Uwe Tellkamp

Der Turm

Geschichte aus einem versunkenen Land. Roman
Cover: Der Turm
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
ISBN 9783518420201
Gebunden, 1000 Seiten, 24,80 EUR

Klappentext

Hausmusik, Lektüre, intellektueller Austausch: Das Dresdner Villenviertel, vom real existierenden Sozialismus längst mit Verfallsgrau überzogen, schottet sich ab. Resigniert, aber humorvoll kommentiert man den Niedergang eines Gesellschaftssystems, in dem Bildungsbürger eigentlich nicht vorgesehen sind. Anne und Richard Hoffmann, sie Krankenschwester, er Chirurg, stehen im Konflikt zwischen Anpassung und Aufbegehren: Kann man den Zumutungen des Systems in der Nische, der "süßen Krankheit Gestern" der Dresdner Nostalgie entfliehen wie Richards Cousin Niklas Tietze - oder ist der Zeitpunkt gekommen, die Ausreise zu wählen? Christian, ihr ältester Sohn, der Medizin studieren will, bekommt die Härte des Systems in der NVA zu spüren. Sein Weg scheint als Strafgefangener am Ofen eines Chemiewerks zu enden. Sein Onkel Meno Rohde steht zwischen den Welten: Als Kind der "roten Aristokratie" im Moskauer Exil hat er Zugang zum seltsamen Bezirk "Ostrom", wo die Nomenklatura residiert, die Lebensläufe der Menschen verwaltet werden und deutsches demokratisches Recht gesprochen wird.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 15.10.2008

Im Aufmacher der Literaturbeilage blickt Dirk Knipphals auf seine Lektüre von Uwe Tellkamps "Der Turm" zurück wie auf eine lange Reise: Es sind die Details von Tellkamps Roman über den Untergang der DDR, die ihm besonders im Kopf hängen geblieben sind und die in seiner Rezension ausgiebig schildert. Zwar war der Beginn der Reise kein unbeschwerter - dem standen der "gestelzte" Vorgängerroman und ein umständlicher Beginn der Erzählung im Weg. Ab "Seite 54", versichert Knipphals, gab es dann aber kein Zurück mehr. Obwohl Tellkamp ein großes erzählerisches Spektrum mit zahlreichen Schauplätzen und Lebensläufen entwerfe, die er zudem mit einer Vielzahl literarischer Mittel darstelle, gelingt es ihm nach Knipphals Ansicht, die Details zu einer "inneren Geschlossenheit" zusammenzufügen. Dazu setze er geschickt wiederkehrende Motive und seine Fähigkeit zur differenzierten Schilderung von Lebensläufen ein, lobt Knipphals. Auf einen Wenderoman will der Rezensent dieses Buch schließlich nicht reduziert wissen: Über das Erzählte hinaus arbeite Tellkamp am "Projekt einer Rückgewinnung des Epischen". Knipphals lässt keinen Zweifel daran, dass diese Lesereise für ihn ein "einschneidendes Leseerlebnis" gewesen ist.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 11.10.2008

Als "endzeitliches Panorma" würdigt Beatrix Langner diesen Roman Uwe Tellkamps über die Spätphase DDR. Das Werk ist in ihren Augen die erste geschichtsphilosophische Deutung dieser Zeit, die ein deutscher Schriftstellers versucht. Dabei unterstreicht sie Tellkamps Anspruch, die "historische Totalität" dieses Epochenbruchs abzubilden, und zwar in einer "symbolischen, gleichnishaften" Erzählweise. Im Mittelpunkt des weit verzweigten Romans sieht Langner die Geschichten der bildungsbürgerlichen Bewohner des Dresdner Turmstraßenviertels in den Jahren 1982 bis 1989 - Intellektuelle, Chirurgen, Verlagslektoren, Kombinatsdirektoren, Rechtsanwälte - und näherhin der Familien Rohede und Hoffmann. Hier einzudringen scheint ihr wie ein "Tauchgang in eine von chemischen Trübungen verdunkelte Unterwassertopografie". Sie attestiert Tellkamp, den Mythos einer intellektuellen Opposition im Innersten der DDR "aggressiv und gründlich" zu entlarven. Langner kommen bei der Lektüre Vergleiche mit großen Namen in den Sinn. Der "dramatische Gestus" des Werks erinnert sie an Alfred Döblin, bei der Figur des Lektors Meno Rohde denkt sie an den charismatischen Jarno aus Goethes Altersroman "Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden", der auf 1145 Seiten den Anbruch des bürgerlichen Zeitalters schildert. Für sie ist dieser Roman ein "verspäteter, ein nachgeholter Vatermord", was man als Lob zu verstehen hat.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 25.09.2008

Mangelnde Welthaltigkeit kann man diesem Dresdner Familien- und Geschichtsroman von Uwe Tellkamp wirklich nicht vorwerfen, meint die merklich beeindruckte Rezensentin Sabine Franke. Tellkamps Roman, in dessen Zentrum der Arzt Richard Hoffmann, sein ehrgeiziger Sohn Christian und der als Lektor tätige Schwager Meno Rohde stehen, spielt 1982 in einer bürgerlichen Enklave, einem Villenviertel in Dresden, berichtet die Rezensentin. Man hat sich eingerichtet im Spagat zwischen staatskonformer Unauffälligkeit und einem vergangenheitsverhafteten Bildungsbürgertum, wobei der Untergang der DDR auch diesen "Elfenbeinturm" niederreißen wird, so Franke. Tellkamp pflegt, der Rückwärtsgewandtheit seiner Protagonisten angemessen, einen altmodischen, "gediegenen" Stil, der nicht von ungefähr an den "klassischen bürgerlichen Familienroman" erinnere, hält Franke fest. Akribisch notiere der Autor die Details des DDR-Alltags, so dass dieser Familienroman nicht zuletzt das Verdienst hat, einen "Erinnerungsschatz" zu konservieren, wie die Rezensentin anerkennt. Auch wenn dieses Buch autobiografische und schlüsselromanhafte Züge habe, so werde in ihm nicht zuletzt Geschichte "erfahrbar" und nachvollziehbar. Und weil Tellkamp seine Figuren so eindrücklich schildert, würde die gefesselte Rezensentin zu gern wissen, wie es ihnen in der Nachwendezeit ergangen ist, in die der Autor sie am Ende entlässt. Das verstehen wir als Bitte um Fortsetzung.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.09.2008

Mächtig beeindruckt ist der Rezensent Andreas Platthaus von diesem mächtigen Roman. Höchst ambitioniert entwerfe Uwe Tellkamp in dem tausendseitigen Werk den Kosmos der untergehenden DDR völlig wiedererkennbar und völlig neu als Musik aus Gedanken, Worten, Figuren, Realität und Fantasie. "Hunderte von Figuren" siedeln in dieser Welt. "Der Turm" ist ein DDR-, ein Welt-, aber auch ein Familienroman. Nach der Ouvertüre, die für sich steht, kehrt der siebzehnjährige Christian Hoffmann heim zum fünfzigsten Geburtstag des Vaters, ins Dresdener Viertel des "Weißer Hirsch", das real ist, aber auch wie im Märchen. Eine rückwärtsgewandte Turmgesellschaft und eine DDR-"Menagerie staatstreuer Feingeister" a la Hacks und Hermlin, so Platthaus, sind die beiden Großmilieus, die Tellkamp schildert. Und durchwirkt ist alles mit Anspielungen auf große Vorbilder, von den Dichtern der Romantik bis zu Heimito von Doderer und Thomas Mann. Die deutsche Literatur hätte Tellkamp, so viel kritische Anmerkung muss dann doch sein, nicht auch noch - und so deutlich ausgestellt - aufheben müssen in seinem Riesenwerk. Dass es sich um eine singuläre Leistung der Gegenwartsliteratur handelt, daran lässt Platthaus im Gegenzug aber auch keinen Zweifel.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 18.09.2008

"Dieses Buch steht außerhalb der Zeit", beginnt Rezensent Helmut Böttiger seine Hymne auf Uwe Tellkamps lang erwartetes Opus Magnum, das seinen Informationen zufolge im Milieu Dresdner Bildungsbürger spielt, die in der DDR im Stadtteil "Weißer Hirsch" überwintern, und dort eine Tradition bewahren, die in der BRD mit 1968 verschwunden ist. Das 1000-Seiten-Format veranlasst ihn aber auch zur Warnung;: "Das ist der Buddenbrooks-Komplex!" Zunächst fühlt er sich wie ins 19. Jahrhundert versetzt, in ein "behagliches, zurückgezogenes, deutsches bürgerliches Erzählen". Es sei ja tatsächlich eine "stillgelegte Zeit", die hier beschrieben und werde, schreibt Böttiger zunehmend fasziniert von der "Kulturversunkenheit" des beschriebenen Milieus, die er als metaphysischen Widerstand gegen die DDR versteht. Gut, es gibt lange, ausgesponnene Handlungsfäden, die viele verschiedene Personen miteinander verbinden. Manche sind realen Personen nachgebildet, erfahren wir auch vom Rezensenten, der Peter Hacks zu erkennen glaubt oder Manfred von Ardenne. Einige Kapitel wirken dagegen überflüssig auf ihn. Dennoch mag Böttiger keine Seite missen. Denn aus seiner Sicht wurde das Leben in der DDR noch nie so schonungslos, so radikal, so ohne Illusionen in solch sozial- und alltagsgeschichtlicher akribischer Weise dargestellt, wie in diesem "großangelegten Selbstvergewisserungsversuch".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.09.2008

In den höchsten Tönen preist Jens Bisky diesen Roman von Uwe Tellkamp über die Spätphase der DDR. Es ist für ihn ein Werk, das jeder lesen muss, der wissen will, "wie es denn wirklich gewesen". Er bescheinigt dem Autor, mit seiner kurz nach Breschnews Tod einsetzenden und im Herbst 1989 endenden Geschichte einer Dresdner Familie von Bildungsbürgern ein großartiges Panorama zu entwerfen, das die Schichten und Milieus der DDR-Gesellschaft von der Intelligenzija, der Nomenklatura, den Ausreisewilligen, den Arbeitern bis zu aufmüpfigen Künstlern und bösartigen Nachbarn erfasst. Besonders beeindruckt hat Bisky das enorme erzählerische Können Tellkamps. Er schwärmt von den epischen, niemals langweiligen Schilderungen, der souveränen Komposition des Romans, seiner Stimmigkeit, den zahllosen, nie aufdringlichen literarischen Anspielungen und Symbolen. Außerdem entfaltet der Roman nach seinem Empfinden eine soghafte Wirkung, der man sich nicht entziehen kann. "So wie wir heute die Welt des Bürgers mit den Augen Thomas Manns sehen", hält Bisky fest, "werden spätere Generationen in Tellkamps Roman Erstarrung und Implosion der DDR nacherleben können." Sein Fazit: ein "Meisterwerk".
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