ besprochener) Film "15 Jahre" gerade in den Kinos angelaufen ist.

Besprochen werden Catherine Breillats Erotikdrama "Im letzten Sommer" (Tsp, Welt, online nachgereicht von der FAZ, mehr dazu hier), J. A. Bayonas "Die Schneegesellschaft" (Presse) und der Actionfilm "The Beekeeper" mit Jason Statham (Standard).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 12.01.2024 - Film

Den von der FAZ als "Brandbrief" an Claudia Roth bezeichneten Aufruf von Vertretern aus der Filmbranche (unser Resümee), doch endlich die seit geraumer Zeit angekündigten Reformen der Filmförderung (natürlich im eigenen Sinne) auf den Weg zu bringen, findet Rüdiger Suchsland auf Artechock "erstaunlich unambitioniert und übertrieben bescheiden formuliert", auch fehlen ihm unter den Aufrufern Vertreter der Filmkunst. Vor allem aber stößt er sich an der Forderung, dass es in Deutschland weniger Filme geben soll. Diese alte Forderung habe "noch nie wirklich eingeleuchtet. Denn wieso soll der deutsche Film besser werden, weil es weniger deutsche Filme gibt? Da muss ja jeder Schuss erst recht sitzen. Wir fahren in allen möglichen Bereichen - und ich glaube sehr zu Recht - Diversität. Warum wollen wir auf einmal keine Diversität bei den Filmen? Es hat wahrscheinlich niemand etwas dagegen, dass es ein paar weniger schlechte deutsche Filme gibt. Vielmehr geht es darum: Wer entscheidet denn darüber, was ein guter und was ein schlechter Film ist? Und darüber, welche Filme es in Zukunft nicht mehr geben darf? Wenn es nur um die Frage geht, womit Kinobetreiber Geld verdienen können, dann handelt es sich ganz bestimmt nicht um Filme, die bei einem Festival wie Cannes oder Venedig irgendwelche Preise gewinnen."

Weitere Artikel: Der als Soldat im Einsatz befindliche "Fauda"-Star Idan Amedi wurde bei einem Militäreinsatz in Gaza schwer verletzt, meldet Philippe Zweifel im Tages-Anzeiger. Besprochen werden Catherine Breillats "Im letzten Sommer" (critic.de, unsere Kritik), Thomas Cailleys Science-Fiction-Film "Animalia" (ZeitOnline), die Netflix-Serie "Berlin", die ein Spin-Off von "Haus des Geldes" ist (TA), der Actionfilm "The Beekeeper" mit Jason Statham (FR) und Sophie Barthes' Science-Fiction-Film "Baby to Go" über eine Zukunft, in der Männer Kinder austragen (Welt).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 11.01.2024 - Film

Der Rest der Welt als Störsignal: "Im letzten Sommer" von Catherine Breillat

Eine Anwältin hat eine Affäre mit ihrem 17-jährigen Stiefsohn - willkommen in "Im letzten Sommer", dem neuen Film von Catherine Breillat, die auf abgründige Liebesgeschichten spezialisiert ist. SZ-Kritiker Philipp Stadelmaier fühlt sich von diesem Film bestrickend angekantet: Er ist "teilweise so kühl und spröde, dass der Film sich kaum darum schert, irgendwem zu gefallen. Trotzdem oder genau deswegen, verfällt man ihm gnadenlos." Zumal die Sexszenen "außergewöhnlich sind. Wir sehen nicht das übliche Gebalge und Gestöhne, sondern durch die Körper hindurch. Ein ekstatisch durchgestreckter Hals wird zur Brücke in ein Reich des Begehrens." Auch Bert Rebhandl vom Standard ist sehr angetan: "Was ist Wahrheit, wer hat die Macht, seine Version durchzusetzen? All das spielt 'L'été dernier' bis zu einem angemessen offenen Ende virtuos durch." FR-Kritiker Daniel Kothenschulte winkt hingegen ab: "Halbherzig bleibt die Sache schon".

Breillats "Filme zeigen genug Welt, um uns einen Abgleich mit unserer eigenen Lebenswelt zu erlauben - aber nicht mehr", schreibt Lukas Foerster im Perlentaucher. "Sie betten den Sex in den Fluss des Alltags ein, in diesem Fall in die Routinen einer ökonomisch saturierten Patchworkfamilie", doch "anders als viele andere in einem konventionelleren Sinn freizügige französische Alltagsdramen ordnen sie ihn diesem Fluss nicht unter. Schon mit Théos erstem Auftritt, wenn er faunartig, mit nacktem Oberkörper an einem Türrahmen lehnt, ist es um Anne geschehen. Fortan gibt es keinen Fluss des Alltags mehr, nur noch eine Kaskade der Blicke und Berührungen, die den Rest der Welt zum bloßen Störsignal degradieren. Breillat weigert sich, das Sexuelle auf einen bloßen Bestandteil der sozialen Realität neben anderen zurecht zu schrumpfen. Auch als gebrochenes bleibt das Tabu in ihren Filmen in gewisser Weise in Kraft, es insistiert als ein obsessiver Rest, der sich den Trägheitskräften, dem Drift in Richtung Normalisierung widersetzt."

Im Filmdienst-Gespräch mit Michael Ranze erklärt Breillat das Programm ihrer Filmografie: An der Abschaffung von Tabus sei ihr nicht gelegen, sondern sie zeige "Tabuüberschreitungen, damit man sie sehen kann, um feststellen zu können, warum sie verboten wurden, ob es nötig war, sie zu verbieten. Ich gehe auch immer von der Überzeugung aus: Um sich selbst erkennen zu können, muss man sich wiedererkennen können, das heißt, man muss in seiner Ganzheit dargestellt und erfasst werden. Im Film wird alles, was mit Sexualität zu tun hat, quasi an den Pornofilm relegiert. Dort soll sie aufgehoben sein. Im Spielfilm spielt die Sexualität des Menschen keine Rolle. Im Porno haben wir Sex ohne Seele, Haut ohne Seele, Geschlechtsteile ohne Seele. Im Spielfilm fehlt dieser Aspekt der menschlichen Identität, die zu uns gehört. Es ist eine Verpflichtung, diese beiden Bereiche wieder zu versöhnen und den Menschen in seiner Komplexität, in jeglichem Aspekt der Sexualität, zu erfassen und darzustellen."

Besprochen werden Kitty Greens Thriller "The Royal Hotel" (Perlentaucher, FAZ, taz), Chris Kraus' "15 Jahre" mit Hannah Herzsprung (FR), C.J. Obasis nigerianischer Thriller "Mami Wata" (Tsp, FD, mehr dazu bereits hier), Thomas Cailleys Arthouse-Fantasyfilm "Animalia" (Standard), der Actionfilm "The Beekeeper" mit Jason Statham (taz) und die Arte-Doku "Kim Kardashian Theory" (taz), Außerdem verrät die SZ, welche Filme sich in dieser Woche lohnen und welche nicht. Der Filmdienst gibt hier einen Überblick über alle Kinostarts mit allen Filmkritiken.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 10.01.2024 - Film

Das Schwarzweiß ist zutiefst politisch: "Mami Wata" von C.J. Obasi

C. J. Obasis nigerianischer Thriller "Mami Wata" gehört für tazler Fabian Tietke zu den "visuell beeindruckendsten Filmen des letzten Jahres". Das hochkontrastive Schwarzweiß des Films ist dabei kein bloßer Selbstzweck, sondern "hat gleich mehrere Funktionen: Erstens entrückt es die Handlung in eine mystische Sphäre und unterstreicht den allegorischen Charakter des Films. Zweitens greift der Film in seiner Bildsprache auch filmische Traditionen von den Anfängen des afrikanischen Kinos nach der Unabhängigkeit auf, zugleich verweist Obasi aber in einem Interview mit dem Branchenblatt Screen Daily auf Bildtraditionen des Weltkinos wie die Filme von Akira Kurosawa. Drittens ist die Wahl des Schwarz-Weiß auch ein Ausweichmanöver: Denn bis heute basieren gängige Farbverfahren im Film auf Standardisierungen aus der Zeit des Analogfilms, die in erster Linie mit Blick darauf entwickelt wurden, weiße Körper leinwandwirksam abzubilden. Das Schwarz-Weiß der Bilder, die Obasi und Soares für ihren Film entwickelt haben, ist also zutiefst politisch."

"Als Massenmedium und kollektive Kunstform des 20. Jahrhunderts ist das Kino vielleicht gestorben", sagt der Filmemacher Nicolas Windig Refn, der in letzter Zeit vor allem Serien und zuletzt einen viertelstündigen Kunstfilm für Prada gedreht hat, im SZ-Gespräch. Aber in "neuen Formaten" sei es doch "wiederauferstanden", gibt er selig zu Protokoll: "Das Kino ist heute sehr lebendig, in einem radioaktiven Sinne. Es ist überall um uns herum und in uns, in unseren Genen, unserem Blut. ... Am Ende des Tages verkörpert Kino etwas, was nie verschwinden wird: das Vergnügen an einer gemeinsamen Erfahrung." Nur "Content ist unser Untergang in einer untergehenden Welt. Dabei können gerade Filme die Grenzen der Netzhaut überwinden, in den Geist eindringen! Aber dazu müssen sie erst einmal verletzen, Spuren hinterlassen, Stillstand und Schweigen können uns verletzen. Wenn wir uns hier zwanzig Minuten anschweigen würden, wäre das hochinteressant."

Außerdem: Die Signa-Pleite hat auch Folgen für den Hedy-Lamarr-Nachlass, berichtet Olga Kronsteiner im Standard. Jan Küveler resümiert für die Welt die Golden-Globes-Verleihung. Besprochen werden Garth Davis' "Enemy" mit Saoirse Ronan (Standard), Chris Kraus' "15 Jahre" mit Hannah Herzsprung (FD), die ARD-Doku "Beckenbauer" (ZeitOnline) und die Marvel-Serie "Echo" (FAZ).