Vom Nachttisch geräumt

Das Museen-Museum

Von Arno Widmann
14.10.2015. Ein Buch wie dieses gab es noch nicht: Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringens "Geschichte der Berliner Museen in 227 Häusern".
Es ist eines der schönsten Berlin-Bücher. Es ist eines der schönsten Bücher über Museen. Natürlich muss hier einschränkend hinzu: von denen, die ich kenne. Aber ein Führer durch die Museen Berlins, durch alle, die es gibt und durch alle, die es jemals gab - natürlich nur so weit die Autoren Kenntnis von ihnen erlangt haben - das ist einmalig. Geschichte wird meist erzählt, als die Geschichte dessen, was ist. Ein Tunnelblick, der einem die Sicht nimmt auf das, was verloren ging, was zerstört wurde. Dabei gehört zu dem, was ist, dazu, was auf dem Weg zu ihm auf der Strecke blieb. Museen sind Orte, an denen wir uns das vor Augen führen können. Desto merkwürdiger, dass die Museumsgeschichte selbst diese wesentliche Seite der Entwicklung ihres Gegenstandes so häufig ausblendet. Mit ihrem Buch haben Katrin Hiller und Hans Georg Hiller von Gaertringen endlich so etwas errichtet wie ein Museen-Museum.

Es mag hilfreich gewesen sein, dass wir gerade erst eine Epoche der Museumsschließungen hinter uns haben: die 90er Jahre. Zur "Abwicklung" der DDR gehörte ganz wesentlich die ihrer Geschichte, ihrer Geschichtsschreibung und deren Präsentation. Dieser Abbau betraf nicht nur staatliche Einrichtungen wie z.B. das Johannes R. Becher-Haus oder das Otto Nagel-Haus. Auch private Gründungen, wie etwa das Friseur- oder das Hundemuseum, konnten in der Berliner Republik nicht überleben.

Sehr interessant ist die Geschichte des Museums "Berliner Arbeiterleben um 1900". Es war in der Husemannstraße und wurde erst 1987 gegründet, "über zwanzig Jahre nach der Eröffnung von Charlotte von Mahlsdorfs Gründerzeitmuseum" also. Das Alltagsleben begann auch in der Museumslandschaft der DDR erst spät mit seiner Karriere. Gerade in der Hauptstadt kam ja alles auf die korrekte politische Ausrichtung an. In ein solches Korsett lässt der Alltag sich schwer zwängen. So kommt es immer wieder vor, dass man aus ihm eine Ideologie macht, um sich von ihr befreien zu können. So etwas ereignete sich in Westberlin, als Michael Rutschky die von den Schweizer Volkskundlern Walter Keller und Nikolaus Wyss 1979 gegründete und 1993 zu Grabe getragene Zeitschrift Der Alltag - Sensationen des Gewöhnlichen 1994 wiederbelebte und ironisch-graziös schrieb: "Wir wollen die Welt fürs Erste so belassen wie sie ist und sie dafür umso genauer anschauen."

In völliger Verkennung der vertrackten Museumsgeschichte der DDR standen "nach 1989 solche Museen unter dem Generalverdacht, ideologische Propagandainstrumente der DDR zu sein". Es hatte sehr lange gedauert, bis das Selbstverständnis der DDR und die Vorstellung von seiner korrekten Darstellung dazu führten, ein solches Museum einzurichten. Natürlich war das Museum "Berliner Arbeiterleben um 1900" auch ein Propagandainstrument der DDR von 1987. Aber: Museen waren immer und sind immer auch Propagandainstrumente. Man betrachte sich nur die derzeitige Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums Unter den Linden. Der Parcours durch die deutsche Geschichte oben im ersten Stock beginnt mit den Römern! Das ist an die Spree verpflanzte Bonner Republik. Ein getreues Abbild der Wiedervereinigung durch Beitritt der DDR nach Paragraph 23 des Grundgesetzes. Zu dem ja 1990 Alternativen diskutiert wurden, die sich ganz sicher auch in einer alternativen Selbstdarstellung der Berliner Republik im Deutschen Historischen Museum ausgedrückt hätten.

Für ganz feine Geschmackorgane empfiehlt sich ein Besuch im Hugenottenmuseum im Französischen Dom. Es wurde nämlich ebenfalls erst 1987 - wieder - eingerichtet. Die Präsentation ist aber seit damals nicht wesentlich geändert worden. Man kann also hier noch der DDR-Ästhetik - besser einer der in der DDR damals zugelassenen Ästhetiken - nachspüren. Soweit ich weiß, hat das noch keiner getan. Ich weiß allerdings nicht einmal, ob tatsächlich in den vergangenen 25 Jahren kaum etwas an der Präsentation geändert wurde. Hiller und von Gaertringen jedenfalls schreiben: "Das Hugenottenmuseum dürfte das einzige Museum im ehemaligen Ost-Berlin sein, das sich noch in der Gestaltung der DDR zeigt."

Ich liebe dieses Buch nicht nur aus den genannten Gründen. Ich liebe es auch als einen Beleg dafür, dass etwas möglich ist, das mir niemals geglückt ist: die Zusammenarbeit mit einem geliebten Menschen. Die beiden Autoren sind verheiratet. Sie haben seit 2004 hochkonzentriert, so stelle ich es mir jedenfalls vor, an dem Buch gearbeitet. Sie haben sich gestritten und wieder versöhnt. Sie haben einen zweijährigen Sohn und sie haben dieses großartige Buch als Produkt dieser Jahre. Mehr kann man sich nicht wünschen. Ich beneide Katrin Hiller von Gaertringen und Hans Georg Hiller von Gaertringen.

Katrin Hiller von Gaertringen, Hans Georg Hiller von Gaertringen: Eine Geschichte der Berliner Museen in 227 Häusern, mit Fotografien von Anja Bleyl, Deutscher Kunstverlag, Berlin 2014, 472 Seiten mit 203 farbigen sowie 72 schwarzweißen Abbildungen, 39,90 €.