Didier Eribon

Rückkehr nach Reims

Cover: Rückkehr nach Reims
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
ISBN 9783518072523
Taschenbuch, 240 Seiten, 18,00 EUR

Klappentext

Als sein Vater stirbt, reist Didier Eribon zum ersten Mal nach Jahrzehnten in seine Heimatstadt. Gemeinsam mit seiner Mutter sieht er sich Fotos an - das ist die Ausgangskonstellation dieses Buchs, das autobiografisches Schreiben mit soziologischer Reflexion verknüpft. Eribon realisiert, wie sehr er unter der Homophobie seines Herkunftsmilieus litt und dass es der Habitus einer armen Arbeiterfamilie war, der es ihm schwer machte, in der Pariser Gesellschaft Fuß zu fassen. Darüber hinaus liefert er eine Analyse des sozialen und intellektuellen Lebens seit den fünfziger Jahren und fragt, warum ein Teil der Arbeiterschaft zum Front National übergelaufen ist. Das Buch sorgt seit seinem Erscheinen international für Aufsehen. So widmete Édouard Louis dem Autor seinen Bestseller "Das Ende von Eddy".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.08.2016

Robin Celikates liest Didier Eribons Selbstbefragung aus dem Jahr 2009 in "gekonnter" Übersetzung mit Genuss. Die schonungslose Klarheit und soziologisch kontrollierte, mit Foucault, Bourdieu und James Baldwin vorgenommene Introspektion seines Werdegangs vom homosexuellen Arbeiterkind zum Pariser Intellektuellen hat den Rezensenten beeindruckt. Sichtbar wird laut Celikates eine soziale Realität, die den Autor formt, soziale Erfahrungen, unsichtbare Formen der Gewalt. Für den Rezensenten leistet Eribon damit im Bewusstsein der Paradoxien der eigenen Position eine soziologische wie literarische "Politik der Wahrheit", wie sie die französische Linke nicht einzulösen vermochte.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.07.2016

Christiane Müller-Lobeck kann nur den Kopf schütteln: Wie kann dieses virtuose Buch, das nicht nur bewegend den schwierigen Werdegang eines schwulen Fabrikarbeitersohnes zum bedeutenden französischen Intellektuellen schildert, sondern auch den Erfolg des Front National analysiert, erst sieben Jahre nach der französischen Veröffentlichung auf Deutsch erscheinen, fragt die Kritikerin. Mit Blick auf den Brexit und AfD-Erfolge bleibt das Buch dennoch ungebrochen aktuell, versichert die Rezensentin, die bei Eribon erfährt, dass möglicherweise der Dirigismus der französischen Kommunistischen Partei für den Zulauf von Linken zu den "autoritären" Versprechen der Rechtspopulisten verantwortlich ist. Ein lesenswertes Buch, das auch unbequeme Lösungsvorschläge liefert, lobt Müller-Lobeck.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 16.07.2016

Es ist lange her, dass Tilman Krause ein Buch so anregend und wuchtig fand wie die Autobiografie von Didier Eribon, dem französischen Soziologen, Foucault-Biografen, öffentlichen Intellektuellen, Homosexuellen und Arbeiterkind, und genau hinter dieser Aufzählung verbergen sich die beiden Lebensparadoxa, die Eribon in "Rückkehr nach Reims" gründlich auseinandernimmt, ohne jedoch die Widersprüche aufzulösen, erklärt der Rezensent. Auch den Grundkonflikt verrät der Kritiker: Von seiner Herkunft aus dem Arbeitermilieu versuchte sich Eribon aufgrund seines prügelnden, homophoben Vaters zu lösen, obwohl er sich theoretisch lange im Marx'schen Fahrwasser bewegte; andererseits suchte er um Aufnahme ins kultivierte Bürgertum, dessen wohlfeiles Wohlgefallen er eigentlich verachtete, fasst der Rezensent zusammen. Als einziges und vernachlässigbares Manko von Eribons Selbstschau macht Krause die "sozialromantische" Inszenierung der Unüberwindbarkeit des eigenen Schicksals aus: "Einmal Paria, immer Paria", scheint Eribon sagen zu wollen, glaubt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 21.05.2016

Rezensent Gustav Seibt freut sich, dass die bereits 2009 in Frankreich erschienene autobiografische "Rückkehr nach Reims" des französischen Intellektuellen und Philosophen Didier Eribon nun endlich in exzellenter Übersetzung auf Deutsch vorliegt. Genau zum richtigen Zeitpunkt, fährt der Kritiker fort, der nachliest, wie es zum Aufstieg des Front National kam und wie das französische Proletariat von Kommunismus und "schickem" Sozialismus zu Nationalismus, Europafeindschaft, Hass auf Islam und Fremde überlief. Fasziniert begleitet der Rezensent den Bourdieu-Schüler zurück in sein proletarisches Herkunftsmilieu in Reims, erlebt wie Eribon sich mit Fleiß, außerordentlicher Begabung, aber auch dank klassenübergreifender homosexueller Kontakte in die Bourgeoisie hocharbeitet. Zwar vermisst Seibt hier einen Ausblick auf die konkrete französische Politik, dennoch kann er dieses ebenso virtuose wie bewegende, zwischen Autobiografie, Klassenanalyse und Kulturdiagnose changierende Traktat, das nicht zuletzt den "Verrat der Kaviarlinken" porträtiert, jedem "bewussten Europäer" nur dringend empfehlen.
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