

Die Kritiker sind einfach hin und weg von
Franz Schuhs Essays über das
"Lachen und Sterben" (
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versichert Eva Menasse in der
Zeit, der vergnüglich und stilistische brillant schreiben kann, aber sie vor allem durch seine "
Lust zu denken" inspiriert. Schuh wolle die Welt "immerzu als Ganzes" denken. Die Hochkultur gehört dazu ebenso wie die Populärkultur. Ähnlich
empfindet es auch Paul Jandl (
NZZ), dem imponiert, wie Schuh - "vielleicht auch, um eigene Beschränktheiten nachvollziehbar zu machen" - immer die "Herkunft seiner Gedanken, den Zusammenhang zum eigenen Leben" miterklärt. Auf einer Forschungsreise wurde die Anthropologin
Nastassja Martin in Kamtschatka
von einem Bären gebissen und schwer verletzt. Die Geschichte ihrer Heilung, die sie in
"An das Wilde glauben" (
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FAZ) besticht sie durch kluges Nachsinnen über unsere Koexistenz mit der Natur und eine plastische Schilderung des Genesungsprozesses. Dass die Autorin den bei so einer Geschichte überall lauernden Fallen der Romantisierung sowie des dichotomischen Denkens (Natur vs. Kultur, indigene vs. neue Welt) entgeht, hält Strubel für keine Kleinigkeit.


Selber denken wagt auch die amerikanische Journalistin
Jia Tolentino in ihrem Essayband
"Trick Mirror. Über das inszenierte Ich" (
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Jezebel, eine Webseite aus dem jetzt untergegangenen
Gawker-Universum, und landete schließlich beim
New Yorker. Sie ist auch ein mit allen Wassern gewaschener Social-Media-Profi, aber das stört die Rezensenten nicht, dafür ist sie zu "scharfsinnig", meinen Melanie Mühl in der
FAZ und Eva Tepest in der
taz. Als erhellend und "literarisch kraftvoll" lobt Juliane Liebert in der
Zeit die "feminin geprägten" Essays, die eigene Erlebnisse mit Gedanken über
Ehe,
Reality-
Fernsehen,
Trump,
Religion,
Ecstasy oder eben
Feminismus kurzschließen.
FAS-Rezensent Harald Staun gefiel, dass alle Erkenntnissen Tolentinos immer auch vom Bewusstsein ihrer Fragwürdigkeit geprägt sind. Als Zeitdiagnose wirklich lesenswert, findet er. Ein
Interview mit Tolentino findet sich in der
Paris Review. Hingewiesen sie auch noch auf
Elif Shafaks Büchlein
"Hört einander zu!" (
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NZZ-Kritikerin Irene Binal jedenfalls sehr gut.

Sehr gut besprochen wurde
Sören Urbanskys "An den Ufern des Amur" (
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China und Russland. Die Mehrsprachigkeit des Historikers Urbansky eröffnet der FAZ-Rezensentin Gudrun Braunsperger Einblicke in die Vorurteile auf beiden Seiten der Grenze, die politischen, historischen, kulturellen und sozialanthropologischen Exkurse im Buch erschließen ihr den kleinen Grenzverkehr ebenso wie das mitunter opportunistische Verhalten der Menschen in einer abgehängten Region. Das Verhältnis zueinander ist sicher auch geprägt von der Tatsache, dass ein marodes Russland einem enorm agilen und aufstiegshungrigem China gegenübersteht, erkennt SZ-Kritiker Hans Gasser, der fasziniert ist von der großen Geschichte und den kleinen Geschichten, die der Autor aufspürt.



Empfohlen werden außerdem
Barbara Demicks Reportage über
"Buddhas vergessene Kinder" (
bestellen) in der ost-tibetischen Stadt Ngaba. Hier sind die Repressalien der chinesischen Regierung
gegen die Tibeter besonders stark. Für
Dlf-kultur-Kritikerin Ruth Kirchner legt die amerikanische Reporterin ein beeindruckendes Buch vor, das am Beispiel Ngabas ein differenziertes Stimmungsbild des tibetischen Verhältnisses zu China zeichnet. Der norwegische Historiker
Terje Tvedt liefert mit
"Der Nil. Fluss der Geschichte" (
bestellen) eine "seltene Mischung" aus Geschichte und Geografie, so in der
SZ Harald Eggebrecht, die von biblischen Bildern über die Bilder Hollywoods bis zu den heutigen Kämpfen um das
Wasser des Nil kaum etwas auslässt. Als kenntnisreich, faszinierend und informativ lobt in der
FAZ auch der Historiker und Afrikawissenschaftler Andreas Eckert das Buch mit seinem Mix aus historischer Analyse, philosophischer Reflexion, Anekdoten und ökologischen Erörterungen. Gut besprochen wurde auch
Joseph Andras, der sich mit
"Kanaky" (
bestellen) an die Spuren des neukaledonischen Freiheitskämpfers
Alphonse Dianou heftet. Andras' Recherchen vor Ort machen das Buch laut
SZ-Kritiker Florian Kaindl zu einem faszinierenden Zeitdokument, das auch die Erkundung des kolonialen Erbes Frankreichs umfasst.


Schließlich sie noch auf zwei Bücher hingewiesen:
Gavin Francis'
"Inseln. Die Kartierung einer Sehnsucht" (
bestellen) denkt mit Entdeckern wie Kolumbus und Darwin oder Romanfiguren wie Robinson Crusoe über das richtige Verhältnis von
Geselligkeit und Abgeschiedenheit nach. Anne Kohlick vom
Dlf Kultur genießt diese Gedankenströme wie auch die sehr "atmosphärischen" Naturbeschreibungen, die sie die schäumende Meeresgischt fast am eigenen Leib spüren lassen.
Florian Werners Reiseziele sind sehr ungewöhnlich: Er besuchte
deutsche Raststätten, was unfassbarer Weise zu dem Band
"Die Raststätte. Eine Liebeserklärung" (
bestellen) führte. Kulturgeschichtlich möchte der Autor uns die Raststätte mit Foucault und Augé erschließen, aber
FAZ-Rezensent Kai Spanke sperrt sich. Lieber erfährt er von Werner über die Anfänge der Rastanlagen in den 1930ern oder wie die Mitropa abgewickelt wurde. Aufschlussreich, findet er. In der
SZ lobt Stefan Fischer Werners "Wille zur Groteske".