Vom Nachttisch geräumt

Arbeiter und Prinzen

Von Arno Widmann
23.10.2017. Sieben Kammerdiener und vier Kammerzofen haben ihre Auftritte in Bernd-Jürgen Fischers "Handbuch zu Marcel Prousts 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit'".
Vergangenes Jahr legte Bernd-Jürgen Fischer im Reclam-Verlag den 7. und letzten Band seiner Übersetzung von Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" vor. Jetzt folgt ihm das "Handbuch zu Marcel Prousts 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit'". Die Seiten 331 bis 818 bringen ein Register zur Übersetzung. Ein Namen-, ein Titel- und ein Themenverzeichnis. Bei allen dreien werden nicht nur Stellen aufgeführt, an denen sie vorkommen, sondern es gibt auch eine knappe Erläuterung der Sache selbst. Den Personen der "Recherche" ist ein Sternchen vorangestellt, damit man nicht auf die Idee kommt, der Prinz von Agrigent sei eine Person der Weltgeschichte. Er gehört ausschließlich zum Personal der "Recherche". Wie Monsieur Eugène. Prinz Eugène dagegen ist nicht etwa Prinz Eugen, sondern Prince Eugène de Beauharnais (1781-1824), unter Napoleon Vizekönig von Italien.

Sehr schnell belehrt einen auch das Register, bevor man auch nur eine Zeile gelesen hat, darüber, in welcher Welt der Roman sich bewegt: sieben Kammerdiener und vier Kammerzofen haben ihre Auftritte. Es sind allerdings, wenn man sich vor Augen hält, wo der Roman spielt, dann doch verblüffend wenig. Das Personal ist unsichtbar. Bis es einen sexuell erregt. Ein schönes Beispiel dafür ist Marcel Prousts Chauffeur, über den im enttäuschend kurzen Abschnitt "Liebschaften" einer einführenden Kurzbiografie des Verfassers der "Suche", aufgeklärt wird.

Auf den dreihundert Seiten vor dem Register werden "Materialien" ausgebreitet. Über Übersetzungen der "Suche", über Verfilmungen und Vertonungen, auch über den Aufbau des riesigen Romanwerkes und auch einiges zur Rezeption. Fischer zitiert aus dem Journal des Débats vom 12.12.1919 einen Artikel des mit Proust befreundeten Jean de Pierrefeu, der sich gegen die Verleihung des Prix Goncourt für "Im Schatten junger Mädchenblüte" mit dem Argument wandte, dass in einer Zeit, die noch immer ihre Toten zähle, eine Auseinandersetzung mit der gesamteuropäischen Katastrophe des Weltkrieges angemessener und notwendiger sei als die mit Problemen halbseidener Damen der Belle Époque oder spätpubertärer Jugendlicher im Luxusurlaub."

Fischer weist auf Passagen in der "Wiedergefundenen Zeit" hin, in denen Proust auf diese Einwände antwortet. Aus ihnen sei kurz zitiert: "Die Idee einer populären wie auch einer patriotischen Kunst erschiene mir, wenn sie nicht so gefährlich wäre, einfach lächerlich. Wenn es darum ginge, sie dem Volk zugänglich zu machen, indem man die formalen Feinheiten opferte, die nur 'gut für Müßiggänger' sind, so hatte ich Erfahrung genug im Umgang mit Leuten von Welt, um zu wissen, dass sie die eigentlich Ungebildeten sind, und nicht die Elektriker. Insofern wäre eine über die Form popularisierte Kunst eher etwas für die Mitglieder des Jockey-Clubs als für die der Gewerkschaft; und was die Themen betrifft, so werden die Leute aus dem Volk von den volkstümlichen Romanen ebenso gelangweilt wie Kinder von den eigens für sie geschriebenen Büchern. Man versucht, sich in etwas anderes hinein zu versetzen, wenn man liest, und Arbeiter sind genauso neugierig auf Prinzen wie Prinzen auf Arbeiter."

Bernd-Jürgen Fischer: Handbuch zu Marcel Prousts 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit'. Mit 36 Abbildungen, Stammtafeln und Karten, Reclam, Stuttgart 2017, 821 Seiten, 34,95 Euro

Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Übersetzung: Bernd-Jürgen Fischer in sieben Bänden zusammen mit dem "Handbuch", broschiert in einer Kassette, Reclam Verlag, Stuttgart 2017, 6080 Seiten, 148 Euro.
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