Im Kino

Entrückend entfärbt

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Friederike Horstmann
10.04.2014. In Jem Cohens "Museum Hours" führt ein Aufseher eine Touristin durch das Kunsthistorische Museum und die Geschichte Wiens. David Ayer beschwört in "Sabotage" den Verfall einer stinkenden, frei drehenden Männerwelt.


In einer starren, ersten Einstellung wird ein Museumswärter gezeigt, der in einem Gemäldesaal auf einem Stuhl unter einer riesenhaften Holztür sitzt. Auch die an den roten Wänden hängenden Prunkgemälde mit pompösen Goldrahmen sind von außerordentlichem Ausmaß. Johann ist ein älterer Aufseher im Wiener Kunsthistorischen Museum, im "big old one" wie er es selbst später beschreibt. Hier begegnet er Anne, einer kanadischen Touristin, die wegen ihrer im Koma liegenden Kusine nach Wien gekommen ist. Die Wege der beiden kreuzen sich zufällig, um eine vage umrissene Erzählung zu eröffnen, die einen Vorwand bietet für Bildbefragungen, für Erkundungen musealer und urbaner Räume, für Streifzüge durch die Geschichte Wiens. Jenseits der regulären touristischen Attraktionen werden Imbisskaschemmen und entlegene Bars besucht, ein Ausflug zu einer Seegrotte unternommen. Dokumentarische Stadtansichten wechseln mit beiläufig inszenierten Szenen - immer wieder unterbrochen von Aufnahmen aus dem Kunsthistorischen Museum.

Während Skulpturen und vor allem Gemälde in unterschiedlichen Ausschnitten gezeigt werden, spricht Johann aus dem Off über seine Arbeit, kommentiert Vorgänge im Museum, räsoniert über Bilder und Besucher - ruhig, gleichmäßig und nur selten die sonore Stimme leicht hebend. Ohne zwangsläufig zur Deckung zu kommen, laufen Bilder und Beschreibungen nebeneinander her, um sich momenthaft zu überlagern. Johanns Kommentare, die sich wie innere Monologe über die Bilder legen, verbinden Museums- und Stadtraum: die Kamera verharrt zunächst auf vergrößerten Gegenständen im Gemälde dann auf unbelebten Dingen im Außenraum. Hier wie dort handelt es sich um Detailaufnahmen von entlegenen Gegenständen, die als Überreste gelebter Alltagskultur verloren oder vernutzt auf dem Boden liegen: ein zerbrochenes Ei, ein zerdrückter Zigarettenstummel, eine Bierdose. In einer anderen Szene werden erst die vielen kleiner Bildnisse der berühmten Porträtsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol gezeigt und daran anschließend die dicht beklebte Fotowand in dem Lokal MMM Espresso - auch die Größe der kleinformatigen Ölgemälde entspricht in etwa denen der vergilbten Porträtfotografien. Das Prinzip der Serialität wird im Barraum auch an anderer Stelle aufgegriffen, in einer eindrücklichen Reihung an Jägermeisterfläschchen.

Innen- und Außenräume werden jedoch nicht nur durch visuelle Analogien verknüpft: der Audioguide des Kunsthistorischen Museums ist den Aufnahmen vom Naschmarkt und seinem Gerümpel in durchweichten Umzugskisten untergelegt. In den Schichtungen und Mischungen entwickeln die Bilder und Töne ein mehrsinniges Eigenleben in porösen Geschichten. Trotz gelegentlicher Analogien sind die Bildbeschreibungen nicht illustrativ. Vielmehr bleiben die Zusammenhänge absichtsvoll fragmentarisch. Immer wieder gibt es Pausen in den Erzählungen: Als Interpunktion des Erzählablaufs trennen Schwarzbilder viele Szenen und markieren die Grenzen des Sehens spürbar als einen Entzug, als eine Zäsur, die im Prozess der Wahrnehmung selbst gesetzt ist. Im Schwarz zwischen den Bildern lagern blickdicht verborgene Spuren - Schlupfwinkel für assoziative Möglichkeitsräume.



In Johanns Bildreflexion aus dem Off werden auch verborgene ideologische Implikationen und gesellschaftliche Funktionen freigelegt: Vor allem die Gattung der Stillleben zeige Besitztümer der damaligen Neureichen so, als würde man heute eine Ansammlung von Rolex-Uhren, Champagnerflaschen und Flachbildschirme malen, Stillleben seien die Rapstar-Videos ihrer Zeit. Während dieser Überlegungen werden nicht nur Stillleben, Gold- und Silberstücke der Münzsammlung, sondern auch eine Marmorbüste gezeigt, ein repräsentatives Herrscherporträt mit unnahbarer Haltung und unregelmäßigen Gesichtszügen, das durch lange Allongeperücke, bekrönendem Lorbeerkranz und eine wirkungsvolle Draperie überhöht wird.

Dieser spezifischer Blick auf Bilder, auf ihr Verhältnis zur Gegenwart erinnert an die vierteilige BBC-Fernsehserie "Ways of seeing", die John Berger als Autor und Moderator in den frühen siebziger Jahren präsentierte. In dieser Blickschulung fürs Fernsehpublikum wurden Bilder und die in ihnen abgelagerten Ideologeme unorthodox und unprätentiös wahrgenommen und kommentiert, um sie in Bezug zur Gegenwart zu setzen: "It isn't so much the paintings themselves which I want to consider as the way we now see them. Now, in the second half of the 20th century. Because we see these paintings as nobody saw them before. If we discover why this is so, we shall also discover something about ourselves, and the situation in which we are now living." Es verwundern nicht, dass der New Yorker Filmemacher in den Credits dem englischen Kunstkritiker dankt.

"Museum Hours" zeigt eine ganz eigene Verbindung zu seinen Schauplätzen: in starren Einstellungen durchmisst die Kamera den urbanen Raum Wiens, wirft dokumentarische Blicke auf seine Straßenzüge, Häuserzeilen, Haltestellen. Im Gegensatz zu den digital gedrehten Aufnahmen im Museum, die klarer und realistischer wirken, wurden die Außenaufnahmen mit einer aufziehbaren Bolex gedreht. Die Aufnahmen des grobkörnigen 16mm-Materials, dessen Farben wie einzelne Pigmente ineinander dringen, scheinen gleichsam malerisch und entrückend entfärbt: Über die winterlichen Wienbilder legt sich ein bläulich weißer Firnis. Schnee stiebt durchs Bild. Das spärlich fahle Winterlicht erzeugt eine diesig getrübte Farbintensität. In Jem Cohens Schauplatzgeschichte überlagern sich Dokumentation und Fiktion, wechseln sorgfältig ausgearbeitete Dialoge mit improvisierten Szenen, werden Museumsgemälde mit Stadtansichten verbunden. Durch Cohens Blick kann alles bedeutsam werden, prominent hervortreten oder plötzlich verschwinden: "Licht, die Umrisse eines Gebäudes, ein streitendes Paar, ein Regenschauer, der Klang von Husten, Spatzen... ."

Friederike Horstmann

Museum Hours - Österreich, USA 2012 - Regie: Jem Cohen - Darsteller: Mary Margaret O'Hara, Bobby Sommer - Laufzeit: 107 Minuten.

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David Ayer interessiert sich für die Dynamiken und Mechanismen in schicksalshaft verschweißten (Männer-)Teams - ob in "Training Day", für den er das Drehbuch verfasste, oder im tollen, von ihm selbst inszenierten Cop-Drama "End of Watch". In "Sabotage" geht es nun um ein ganzes Rudel von Männern außer Rand und Band - inklusive einer Frau, die die Meute vollends in Richtung Wahnsinn deliriert - oder genauer: um ein von seiner eigenen Virilität berauschtes Sondereinsatzkommando der Drogenfahndung, das die eh berüchtigt brüchige Grenze zwischen Ordnungshütern und Verbrechern vollends zum Verschwinden bringt. Nicht, dass es sich nicht um Profis handeln würde: Wenn diese Meute buchstäblich durch die Scheiße robbt, sitzt jedes Kommando, jeder Zuruf und jeder Handgriff mündet flüssig in den nächsten. Diese männerbündische Form eines zwar kernigen, aber konzentrierten Professionalismus beobachtet Ayer zwar sichtlich fasziniert - doch war für die ersten beiden genannten Filme noch ein gewisses Maß an sozialem Realismus ausschlaggebend, flirtet "Sabotage" gehörig mit dem Bahnhofskino und dessen grellen Spektakeln samt der Lust am schlechten Geschmack.

Dazu zählt auch das Anbändeln mit den transgressiveren Ästhetiken aus den Nebenarmen des Gegenwartskinos: Wenn zu Beginn in vergrieselten Videoaufnahmen eine Frau sadistisch im Snuff-Stil gequält wird, ruft dies Erinnerungen an die Torture-Porn-Welle der letzten Jahre wach. Kommt ein Mann brutal unter die Räder, beeilt sich die Kamera, das blutige Gekröse gleich mehrfach aufmerksam in den Blick zu nehmen. Ein anderer Toter wurde gleich an die Decke des Zimmers genagelt, von wo aus seine Gedärme herab baumeln. Überdies ist "Sabotage" ein wahrer Geduldtest in Sachen fäkaler Freuden: Wie lange hält man einen Film aus, in dem alle naselang geschissen, gepisst und gefurzt wird oder die Erzeugnisse solcher Tätigkeiten eine Rolle spielen? David Ayer zeigt eine freidrehende Männerwelt frei nach dem Motto: "Echte Männer müssen stinken." Zum Glück ist John Waters' Traum eines Geruchskinos nie wahr geworden.



Und doch ist "Sabotage" von solchen Nervereien abgesehen keineswegs uninteressant geworden. Die Geschichte um ein taffes Sondereinsatzkommando, das ein Drogenkartell um einige Millionen erleichtert, dann aber selbst um das Geld gebracht und schließlich selbst mörderisch gejagt wird, ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil Arnold Schwarzenegger in der Rolle des Anführers besagter Truppe dem Film seinen guten Namen mit auf den Weg gab, was wohl der ausschlaggebende Grund dafür gewesen sein mag, dass "Sabotage" nicht direkt im Direct-to-DVD-Segment landete. Gut ist der Film immer auch dann, wenn er sich von diesem Celebrity-Ballast frei macht und schön im - insbesondere inszenatorischen - Irrsinn wildert: Zum Beispiel hat Ayer eine ausgesprochene Vorliebe für eine Standardsituation des Copthrillers, den einerseits konzentrierten, andererseits pushenden polizeilichen Übergriff auf ein Haus oder eine Wohnung. Wenn Schwarzenegger in einer Szene mit einem weiblichen Co-Part eine Bude sichert, macht Ayer daraus ein irisierend abstraktes Spiel aus Farben und Formen. Ein andermal setzt er seine mobile Kamera auf den Pistolenlauf eines wild um sich ballernden Kerls, mit dem Unterschied zur üblichen Methode allerdings, dass die Kamera auf den Schützen blickt. Im final groß angelegten Showdown schließlich schießt Ayer vollends aus allen Rohren und legt vielleicht nicht das beste Setpiece, aber doch ein ziemlich verrücktes dieser Art vor.

Gewiss, recht rund geraten ist der Film nicht. Erzählerische Volten werden je nach Bedarf aus dem Hut gezogen, oft weiß Ayer sichtlich nicht, welchem der davonstrebenden Erzählfäden er eigentlich gerade hinterher rennen sollte. Auch dass er mit Schwarzenegger und dessen Alter recht wenig anzufangen weiß, kann man bemerken. Aber wie er die zu Beginn so nervende Männerbündelei schön konsequent mit seiner fiebrig irrlichternden Inszenierung nicht nur beim Verfall beobachtet, sondern diesen damit geradezu heraufbeschwört, das hat stellenweise schon große Klasse. Da verzeiht man auch den beknackten Epilog, bei dem der Film dann noch mal sein Register und ins eher öde postmoderne Pulp-Kino der 90er Jahre wechselt, blödsinnigen Cowboy-Hut inklusive.

Thomas Groh

Sabotage - USA 2014 - Regie: David Ayer - Darsteller: Arnold Schwarzenegger, Sam Worthington, Joe Manganiello, Josh Holloway, Terrence Howard, Max Martini - Laufzeit: 109 Minuten.