Vom Nachttisch geräumt

Seele, Körper und Information

Von Arno Widmann
27.04.2016. Wenn Descartes und Elisabeth von der Pfalz von Körper und Seele sprechen, wälzen sie ein Problem, das wir heute mit Gehin und Bewusstsein haben - das der Information.
Vergangenes Jahr ist im Fink-Verlag in der Humanistischen Bibliothek für 24,90 Euro der Briefwechsel zwischen René Descartes und Elisabeth von der Pfalz erschienen. Allerdings nicht die französischen Originaltexte, sondern nur die deutsche Übersetzung. Ich habe diese Ausgabe nicht zu Rate gezogen. Ich spreche im Folgenden nur von ein paar Eindrücken, die ich bei der Lektüre der zweisprachigen Ausgabe des Briefwechsels im Meiner-Verlag hatte.

Es ist die erste vollständige - französisch-deutsche - Ausgabe des Briefwechsels zwischen einem der bedeutendsten Philosophen Europas, zwischen René Descartes (1596-1650), und Elisabeth von der Pfalz (1618-1680). Ihr Vater war Friedrich V. (1596-1632), Kurfürst von der Pfalz und König von Böhmen. Letzteres nur ein Jahr lang. Er war der berühmte "Winterkönig". Er hatte die Kurpfalz als protestantische Zentralmacht gegen den Kaiser positionieren wollen. Darum auch die böhmische Königskrone angenommen. Kaiser und Reich stellten sich gegen ihn. Es kam zu einer Auseinandersetzung, die in den Dreißigjährigen Krieg führte. Gegen Friedrich V. wurde die Reichsacht verhängt. Er verlor nicht nur das Königreich, sondern auch die Pfalz. Das alles liegt, als der Briefwechsel 1643 einsetzt, schon lange hinter Elisabeth. Sie war zunächst von ihrer Großmutter, der Kurfürstin Luise Juliane, einer geborenen Prinzessin von Oranien, dann seit 1627 im Den Haag von ihrer Mutter Elisabeth Stuart, einer geborenen Prinzessin von England, Schottland und Irland, erzogen worden. Elisabeth von der Pfalz, die schon lange nicht mehr von der Pfalz war, lebte am Hof ihres Vetters, des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Später dann in Kassel bei ihrer Cousine Hedwig Sophie, Landgräfin von Hessen-Kassel. 1661 kam sie zur Reichsabtei Herford und blieb dort bis zu ihrem Tode. Sie nahm dort immer wieder aus religiösen Gründen Verfolgte, wie zum Beispiel Labadisten und Quäker, auf.

Es gibt viele Punkte, auf die ich eingehen könnte und wohl auch müsste. Zum Beispiel der Dreißigjährige Krieg, der ein großer Abwesender, gleichwohl immer wieder hindurchblinkender Akteur dieses Briefwechsels ist. Immerhin war die Hochzeit von Elisabeths Eltern, im Februar 1613 in London, als Beginn einer prteatntischen Epoche Europas gefeiert worden. Ich möchte aber nur auf zwei Kleinigkeiten hinweisen. Erstens: die Anreden und die Schlusswendungen. Descartes spricht Elisabeth von der Pfalz mit einem überraschend schlichten "Madame" an. Sie schreibt "Monsieur Descartes". Ein Schriftverkehr, der, so könnte man meinen, auf die Höflichkeiten des Protokolls verzichtet, ein Dialog zwischen Gleichen. Nun, kaum ein Brief, in dessen erstem Satz Descartes nicht die Anrede "Votre Altesse" unterbringt - er tut das auch noch im letzten Brief, dem vom 9. Oktober 1649 -, während Elisabeth von der Pfalz auf weitere Anreden verzichtet. Sie kommt schnell auf die sie interessierenden Fragen zu sprechen, möchte wissen, was Descartes zu ihren Gedanken meint und sie hakt nach, wenn ihr seine Argumentation nicht schlüssig erscheint.



Sie ist mehr als zwanzig Jahre jünger als Descartes. Sie hat seine Bücher gelesen und sie diskutiert mit Freunden von ihm über seine Philosophie. Sie ist die Lernende. Zugleich aber zwingt sie Descartes, sich klarer zu äußern, als ihm das in dem einen oder dem anderen Falle lieb zu sein scheint. Die Schlusswendungen lauten meist so: "Madame, Ihrer Hoheit, der sehr demütige und sehr gehorsame Diener Descartes". Unseren demokratisch verwöhnten Ohren kommt das ein wenig zu kniefällig vor. Bis wir lesen, dass Elisabeth von der Pfalz ihre Briefe mit Wendungen wie "ihre ergebene und zu Diensten stehende Freundin" abschließt. Sie setzt das aber nicht als die Unterschrift begleitenden Kratzer unter den Brief, sondern es ist Teil des Briefes selbst.

Es ist deutlich weniger förmlich, steht da wie ernst gemeint, und dass die Vertreterin des europäischen Hochadels den kleinen Offizier ihren Freund nennt, das zeigt, dass es schon eine Republik gab, wenn es auch nur die der "Wissenschaften" war. Aber man muss sich auch vor Augen halten: Die kluge Frau war 27 und der "Meisterdenker" immerhin schon fünfzig. Es werden da noch andere Saiten mitgeschwungen haben. Aber ich weiß zu wenig darüber. Zuwenig über die Liebe im Dreißigjährigen Krieg und erst recht zu wenig über die beiden.

Und zweitens? Gleich zu Beginn des Briefwechsels geht es um die Seele, den Körper und das Verhältnis von beiden. Elisabeth von der Pfalz schreibt: "Es wäre mir einfacher, der Seele Materie und Ausdehnung zuzusprechen, als einem immateriellen Wesen die Fähigkeit, einen Körper zu bewegen und von diesem bewegt zu werden. Denn, wenn das Erste durch Formgebung geschehen würde, müssten die Geister, welche die Bewegung erzeugen, intelligent sein, was Sie keinem körperlichen zugestehen. Und wenn sie auch in ihren Metaphysischen Meditationen die Möglichkeit des Zweiten zeigen, so ist es doch sehr schwierig zu verstehen, dass eine Seele, wie Sie sie beschrieben haben, nachdem sie das Vermögen und die Gewohnheit des richtigen Denkens gehabt hatte, das alles durch einige Schwindelanfälle verlieren kann, und dass sie, da sie ja ohne den Körper fortbestehen kann und nichts Gemeinsames mit ihm hat, dermaßen von ihm beherrscht wird."

Wir sprechen heute nicht mehr von Körper und Seele. Aber diskutieren wir heute, wenn wir über das Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein sprechen, nicht fast genau so wie die beiden Briefpartner es vor 350 Jahren taten? Man lese Descartes' Antwort: "Die, die nie philosophieren und sich nur ihrer Sinne bedienen, zweifeln nicht daran, dass die Seele den Körper bewegt und dass der Körper auf die Seele wirkt; aber sie betrachten beides als eine einzige Sache, das heißt, sie begreifen die Vereinigung. Die metaphysischen Gedanken aber, welche den reinen Verstand schulen, dienen dazu, uns mit dem Begriff der Seele vertraut zu machen; und das Studium der Mathematik, das hauptsächlich die Einbildungskraft durch die Betrachtung der Gestalten und der Bewegungen schult, gewöhnt uns daran, recht deutliche Begriffe des Körpers zu bilden; und schließlich lernt man die Vereinigung der Seele mit dem Körper zu begreifen nur durch das Leben und alltägliche Gespräche sowie durch den Verzicht auf die Meditation und auf das Studium jener Sachen, welche die Einbildungskraft schulen." Und dann kommt ein interessantes Geständnis, eine Empfehlung auch. Descartes hat den "Gedanken, welche die Einbildungskraft beschäftigen, täglich nur sehr wenige Stunden, und den Gedanken, die den Verstand allein beschäftigen, jährlich sehr wenige Stunden gewidmet". Die gesamte übrige Zeit verbrachte er "mit der Erholung der Sinne und mit der Ruhe des Geistes". Danach erklärt Descartes, der menschliche Geiste könne nicht gleichzeitig mit gleicher Klarheit festhalten, dass Körper und Seele verschieden und dass sie eins sind. Das ist gewissermaßen Descartes' Unschärferelation.

Ich möchte noch auf eine Kleinigkeit hinweisen: Im Zitat von Elisabeth von der Pfalz kommt - in der Übersetzung - der Begriff "Formgebung" vor. Im Französischen steht da "Information". Das erinnert uns daran, woher der Begriff Information kommt. "Informatio" war der Vorgang, mit dem das Geistige sich der Materie einprägte. Viele der Diskussionen über die Ablösung des Industrie- durch das Informationszeitalter sind schon öfter geführt worden. Fast immer, wenn das Verhältnis von - sagen wir einmal grobschlächtig - Geist und Materie neu bestimmt wurde. Dass Information das wichtigste Gut ist, ist keine neue Erkenntnis. Wo immer man Seele und Körper trennte, brauchte man die Information, als den Dreh, der beides zusammenbrachte. Keine Ahnung, ob das stimmt, aber in solche Gedankenketten werde ich von diesem Briefwechsel getrieben. Und kein Descartes weit und breit, mit dem ich darüber reden könnte.

René Descartes: Der Briefwechsel mit Elisabeth von der Pfalz, Französisch - Deutsch, herausgegeben von Isabelle Wienand und Olivier Ribordy, übersetzt von Isabelle Wienand, Olivier Ribordy und Benno Wirz, unter Mitarbeit von Angela Schiffhauer, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2015, 543 Seiten, 78 Euro.