Literatur / Sachbuch / Politisches Buch

Religion


Nachdem in den vorigen Jahren die Rückkehr der Religion so freudig begrüßt wurde, bringen sich in diesem Herbst die führenden Atheisten in Stellung - und zwar mit gepfefferten Attacken gegen den Gottesglauben. Die Feuilletons reagieren indigniert: Am besten kommt noch Christopher Hitchens' "Der Herr ist kein Hirte" weg (), das NZZ und FR als einseitig oder abgedroschen kritisieren. Die SZ findet es dagegen geistreich, subtil und stilistisch brillant, wie Hitchens die destruktiven Folgen des Glaubens für das vernünftige Zusammenleben der Menschen beschreibt. Und wie er die Entstehung des Buchs Mormon durch den Hochstapler Joseph Smith mit den Anfängen des Islam vergleicht, gehört für die Welt zum "Lustigsten, was man in diesem Herbst lesen kann". ()


Die Welt kann auch Richard Dawkins Buch "Der Gotteswahn" einiges abgewinnen, das sie einen "Aufschrei der Vernunft gegen das Wuchern der Unvernunft" nennt. Als gelernter Biologe rückt Dawkins darin den Darwinismuskritikern und Kreationisten zuleibe, denen er vorrechnet, dass die Existenz Gottes weitaus unwahrscheinlicher wäre als alle Zufälle der Evolution zusammen. Die NZZ findet dies allerdings rabiat, die SZ nennt Dawkins gar einen "biologistischen Hassprediger".


Philosophie


Zu einem besseren Zeitpunkt hätte Rüdiger Safranski seine bestsellernde Geistesgeschichte der "Romantik" nicht vorlegen können: Es lag viel Romantik in der Luft, wie die Welt angesichts der Annäherung von Kultur und Glauben in den Feuilletons schon etwas süffisant konstatiert hat. Trotzdem fühlt sie sich reich beschenkt von diesem Buch und weiß jetzt, dass wir mit dieser "deutschen Affäre" noch lange nicht fertig sind. Für die Zeit hat Safranski einfach ein "grandioses Buch" vorgelegt, das mit "Genauigkeit und Hingabe" die Dichter und Theoretiker der Romantik porträtiert. Die FAZ erklärt rundweg jede Kritik an diesem Buch für gegenstandslos. Und die taz nimmt mit Interesse zur Kenntnis, dass Safranski die 68er in die romantische Tradition einordnet. Die NZZ ist enttäuscht: Ihrer Meinung nach hat sich Safranski zuviel vorgenommen und sträflich den Blick über den deutschen Tellerrand vernachlässigt.


Biografien

Große Anerkennung hat Thomas Karlauf für seine Biografie "Stefan George" bekommen. Alles scheint er richtig gemacht zu haben bei seinem Porträt dieses Dichters und Propheten. Der NZZ gefällt, wie beherzt Karlauf die Homosexualität Georges und seines poetischen Hofstaats unter die Lupe nimmt. Die FAZ sieht in dem Buch auch ein wichtiges "Lehrstück über den folgenschweren Irrweg der literarischen Intelligenz in Deutschland". Die taz lobt Karlaufs stilistische Askese und zeigt sich erleichtert, dass er George nicht in die Gegenwart zerrt, sondern als "fiebernde Figur einer nervösen Epoche" in der Vergangenheit lässt. Und die FR freut sich, das Karlauf George nicht als einen der "größten Dichter des 20. Jahrhunderts" demontiert. Nur die Zeit erhebt Einwände, ihr fehlt die "Ergriffenheit vor dem Eigentlichen". ()


Gleich zwei Kleist-Biografien stehen in diesem Herbst im Angebot. Die eine stammt von dem Germanisten Gerhard Schulz ("Kleist", ), die andere von SZ-Redakteur Jens Bisky ("Kleist", ). Auch wenn sie letztlich nicht ganz zufrieden gestellt ist, findet die Welt beide beachtlich, attestiert Schulz jedoch "mehr Intensität, mehr Tiefe, ja sogar mehr Frische". Der FAZ gefällt dagegen Biskys zupackender Stil.


Auf ein geteiltes Echo traf Dominique Bourels Biografie des jüdischen Aufklärers "Moses Mendelssohns". Die SZ findet dieses voluminöse Werk erhellend, präzise und sehr gelehrsam. Die NZZ erhebt mehrere Einwände gegen das Buch, hat aber mit Interesse gelesen, welch prekäre Position Mendelssohn zwischen "Bewunderung, Duldung und Ausgrenzung" innehatte. ()
Nur einmal besprochen, dies aber sehr positiv, wurde Johannes Willms "Balzac"-Biografie, die für die FAS das turbulente Leben des von ihr verehrten Balzac präzise und unbefangen erzählt. ()


Sehr gelobt wurde Peter Merseburger für seine Biografie des Spiegel-Gründers "Rudolf Augstein". "Glänzend geschrieben" findet die FAZ sie, auch aus einer wohltuenden "Halbdistanz". Die Zeit schätzt das Buch als "Mentalitäts- und Mediengeschichte" der BRD, die SZ attestiert dem Autor "geistige Disziplin" und "intellektuelle Klarheit". ()


Geschichte

Beeindruckt hat Fritz Stern die Kritiker mit seinen Erinnerungen "Fünf Deutschland und ein Leben". Der FAZ imponiert, wie der aus einer jüdischen Familie stammende Historiker seine persönliche Geschichte mit einem Jahrhundert deutscher Geschichte zu verbinden versteht. Die NZZ findet das Buch mit Geist und Witz erzählt. Die FR bewundert Sterns unverrückbar liberale Haltung und die Fähigkeit, selbst im Irrtum ganz "gebildeter Grandseigneur" zu bleiben. Der SZ wird es hin und wieder zu festrednerhaft, vor allem wenn Stern von seinen vielen Begegnungen mit den Großen der Welt aufzählt. In der Zeit preist Norbert Frei das Buch seines Kollegen als "lehrreich, klug und menschlich tief berührend". ()


Kulturgeschichte

Staunen bei der Kritik: Dass vor David Blackbourn noch niemand auf die Idee gekommen ist, eine Geschichte der deutschen Landschaft zu schreiben! Denn Blackbourn kann in seinem Buch "Die Eroberung der Natur" mit einigen erhellenden Erkenntnissen aufwarten. Zum Beispiel, dass bei aller romantischen Verklärung ihrer Flüsse und Wälder die Deutschen vor allem ein technisches Verhältnis zu ihrer Natur haben. Die FAZ findet dies "in großer Ausgeruhtheit" aufgeschrieben, die NZZ "glänzend". Die Zeit findet diese Studie zur Ideengeschichte der deutschen Landschaft nicht nur tiefschürfend, sondern auch unterhaltsam. ()


Kunst

Mit seinem Buch "Galilei der Künstler" hat der Kunsthistoriker Horst Bredekamp seine Kollegen und die Kritik in Verzückung versetzt. Selten, da sind sich alle einig, habe jemand so profund und so aufregend über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft geschrieben. Als "Abenteuer der Erkenntnis" bejubelt die taz das Buch. Die NZZ vergibt ebenfalls Bestnoten und findet vor allem die erstmals abgedruckten Mondbilder Galileos spektakulär. Spannend findet das alles auch die SZ, die Zeit "atemberaubend" und die FAZ "betörend illustriert". ()


Unterschiedlich aufgenommen wurde Hanno Rauterbergs "Und das ist Kunst?!", der einen Bresche durch das Dickicht des Kunstbetriebs, die Museen und die Geschichte schlagen will. Die FAZ hat von dem Buch viel gelernt und mochte insbesondere die "Sehanleitungen" des Zeit-Kunstredakteurs. Die FR ist dagegen gar nicht einverstanden mit Rauterbergs "Ich-Kriterien" zur Beurteilungen von Kunst.


Musik

Zum 125-jährigen Bestehen der Berliner Philharmoniker legt Misha Aster in deren Auftrag nun die lang vermisste Studie zur Geschichte des Orchesters im Dritten Reich vor. Aster überzeugt die Kritiker als vielseitig begabter Autor: Der Mann versteht etwas von Geschichte und Dramaturgie, Komposition und Opernregie. Anschaulich, schlüssig und nie einseitig, lobt etwa die FAZ, erzähle Aster die Geschichte des "Reichsorchesters", das von den Nationalsozialisten ebenso privilegiert wie instrumentalisiert wurde. Der Tagesspiegel weiß zu schätzen, dass Aster "penibel" auf einen "sachlichen Ton" achtet und sich moralischer Urteile enthält. Die SZ zollt ebenfalls ihre Anerkennung, besonders der Auswertung zahlreicher, oft lange ignorierter oder geleugneter Quellen. ()


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