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Manipulation der Geschichte

Von Hans-Jörg Schmidt
25.10.2008. Die Kundera-Affäre schlägt Wellen. In Tschechien wird jetzt gleich die Schließung der tschechischen Gauck-Behörde gefordert.
Zum Vorreiter derjenigen, die die Schließung des Instituts für das Studium totalitärer Regime fordern, macht sich seltsamerweise die Literaturzeitschrift Literarni noviny, die eine ruhmreiche Geschichte hat und vor allem im Prager Frühling 1968 zur unverzichtbaren Lektüre in der damaligen Tschechoslowakei gehörte. In ihrer jüngsten Ausgabe druckte sie ein Foto des Behörden-Chefs Pavel Zacek mit dem Text: "Pavel Zacek - Direktor der Behörde zur Manipulation der Geschichte". Chefredakteur Jakub Patocka spricht in seinem Leitartikel von einer "Schande" gegenüber "einem der größten lebenden europäischen Intellektuellen" (Kundera). In der Behörde arbeiteten "inkompetente Angestellte einer Propaganda-Agentur". Patocka nimmt dann Bezug auf die erste Veröffentlichung in der Welt zum Fall Kundera, in der Respekt-Chefredakteur Martin M. Simecka zitiert worden war, der den Fall Kundera mit dem Fall Grass verglichen hatte: "Jetzt kann die Welt peinlich darüber belehren, dass Kundera wie Grass sei, und sowohl endlos geistlos als auch durchsichtig versuchen, die Vergangenheit von Deutschen und Tschechen zu relativieren. Als ob die Mitgliedschaft in der SS in irgend einer Weise mit der Mitgliedschaft im SSM (dem früheren tschechoslowakischen kommunistischen Jugendverband) zu vergleichen wäre. Als wäre es nicht so, dass die Tschechen den Zweiten Weltkrieg gewonnen und die Deutschen ihn verloren hätten." Der Artikel mündet in der Aussage: "Wenn wir nicht die Schließung der Behörde fordern und Respekt nicht mehr lesen, bleibt uns nichts anderes, als wie Kundera ein Land zu suchen, in dem wir derlei nicht erdulden müssen."

Auf einer halben Seite druckt die Literarny noviny dann ein Interview mit dem früheren Dissidenten und heutigem Sozialdemokraten Jaroslav Sabata (leider nicht auf der Internetseite), der zwar einräumt, das Kundera ins Zwielicht rückende Dokument über den womöglichen Verrat Dvoraceks überhaupt nicht gesehen zu haben, in der Folge aber über eine "Verrats-Legende" redet und diese scharf verurteilt.

Die Angriffe auf das Institut für das Studium totalitärer Regime (Ustr) in Prag sind nicht neu. Die im tschechischen Parlament oppositionellen Sozialdemokraten (CSSD) und die ungewendeten Kommunisten (KSCM) hatten gar vor dem Verfassungsgericht in Brünn gegen seine Entstehung geklagt, weil die von der größten Regierungspartei, der liberal-konservativen Bürgerpartei (ODS) befördert worden war. Beide Parteien scheiterten jedoch vor Gericht.

Hans-Jörg Schmidt

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