Magazinrundschau - Archiv

Magyar Lettre International

2 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 04.07.2006 - Magyar Lettre International

Abgedruckt ist ein Auszug aus dem autobiografischen Essay "Emigrationsübungen" des Theaterwissenschaftlers und Essayisten Dragan Klaic, der die Geschichte des mehrfachen Exils einer jüdischen Familie erzählt. "Die Muttersprache meiner Mutter war Serbokroatisch, das sie im Dialekt von Sarajewo sprach. Dieses Idiom wird heute offiziell 'bosnische Sprache' genannt. Ihre Eltern sprachen auch Deutsch, Polnisch und Jiddisch zu Hause. Meine Eltern sprachen Serbokroatisch und Ungarisch mit uns, Kindern.... Mit der Mehrsprachigkeit in der Familie habe ich die Logik des Übersiedelns, der Mobilität eingeatmet. Sprachliche Unvollkommenheit kam mir nie negativ, sondern normal vor. Heute noch, bei uns zu Hause in Amsterdam sprechen wir Serbokroatisch, Ungarisch, Englisch oder Niederländisch miteinander." (Mindestens Deutsch und Französisch spricht er außerdem noch.)

Die in Ungarn geborene, seit 1990 in Deutschland lebende und Deutsch schreibende Autorin Terezia Mora spricht im Interview mit Lidia Nadori, der Übersetzerin ihres Romans "Alle Tage", über die Auswirkungen einer Diktatur. "In nicht wenigen Familien, also im privaten - nicht im politischen oder im wirtschaftlichen - Raum wird alltäglich Gewalt angewandt. Das ist eine tief wurzelnde, von Generation auf Generation weitervererbte Gewalt; das empört mich sehr. Es ist zwar kein Honiglecken, die Kindheit in einer Diktatur verbringen zu müssen, trotzdem habe ich vor allem unter der Roheit meiner unmittelbaren Umwelt gelitten. Wir sind vom Erbarmen unserer Mitmenschen abhängig, besonders in unserer Kindheit." Das Problem habe auch einen politischen Aspekt: "Je emanzipierter eine Gesellschaft ist (was Frauen, Männer, Kinder, Bürger angeht), desto leichter können wir uns gegen die alltäglichen Grausamkeiten wehren. In meiner Kindheit spielte Toleranz - als unmittelbare Manifestation der Demokratie - im Alltag nicht einmal als Wort eine Rolle."

Magazinrundschau vom 19.04.2005 - Magyar Lettre International

Die ungarische Lettre International stellt in diesem Frühjahr Russland in den Fokus: "Für mich ist es einfacher, nach New York zu fliegen, als hundert Kilometer von meiner Moskauer Wohnung zurückzulegen. New York kommt mir übersichtlicher, verständlicher, selbstverständlicher vor" - erklärt einer der wichtigsten Vertreter des Moskauer Underground, der Dichter und Künstler Dmitrij Prigow im Gespräch mit dem ungarischen Schriftsteller Akos Szilagyi. Die Menschen werden sich in Zukunft laut Prigow immer weniger mit einer Nation oder Europa identifizieren: "Ich habe den Eindruck, dass die Welt der Zukunft nicht aus Europa, Asien, Australien usw. bestehen wird, sondern aus der riesigen Masse der Megalopolen, die eine weltweit einheitliche Struktur, eine Art Hypernation bilden werden ... Im Zuge der Globalisierung werden sie in einer unpersönlicher Art und Weise international. In Gebieten, die von dieser Entwicklung abgekoppelt bleiben, entstehen wilde Landschaften, das 'weiße Afrika'."

Peter Esterhazy (mehr hier) analysiert im Gespräch mit seiner russischen Übersetzerin Oksana Jakimenko die Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa im Hinblick auf Schlange stehen: "Eine westeuropäische Schlange ist technischen Charakters: es lässt sich per Division im Nu ausrechnen, wann man an die Reihe kommt, denn man kann sehen, wie schnell und wie lang die Schlange ist. Eine osteuropäische Schlange ist dagegen eine metaphysische Angelegenheit, sie ist unendlich. Vielleicht muss man ein Leben lang anstehen, und trotzdem bekommt man am Ende nicht, was man ursprünglich wollte, zum Beispiel den um zwei Größen größeren BH. Vor vielen Jahren musste ich am Grenzübergang in Rumänien mit zwei Kleinkindern im Auto acht Stunden lang warten. Das war eine reine Schikane, nichts war damals unmöglich. Während der Warterei wurde mir plötzlich klar, dass wir vielleicht mehrere Jahre lang anstehen müssen, wie in einer Kafka-Novelle. Das ist lange her, aber heute noch ergreift mich ein Unbehagen, wenn ich wartende Menschen in einer Schlange erblicke..."

Leider nur in Print: Die ungarische Zeitschrift übernimmt aus der russischen Zeitschrift "Neprikosnovenny zapas" einen Text von Juri Andruchowytsch (mehr hier) in dem er seine "absurden wie unerfüllbaren Forderungen an Russland" bekannt gibt: Russland soll...
den Völkermord in Tschetschenien beenden und dessen Unabhängigkeit anerkennen, "uns nicht an der kurzen Leine führen wollen, keine Ausdehnung nach Westen anstreben, ... meine Romane im Original lesen, in meinem Land nicht nur das Herkunftsland von Speck sehen, die besten russischen Schriftsteller nie wieder hinter Gitter bringen, liberal und individuell werden ... Mit einem Wort: im leicht explosiven Gemisch aus Despotismus und Anarchie, das Russland heißt, soll die russische Anarchie den russischen Despotismus überwinden."