Feridun Zaimoglu

Siebentürmeviertel

Roman
Cover: Siebentürmeviertel
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2015
ISBN 9783462047646
Gebunden, 800 Seiten, 24,99 EUR

Klappentext

Wolf weiß nicht, wie ihm geschieht. Nach dem Tod seiner Mutter hat er bei seinem Vater gelebt, muss mit ihm aber nach einer Warnung vor der Gestapo plötzlich Deutschland verlassen. Es ist das Jahr 1939, und Wolf findet sich in Istanbul wieder, in der Familie von Abdullah Bey, eines ehemaligen Arbeitskollegen seines Vaters. Das Siebentürmeviertel ist einer der schillerndsten Stadtteile der Metropole, in der Religionen und Ethnien in einem spannungsreichen Nebeneinander leben. Was als vorübergehende Maßnahme gedacht war, wird zu einer Dauerlösung, und Wolf muss sich zurechtfinden in diesem überwältigenden Kosmos. Er wird von Abdullah Bey an Sohnes statt angenommen, besucht die Schule und erobert sich seine Stellung unter den Jugendlichen des Viertels. Als er langsam zu begreifen beginnt, welche Rolle Abdullah Bey wirklich spielt, gerät er in große Gefahr.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.12.2015

Es ist der Vorteil einer späten Besprechung, dass man dabei auch die bisherige Rezeption in den Blick nehmen kann, meint Rezensent Philipp Theisohn. Bei Feridun Zaimoglus 1939 in der Türkei spielendem Roman fiel ihm auf, dass die Rezensenten oft den Plot ignoriert haben. Kein Wunder, meint er nach der Lektüre. Der spielt in diesem 800-Seiten-Roman nur eine untergeordnete Rolle. Er verweigert sich einer Nacherzählung geradezu, so der Kritiker. Gerade deshalb findet er es gelungen, weil es den Leser in seiner Welt nicht heimisch werden lasse. "Siebentürmeviertel" überfordert bewusst Intellekt und Erinnungsvermögen, der Leser soll sich weder identifizieren noch zu Hause fühlen. Er bleibt gewissermaßen der Fremde. Dem Rezensenten gefiel das sehr.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.10.2015

Rezensentin Wiebke Porombka hält Feridun Zaimoglu für ein Phänomen. Nicht nur, dass der Autor in jedem seiner Romane einen "ungebrochen intensiven, glühenden Ton" anschlage, nein: Nach Meinung der Kritikerin erfinde er dabei auch jedes Mal seine Sprache und sich selbst neu. Für das neueste Werk "Siebentürmeviertel" über einen deutschen, mit seinem Vater vor dem NS-Regime nach Istanbul geflohenen Jungen namens Wolf, bedeutet das eine von Metaphern gesättigte Sprache, die auf fast jeder Seite den Geruch von Körperflüssigkeiten versprüht, so die Rezensentin. Zwar seien die Worte, mit denen Zaimoglus junger Protagonist von der fremden neuen Heimat berichtet, eher "poetisch-dräuend" als die eines 6-Jährigen, befindet Porombka, doch den Blick des Kindes erzeuge der Autor dafür auf andere Weise beim Leser: durch eine Vielzahl an Figuren und das damit einhergehende Gefühl der Überforderung.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.09.2015

Auf knapp achthundert Seiten lauscht Rezensentin Lena Bopp in Feridun Zaimoglus neuem Roman "Siebentürmeviertel" einem "Oratorium der Stimmen" aus dem Istanbul der vierziger Jahre. Gebannt begleitet die Kritikerin hier den kleinen Wolf, der mit seinem Vater im Jahre 1939 nach Istanbul flieht und dort eine Türkei jenseits der kemalistischen Fortschrittlichkeit erlebt. Zugleich muss Bopp feststellen, dass die Vielzahl der Stimmen aus der Vergangenheit, die hier ein komplexes archaisches Gefüge aus Aberglauben, weihevollen Mythen, Freund- und Feindschaften ergeben, gelegentlich ein wenig erschöpfen. Dennoch rät die Rezensentin zur Lektüre, denn Zaimoglu gelinge hier nicht nur ein vielschichtiges Porträt seines Vaters und der Türkei der Nachkriegszeit, sondern auch eine eindringliche Geschichte über Exil und Integration.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.09.2015

Insa Wilke geht diesem Zauberer der Balkan-Romantik gern auf den Leim. Feridun Zaimoglus Romankunst ist für sie eine, die mit Leserinnenerwartungen spielt, die bewusst künstlich und deftig daherkommt, aus dem Leben berichtet und raffiniert subtil politische Gegenwart kommentiert. Für Wilke höchst originell und komisch, auch wenn Leserinnenfreundlichkeit für sie anders aussieht. Als historischen Roman möchte sie den Text lieber nicht bezeichnen, eher als Räuberpistole und mikrokosmisches Rührstück über Fremde und Heimat.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 22.08.2015

Paul Jandl findet die Verbeugung des Autors vor der Türkei seines Vaters ein bisschen zu tief, heißt, Feridun Zaimoglu greift in seinem neuen Roman in fast allem ein bisschen zu hoch, bei den Themen, im Ton, in der Archaik, den Bildern und Gleichnissen, in denen bei Zaimoglu sogar Kinder und Schrotthändler zu reden wissen, wie Jandl mitteilt. Die mit dem Buch angepeilte Selbstvergewisserung wird für Jandl so zum diffusen Bild aus sich kaleidoskopisch gegeneinander verschiebenden Kapiteln. Dass dabei die tatsächlichen Verhältnisse am Bosporus anno 1939 auf der Strecke, das heißt in der bloßen Vorstellung von sozialen Milieus bleiben, findet Jandl schade.