Durs Grünbein

Porzellan

Poem vom Untergang meiner Stadt
Cover: Porzellan
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005
ISBN 9783518417225
Gebunden, 70 Seiten, 14,80 EUR

Klappentext

"Komm ins Zentrum. Und wo liegt das? Unterm Stolperstein / Dir zu Füßen, tief im Erdreich." Der hier auffordert, ihm in die Unterwelt, an den Ort der Orte zu folgen, sieht mit dem inneren Auge das glanzvolle und düstere Bild einer, seiner Stadt: er sieht das Augusteische Dresden, den Ursprungsort des weißen Goldes, ein Zentrum des Erfindungsreichtums und Gewerbefleißes, das Elbflorenz der Vedutenmaler und der Flaneure - und er sieht das Dresden der totalen methodischen Zerstörung, den ausgebrannten Skelettbau. Es ist dieses Menetekel, die bis heute nicht gelöschte Flammenschrift auf Dresdens Steinen, die den Dichter nicht ruhen lässt: "Was hätte sein können, wenn ?"

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 26.01.2006

Einfach nur schrecklich findet Rezensentin Katharina Döbler Durs Grünbeins Poem zur Zerstörung Dresdens, für das er das Bild des Porzellans für ihren Geschmack reichlich überstrapaziert. "Schönheit und Zerbrechlichkeit, Hybris und Untergang" werden so unerbittlich zusammengereimt, dass die Rezensentin sich gelegentlich an die "Kalauer eines blödelnden Fernseh-Entainers" erinnert fühlt ("Von der bella ante bellum - nichts mehr da"). Meist aber sind ihr Bilder und Reimschema einfach zu bieder. Und das "altväterliche, offen patriarchalische Frauenbild" findet sie ebenfalls recht unzeitgemäß. Fragwürdig schließlich kommt ihr vor, was Grünbein daraus folgert, dass die Frauenkirche nach der Bombardierung noch einige Tage stand, bevor sie zusammenbrach: "so wie sie die Haltung wahren."

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 24.12.2005

Geradezu ärgerlich findet Rezensent Nicolai Kobus die "handwerkliche" Fertigkeit des Dichters Durs Grünbein. "Schrecklich elegant" wie immer setze er seine Reime - "gerade die unreinen" - und reiche dem Leser "erlesenes Tongut" zum Genusse. Doch genau das sei ärgerlich, denn was sich in oder hinter dieser Formvollendung verberge, sei fatalerweise "hohl". Warum, fragt der Rezensent, musste Grünbein seine - vermeintlich untergegangene - Heimatstadt Dresden unbedingt in "enzyklopädischer" Manier beschreiben (und dazu noch als deutsches Troja und Pompeji!), statt "sprechende Details" zu sammeln? Neben Bach, der sich noch einmal an die Orgel setzen müsse, werde das gesamte historische Personal bemüht und in "trochäischem Gleichmaß" abgespult. Die "nicht unheikle" Geschichte Dresdens, so der irritierte Rezensent, hätte eine andere Handhabe verlangt als Grünbeins "verunglückten Zynismus", der mitunter - und nicht zuletzt aufgrund der zahl- und stillos gebrauchten Redensarten - nahtlos ins "Peinliche" übergehe. Und so wirke das als "elegisches Memorial" angedachte historische Panorama mit dem "großgestischen Titel" schließlich so lebhaft wie "Stellwanddokumentationen in Geschichtswerkstätten".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.10.2005

Durs Grünbein will die Zerstörung Dresdens in der "großen Form" einfangen und scheitert daran, meint Jürgen Verdofsky. Sein über 14 Jahre hinweg geschaffenes Großpoem hat weder "Anfang noch Ende", das Grauen präsentiert sich als "Endlosschleife", die in der Metapher des zerschlagenen "Meißner Porzellans" Pogromnacht und Bombenhagel gleichermaßen zu fassen versucht, so der Rezensent. Ihn irritiert der niemals "abbrechende Blankvers" des Lyrikers, der weder angesichts der Toten noch der Zerstörung je verstummt, und er kritisiert, dass Grünbein, wo er individuelle Schicksale schildert, gar ins "Elegische" abgleitet. Auch die "grotesken Verfremdungen" die der Lyriker bemüht, um nicht in einen an den "O-Ton" von Guido Knopps TV-Dokumentationen zu geraten, was ihm hin und wieder trotzdem passiert, findet der Rezensent nicht wirklich angemessen. Das eigentliche Scheitern des Werkes aber macht Verdofsky an der "ästhetischen Überzeugung" Grünbeins fest, mit dem unermüdlichen Versemachen den eigentlich "unbeherrschbaren" Stoff dennoch in den Griff zu bekommen. Dass ihm dabei dennoch mitunter sehr "eindringliche Bilder" gelingen, kann das "diffuse Licht", das gewöhnlich Denkmälern eigen ist und das auch von diesem Werk ausgeht, nicht aufhellen, so der Rezensent bedauernd.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.10.2005

Ist es zunächst ein "Unbehagen", das Thomas Steinfeld angesichts dieses Gedichtbandes um die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 von Durs Grünbein befällt, steigert sich das bei weiterer Lektüre zum Unmut und wächst sich zum regelrechten Ärger aus. Schon das Possessivpronomen des Untertitels irritiert den Rezensenten und nährt den "Verdacht", diese Gedichte seien "nicht ganz redlich" entstanden. Die Information, Grünbein habe über ein Jahrzehnt hinweg immer im Februar daran gearbeitet, lässt einen "poetischen Totenkult" oder ein "dunkles Ritual" vermuten, mokiert sich Steinfeld, der auch den "antikisierenden Vers", der als Markenzeichen des Lyrikers gilt, dem Gegenstand nicht recht angemessen findet. Dem Rezensenten ist nicht ersichtlich, wo der "Gewinn" dieser "immer hübsch jambisch" aneinander gereihten Verse liegt und er fühlt sich an ein "empfindsames Nähmaschinchen" erinnert, wie er boshaft anmerkt. Was ihn aber richtiggehend ärgert ist das "Prinzip" der "antikisierenden Verlebendigung", die in ihrem Ergebnis schlicht "pornografisch" ist, so Steinfeld. Mit den "grellen, allzu eindringlichen, aufdringlichen" Bildern entstehe "falsches Pathos, Dienst an der Sensation" und sei am Ende nichts als "schlechter Journalismus", regt sich der Rezensent auf. Für ihn ist dieser Gedichtzyklus reines "Kunstgewerbe" und er findet es ziemlich geschmacklos, wie Grünbein das Thema der Zerstörung Dresdens mit seinen mehreren zehntausend Toten in eine "äußerst preziöse Form der lyrischen Verwurstung" bringt.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.09.2005

Michael Braun ist generell kein Freund von Durs Grünbeins Hang zum Klassizismus, und auch dessen Poem vom Untergang seiner Stadt, Dresden, "Porzellan", findet keine Gnade vor den Augen des Rezensenten. Die Stimmen, die jene fernen Bomben-Schrecken in einer "Sprache der Trauer" beschwören sollen , geraten durcheinander, findet Braun. Vom Elegischen gleitet der Dichter immer wieder ab in "Spott und kühlen Fatalismus". Dadurch findet das Werk niemals "eine angemessene Sprache für das Trauma des Untergangs". Braun steht auf dem Standpunkt, das Form- und Reimspiel vertrüge sich nicht mit "der Beschwörung des Furchtbaren". Im Ergebnis attestiert Braun Grünbein "bemühte Feierlichkeit", und, schlimmer noch, "unfreiwillige Komik". Braun benennt das als "metaphorische Peinlichkeit". Auch sachlich findet der Rezensent Mängel. Wenn das Subjekt des Gedichts, nach Selbstauskunft ein Träumer, darüber nachsinnt, dass das Gelingen des Stauffenberg-Attentats auf Hitler die Landung in der Normandie hätte verhindern können, findet Braun eine sehr einfache Antwort: Nein. Und auch die Erklärung ist sehr einfach: Als Stauffenberg den Koffer mit der Bombe unter Hitlers Planungstisch abstellte, waren die Alliierten in Frankreich bereits gelandet.

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