Post aus New York

Wieviel jüdische Berichterstattung ist koscher?

Von Ute Thon
18.08.2000. Norman Finkelstein verteidgit im Perlentaucher seineThesen über dei Holocaust-Industrie. Und Amerika diskutiert über den eventuellen Vizepräsidenten Joe Lieberman.
Die Veröffentlichung von Norman Finkelsteins kontroversem Buch "The Holocaust Industry" hat - anders als in Europa - in den US-Medien so gut wie keine Resonanz gefunden. Nur die New York Times druckte vergangene Woche eine vernichtende Kritik von Omer Bartov. Ansonsten herrscht Schweigen im Blätterwald. Der linksextreme Autor sieht sich als Opfer eines Boykotts: "Ich werde als Unperson behandelt", sagt Finkelstein im Interview mit dem Perlentaucher. "Sauer werde ich, wenn meine Wissenschaftlichkeit angegriffen wird und man mir vorwirft, ich hätte Quellen falsch zitiert. Ich habe einen makellosen Ruf, wenn es um den sorgfältigen Umgang mit historischen Quellen geht."

Hauptgrund für die Nichtbeachtung sind denn auch nicht wissenschaftliche Schlampereien, sondern die ketzerischen Thesen des Politologen mit Princeton-Diplom. Finkelstein argumentiert, dass jüdische Organisationen den Holocaust vermarkten, die Opferzahlen manipulieren, Kompensationszahlungen abkassieren und nicht an die bedürftigen Überlebenden weiterleiten und so den Holocaust-Verleugnern genau die richtigen Argumente liefern. Sein letztes Buch, "A Nation on Trial", eine fundierte Kritik der Goldhagen-Thesen, hatte schon vor der Veröffentlichung Probleme. Jüdische Organisationen wie die Anti-Defamation League intervenierten beim Henry Holt Verlag. "Ich habe niemals zuvor solche Anstrengungen von Interessengruppen erlebt, eine bevorstehende Veröffentlichung öffentlich schlecht zu machen", sagt Michael Naumann, damals Verlagschef bei Holt. Kein Wunder, dass Finkelstein an eine intellektuelle Verschwörung glaubt.

Über Joe Lieberman wird dagegen unerhört viel berichtet: Miss Amerika-Wahl oder beim Rennen um den Chefsessel im Weißen Haus - Religion spielt in Amerika immer eine entscheidende Rolle. Doch seit der Wahl von John F. Kennedy, dem ersten katholischen Präsidenten der USA, hat die Religionszugehörigkeit eines Kandidaten nicht mehr so große Schlagzeilen gemacht wie die Ernennung des Juden Joseph Lieberman zum Kandidaten der Demokraten für die Vizepräsidentschaft. Die US-Medien überschlagen sich mit Berichten über den "ersten Juden im höchsten Regierungsoffice". Das Time-Magazin widmet der Tatsache, dass ein Politiker jüdischen Glaubens der nächste US-Vizepräsident werden könnte, eine 13seitige Titelgeschichte, in der unter anderem auch der Frage nachgegangen wird, was genau Mr. Lieberman am Sabbath treibt ("Er ruht.") und ob die Befolgung jüdischer Gebote mit seinen Regierungsgeschäften kollidieren könnte. Talkshow-Moderatoren fragen mit geheuchelter Besorgnis, was Lieberman tun würde, wenn ausgerechnet am Samstag, dem jüdischen Feiertag, Krieg ausbricht? Ruhen? Und was, wenn es bei einem wichtigen ausländischen Staatsbankett kein koscheres Essen gibt?

Alle Zeitungen wägen in ihren Leitartikeln die Vor- und Nachteile eines jüdischen Vizekandidaten ab. Der New York Observer bemerkt, dass Liebermans Kandidatur auf alle Fälle den positiven Nebeneffekt habe, dass nichtjüdische Amerikaner endlich "einen konstanten Strom von Informationen über jüdische Kultur bekommen, besonders weil die wichtigsten jüdischen Feiertage wie Rosh Hashanah und Jom Kippur in die Wahlkampfzeit fallen". Die Village Voice hält den ganzen Wirbel dagegen für pure "Schaufensterdekoration": Liebermans Aufstieg sei "ebenso wenig ein Beweis für die Überwindung des Judenhasses wie seinerzeit Disraelis Verkündung des Endes des Antisemitismus'", schreibt Richard Goldstein. Und im New Yorker kommentiert Hendrik Hertzberg, er hätte eigentlich angenommen, der erste "echte Jude" im Weißen Haus würde "mehr wie Gregory Peck aussehen als wie Mel Brooks".

Dabei ist Lieberman keineswegs der erste Jude in hoher Regierungsposition. Doch Henry Kissinger, Robert Rubin oder Kaliforniens Senatorin Dianne Feinstein sind assimilierte Juden. Lieberman wäre dagegen der erste Orthodoxe im Amt. Und, so schreibt Charles Krauthammer im Time Magazine, "orthodoxe Juden werden von den Durchschnittsbürgern immer noch als exzentrisch, oder sogar fremdartig angesehen. Ironischerweise ist das besonders akut unter säkularisierten Juden wie Woody Allen, in dessen Filmen der orthodoxe Jude unvermeidlich als bärtiger Buffo mit schwarzem Hut dargestellt wird."

Die auffällige Betonung von Liebermans Religionszugehörigkeit in den Medien wird im politisch-korrekten Amerika allerdings nicht als Entgleisung angesehen. Zwar äußerten einige Mitglieder der jüdischen Gemeinde Besorgnis, dass die plötzliche Flut der Berichterstattung Antisemitismus fördern könne. Doch die Demokraten schlachten das Thema selbst zum Stimmenfang aus. Liebermans Auftritt auf dem Parteitag in Los Angeles begann mit der Musik von "Chariots of Fire", ein Film über einen jüdischen Olympia-Sprinter, der gegen Antisemitismus kämpfen muss. In seiner Rede betonte Lieberman dann noch einmal Gores große Courage, einen Juden zum politischen Partner gewählt zu haben.

Antisemitismus-Alarm schlagen die "political correctness"-Wächter erst dann, wenn Liebermans Jüdisch-sein mit negativen Stereotypen in Verbindung gebracht wird. Zum Beispiel im Fall der Amsterdam News, New Yorks ältester afro-amerikanischer Zeitung, die 1907 in Harlem gegründet wurde. Herausgeber Wilbert A. Tatum schrieb in der letzten Ausgabe des traditionsreichen Wochenblatts, dass Al Gore Lieberman nur "wegen des jüdischen Geldes" zum Wahlkampfpartner gemacht habe, ein Argument, das auch von moderaterer Seite schon zu hören war. Auch Bush musste sich vorwerfen lassen, dass er Big Business-Mann Dick Cheney nur zum Vizekandidaten gewählt hat, weil der von den großen Ölkonzernen unterstützt wird. Schließlich gilt im amerikanischen Wahlkampf die eiserne Faustregel, dass am Ende immer der Kandidat mit dem meisten Spendendollar das Rennen macht.

Die jüdische Anti-Defamation League protestierte gegen den Leitartikel in der Amsterdam News: "Die Sprache ist die schlimmste antisemitische Rhetorik, die ich seit langem gelesen habe", empörte sich ADL-Direktor Abraham Foxman in der New York Times. Auf der Meinungsseite versucht Sozialforscher David Bositis dagegen das Argument zu entkräften, dass alle Schwarzen antisemitische Gefühle hegen: die latente Antipathie der Afroamerikaner gegen Lieberman stamme eher von seinen konservativen politischen Positionen, beispielsweise in Sachen Affirmative Action (Lieberman hat sich in der Vergangenheit kritisch zur Quotenregelung für Minderheiten an Hochschulen geäußert, diese Position kürzlich allerdings revidiert.) Außerdem, so Bositis, habe vielen Schwarzen seine öffentliche Schelte von Bill Clintons "unmoralischem Verhalten" im Monica Lewinsky-Skandal missfallen: "Afroamerikanern ist Clintons Privatleben egal. Sie interessiert, dass ihr Einkommen in seiner Amtszeit schneller gestiegen ist als das der Weißen, dass Affirmative Action geschützt wird, und dass Clinton Afrika zu einen Teil seiner Außenpolitik gemacht hat. Sie sind es jetzt gewohnt, ernst genommen zu werden und warten auf ein Zeichen von Mr. Gore. Leider gibt die Wahl von Mr. Lieberman ein gegenteiliges Signal."