Die ungarische Lettre International stellt in diesem Frühjahr
Russland in den Fokus: "Für mich ist es einfacher, nach
New York zu fliegen, als hundert Kilometer von meiner
Moskauer Wohnung zurückzulegen. New York kommt mir übersichtlicher, verständlicher, selbstverständlicher vor" - erklärt einer der wichtigsten Vertreter des Moskauer Underground, der
Dichter und
Künstler Dmitrij Prigow im
Gespräch mit dem ungarischen Schriftsteller
Akos Szilagyi. Die Menschen werden sich in Zukunft laut Prigow immer weniger mit einer Nation oder Europa identifizieren: "Ich habe den Eindruck, dass die Welt der Zukunft nicht aus Europa, Asien, Australien usw. bestehen wird, sondern aus der riesigen Masse der
Megalopolen, die eine weltweit einheitliche Struktur, eine Art
Hypernation bilden werden ... Im Zuge der Globalisierung werden sie in einer unpersönlicher Art und Weise international. In Gebieten, die von dieser Entwicklung abgekoppelt bleiben, entstehen wilde Landschaften,
das
'weiße Afrika'."
Peter Esterhazy (mehr
hier)
analysiert im Gespräch mit seiner russischen Übersetzerin
Oksana Jakimenko die Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa im Hinblick auf
Schlange stehen: "Eine westeuropäische Schlange ist technischen Charakters: es lässt sich per Division im Nu ausrechnen, wann man an die Reihe kommt, denn
man kann sehen, wie schnell und wie lang die Schlange ist. Eine osteuropäische Schlange ist dagegen eine
metaphysische Angelegenheit, sie ist unendlich. Vielleicht muss man ein Leben lang anstehen, und trotzdem bekommt man am Ende nicht, was man ursprünglich wollte, zum Beispiel den
um zwei Größen größeren BH. Vor vielen Jahren musste ich am Grenzübergang in Rumänien mit zwei Kleinkindern im Auto acht Stunden lang warten. Das war eine reine Schikane, nichts war damals unmöglich. Während der Warterei wurde mir plötzlich klar, dass wir vielleicht
mehrere Jahre lang anstehen müssen, wie in einer Kafka-Novelle. Das ist lange her, aber heute noch ergreift mich ein Unbehagen, wenn ich wartende Menschen in einer Schlange erblicke..."
Leider nur in Print: Die ungarische Zeitschrift übernimmt aus der russischen Zeitschrift
"Neprikosnovenny zapas" einen Text von
Juri Andruchowytsch (mehr
hier) in dem er seine "absurden wie unerfüllbaren
Forderungen an Russland" bekannt gibt: Russland soll...
den
Völkermord in Tschetschenien beenden und dessen Unabhängigkeit anerkennen, "uns nicht
an der kurzen Leine führen wollen, keine
Ausdehnung nach Westen anstreben, ... meine Romane im Original lesen, in meinem Land
nicht nur das Herkunftsland von Speck sehen, die besten russischen Schriftsteller nie wieder hinter Gitter bringen,
liberal und individuell werden ... Mit einem Wort: im leicht explosiven Gemisch aus
Despotismus und Anarchie, das Russland heißt, soll die russische Anarchie den russischen Despotismus überwinden."