Theodor W. Adorno, Gershom Scholem

Theodor W. Adorno / Gershom Scholem: Briefwechsel 1939-1969

Der liebe Gott wohnt im Detail, Briefe und Briefwechsel. Band 8
Cover: Theodor W. Adorno / Gershom Scholem: Briefwechsel 1939-1969
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
ISBN 9783518586174
Gebunden, 548 Seiten, 39,95 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Asaf Angermann. "Er gefällt mir außerordentlich gut und wir fanden uns recht viel zu sagen", schrieb Gershom Scholem 1938 an Walter Benjamin. Mit "Er" ist Theodor W. Adorno gemeint, den Scholem kurz zuvor in New York persönlich kennengelernt hatte. Es war der Beginn einer 30 Jahre währenden intellektuellen und freundschaftlichen Beziehung. Und der Auftakt für eine mehr als 200 Briefe umfassende Korrespondenz, die eine ganze Epoche deutsch-jüdischer Geistesgeschichte dokumentiert und nun erstmals vollständig veröffentlicht wird. Biografisches spielt in dem äußerst intensiv geführten Briefwechsel ebenso eine Rolle wie philosophisch-theologische Fragestellungen. Adorno zeigt großes Interesse an jüdischem Denken und liefert scharfsinnige Analysen der Schriften Scholems. Scholem wiederum kommentiert die Neuerscheinungen Adornos und erweist sich als profunder Kenner der zeitgenössischen Philosophie. Um Mystik und Dialektik, Erlösung und Messianismus, Mythos und Aufklärung kreisen ihre Diskussionen, außerdem um Arendt und Marcuse, Heidegger und Bloch, Buber und Lukács. Auch die Tagespolitik kommt zur Sprache, etwa die Situation im Nahen Osten oder die beginnende Studentenrevolte. Fixstern der Korrespondenz ist aber der gemeinsame Freund Walter Benjamin, der wie kein Zweiter für das Schicksal der deutsch-jüdischen Intellektuellen im 20. Jahrhundert steht.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.08.2015

Ludger Lütkehaus sieht den ganzen Kreis und Umkreis des Instituts für Sozialforschung mit dieser Fortsetzung der großen Suhrkamp-Briefeditionen ausgeleuchtet. Die erstmals vollständig und laut Lütkehaus vorbildlich edierte Korrespondenz zwischen Theodor W. Adorno und Gershom Scholem aus den Jahren 1939 bis 1969 scheint ihm von besonderer Brisanz hinsichtlich der darin ausgetragenen Differenzen zwischen Adorno und Hannah Arendt über Walter Benjamins Freitod sowie betreffend die Herausgabe von Briefen Benjamins durch Adorno und Scholem. Adornos Rechtfertigungsdruck angesichts des Vorwurfs der ideologischen Vereinnahmung Benjamins ist für den Rezensenten in den Briefen spürbar, ebenso dessen Anfeindungen gegen Arendt.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 27.06.2015

Friedrich Wilhelm Graf schöpft großen Gewinn aus der erstmaligen Ausgabe des Briefwechsels zwischen Theodor W. Adorno und Gershom Scholem aus der Zeit von 1939 bis 1969. Sichtbar werden für den Rezensenten Eifersüchteleien Walter Benjamin betreffend, Differenzen im Denkstil, vor allem aber die gemeinsame Aufgabe, Benjamins Gedächtnis zu bewahren, über die eine echte Freundschaft entsteht, wie Graf erklärt. Indem die beiden Denker nach dem Wahrheitsgehalt der monotheistischen Religionen in der Moderne forschen, konfrontieren sie den Rezensenten mit manch dunklem Satz, aus dem er gleichwohl Erkenntnis gewinnt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.04.2015

Lorenz Jäger stimmt Jürgen Habermas zu, der in seiner Besprechung des Briefwechsels zwischen Theodor W. Adorno und Gershom Scholem bemerkt hatte, dass es genau der Moment des Umschlagens von Mystik in Aufklärung sei, der die beiden sehr unterschiedlichen Denker einander annähern konnte, von der gemeinsamen Freundschaft zu Walter Benjamin einmal abgesehen. Allerdings distanziert sich Jäger stark von der Idee, die Verbindung des Frankismus, "einer äußersten Form innerjüdischer Ketzerei", mit der Französischen Revolution könnte im Nachhinein größere Eintracht zwischen den Denksystemen Adornos und Scholems stiften. Der Rezensent ist begeistert von diesem Briefwechsel, allerdings gerade wegen der Unterschiede zwischen seinen Urhebern, nicht wegen scheinbarer Gemeinsamkeiten.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 18.04.2015

Micha Brumlik nimmt die Kammerdienerperspektive ein und erkennt die Verschränkung von Niedertracht, Klassendünkel (gegenüber Hannah Arendt, Margarete Susman oder auch Herbert Marcuse) und Bekenntnis im Briefwechsel zwischen Theodor W. Adorno und Gershom Scholem. Was also ist Theorie, was Lebensäußerung, und wie geht das eine aus dem anderen hervor? Aber nach Reduktionismus steht Brumlik nicht der Sinn, eher danach, gemeinsame Interessen der Briefeschreiber (Benjamin, sein Schicksal und sein Werk, die Theologie und der historische Materialismus) im Alltagszusammenhang zu erkennen. Und Brumlik wird fündig.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.04.2015

Den Briefwechsel von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem nimmt Rezensent Thomas Meyer als Ausweis der Existenz einer Gegengeschichte, eines anderen Deutschlands, das die beiden Denker für sich und zwischen sich gestalteten. Dass der Realitätssinn dabei nicht leidet, hält er für eine der Leistungen der beiden Intellektuellen - für Meyer sichtbar in den vorliegenden Briefen. Klug kommentiert und mit Hinweisen versehen von Asaf Angermann, stellt die Korrespondenz für den Rezensenten allerdings auch die geistigen Physiognomien von Sholem und Adorno vor, und es ist ihm eine Freude, sie auf die Werke zu übertragen. Sichtbar wird dabei für den Rezensenten nicht zuletzt, wie viel Vertrauen und Glück es bedurfte, um aus den zwischen Jerusalem und Frankfurt ausgetauschten, ständig bedrohten Ideen immer wieder Bücher werden zu lassen.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.04.2015

Mit großer Sympathie, sehr konzentriert und gestützt durch persönliche Erinnerungen an die Autoren bespricht Jürgen Habermas himself diesen Briefwechsel, der auf ein von Walter Benjamin aus dem Pariser Exil vermittelten erstes Treffen Scholems und Adornos in New York zurückgeht und bis zu Adornos Tod fortgesetzt wurde. Benjamin bildet die klare Mitte dieser Briefe, so Habermas, einerseits gewissermaßen organisatorisch, denn beide arbeiten daran, den total vergessenen Benjamin in der Nachkriegszeit wieder bekannt zu machen - der Suhrkamp Verlag musste sozusagen zu einer ersten Benjamin-Ausgabe erpresst werden, erzählt Habermas - und ihn dabei "anderen Geistern, die Benjamins Gestirn ebenfalls umkreisten" (womit Hannah Arendt gemeint sein dürfte), zu entreißen, aber andererseits auch inhaltlich: Und hier liegt die ganz und gar Habermassche Aktualität der Briefe, denn beiden liegt daran, "die dumpfe Immanenz eines alle Lebensbezirke durchdringenden Kapitalismus" zu überwinden, beide suchen auf ihre Art nach Rettungsankern in der Metaphysik und finden ihre Inspiration dazu bei Benjamin, über dessen Flirt mit Brecht und dem Kommunismus sie darum beide die Nase rümpfen. En passant lobt Habermas die Ausgabe der Briefe und die sorgfältigen Kommentare ihres Herausgebers.