Magazinrundschau - Archiv

Resident Advisor

2 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 04.02.2020 - Resident Advisor

Ambient und New Age würden die meisten wohl am ehesten mit den Siebzigern in Verbindung bringen - dabei dürfte ein Großteil aller Arbeiten in diesem Feld in den letzten zehn Jahren entstanden sein, mutmaßt der Pophistoriker Simon Reynolds in einem großen Rückblick auf die Zehnerjahre als Jahrzehnt der Entspannungs-Renaissance (und ist sich dessen dabei wohl bewusst, dass es zugleich das Jahrzehnt ist, in dem der Siegeszug des mobilen Ständig-Online-Seins ganz neue Stresslevel erzeugt hat). Dabei sah es Anfang der Zehnerjahre in der Musik noch völlig anders aus: "Auf den ersten Blick ist die dominante Geschichte in der Welt der elektronischen Musik der digitale Maximalismus. Die Zehner setzten mit dem Aufstieg von EDM ein: Festivalheadliner wie Skrillex und Deadmau5 machten sich mit ultra-grellem, aufgedrehtem Krach über das Publikum her, der synchron zu die Augenlinsen verschmorenden CGI-Bildern lief. ... Von Iglooghosts Kawaii-Fantasien bis zu Flumes barocken Komplexitäten stieß man auf eine Ästhetik einer völlig übergestalteten Produktion und von Overkill-Effekten, die darauf ausgerichtet waren, Deine Aufmerksamkeit zu packen. Und dennoch könnte man ohne weiteres ein Gegennarrativ zu diesen Zehner-Jahren in Stellung bringen, in dem sich ein komplett gegenteiliger Zusammenhang minimalistischer Werte herausbildete - Reduktion, Ereignisarmut, Ruhe, was auch immer das Gegenteil zu 'eins auf die Zwölf' darstellt. Wer das Internet durchforstet, stößt auf Dutzende von Geschmacksrichtungen und Subgenres von Ambient Music - idyllisch und schimmernd in einer klassischen Abstammungslinie, die sich über die Chillout-Musik der Neunziger bis zu Eno, Harold Budd und Steve Hillage zurückverfolgen lässt. Space Music in der Tradition von Steve Roach und Sky Records. Klangnebel modularer Synthesizer, der zurück geht zu den analogen Anfängen. Düsterer Drone mit einer geisterhaft heidnischen Atmosphäre. Arbeiten, die diffus liturgisch und prä-modern wirken, mit weihevollem Gesang und der Klangtextur akustischer Instrumente. Und dann hat man sich noch gar nicht zu den benachbarten Genres vorgearbeitet, die ähnlich ambiente und leicht goutierbare Klangqualitäten aufweisen (Vaporwave, Hauntology, Nu-Shoegaze) oder Ambient-Subgenres bilden (Post-Metal)."

Eine sehr schöne Platte hat zum Beispiel Skee Mask im Jahr 2018 gemacht:



Oder die "Themes" des großen Roman Flügel:

Magazinrundschau vom 02.01.2019 - Resident Advisor

Tom Faber ist nach Teheran gereist, um einen ausführlichen und sehr informativen Einblick in die sehr lebendige Szene elektronischer und Technomusik im Iran zu geben. Diese Szene ist international bestens vernetzt. Unter anderem schreibt Faber über das Teheraner SET-Festival, das unter anderem auch mit dem Berliner CTM-Festival kooperiert. Eine der Hauptfiguren in Fabers Artikel ist Ata Ebtekar, der in Hamburg geboren ist und lange Zeit in Amerika lebte. Nach seiner Rückkehr nach Teheran wurde der Musiker und Produzent zum Mentor der entstehenden Szene in Teheran. Das SET-Festival, so Faber, arrangiert sich mit den politischen Gegebenheiten, um überhaupt stattfinden zu können. Das heißt nicht, dass man nicht sehr starken Einschränkungen ausgesetzt ist: "Ebtekar gründete vor kurzem das Label Zabte Sote, das iranischen Sound-Künstlern gewidmet ist und eine Kompilation mit 42 Stücken herausbrachte, die große Vielfalt und Talent beweisen. Hätte er sie im Iran herausbringen wollen, hätte er sie zwei getrennten Regierungskomitees vorlegen müssen, um nachzuweisen, dass Musik und Text 'moralisch' sind (elektronische Musik ohne Text passiert die Netze der Zensoren einfacher). Dieser Prozess kann zwei Monate in Anspruch nehmen, und danach ist es kaum möglich für einen Vertrieb im Ausland zu sorgen. Aus diesem Grund tat sich Ebtekar mit Stephen Bishop vom Label Opal Tapes zusammen, um physische Kopien zu erstellen, die er aber im Iran nicht verkaufen kann."

Die Musik klingt oft erstaunlich experimentell und melancholisch, wohl auch, weil ein gemischtes Publikum nicht zu ihr tanzen darf, so dass sie eher für ein zuhörendes Publikum gemacht wird. Eines der Teams, das Faber vorstellt ist 9t Antiope um Nima Aghiani und Sara Bigdeli Shamloo (die heute allerdings in Paris leben).