Thomas Lehr

Schlafende Sonne

Roman
Cover: Schlafende Sonne
Carl Hanser Verlag, München 2017
ISBN 9783446256477
Gebunden, 640 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Rudolf Zacharias reist nach Berlin. Dort will der Dokumentarfilmer die Vernissage seiner früheren Studentin Milena Sonntag besuchen. Thomas Lehrs Roman spielt an einem Sommertag des Jahres 2011 - und zugleich in einem ganzen Jahrhundert. Denn in ihrer Ausstellung zieht Milena nicht nur eine künstlerische Lebensbilanz, sondern die ihrer Zeit. Mit sprachlicher Kraft werden historische Katastrophen neben die privaten Verwicklungen dreier Menschen gestellt, führen die Spuren von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs bis ins heutige Berlin.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 05.10.2017

Rezensent Ekkehard Knörer begegnet dem Horror der angestrengten Andeutung und Ambivalenz in diesem Buch von Thomas Lehr. Einer "Zuschüttästhetik", wo sich der Leser immerhin Verführung wünscht. So aber taumelt Knörrer durch ein Textgebirge, sucht verzweifelt nach einem Halt (Kontext, Figur, Dialog), bekommt aber nur Stimmen, Daten, Konstellationen, Assoziationen. Was Knörer an Geschichte entdeckt, lohnt die Wiedergabe kaum. Ein maßloser, ein ambitionierter, ein maßlos ambitionierter Gegenwarts- und Historienroman, ein Fressen für Germanisten vielleicht, findet der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 28.09.2017

Wer mit James Joyce und Robert Musil verglichen wird, wie Rezensentin Judith von Sternburg es großzügig tut, kann sich eigentlich nicht mehr wünschen, außer, dass man ihn eines Tages selbst als Vergleichsgröße heranzieht. Wie es diese großen Bücher, die "intellektuellen Gesellschaftsdramen" so an sich haben, geht es um einiges, wenn nicht alles in Thomas Lehrs Roman "Schlafende Sonne", erster Teil eines mehrteiligen Projekts, erklärt von Sternburg. Eine Dreierkonstellation - zwei Männer und eine Frau - bildet das Zentrum das Romans, um das sich nach und nach ein Mosaik von Stücken ordnet, die "szenisch intensiv", aus verschiedenen Perspektiven zu verschiedenen Zeiten erzählt werden, lesen wir. Das Denken, als die Suche nach dem Licht, ist das verbindende Motiv in dieser raffinierten Konstruktion, erläutert von Sternburg, die Namen und Werke, die hier zitiert, angedeutet oder nach-gedacht werden, stehen jedoch nie für sich allein, dienen nie der bloßen bildungsbürgerlichen Prahlerei, sondern immer dem suchenden, erkenntnisorientierten Denken. Dass das Buch neben all diesen Ansprüchen auch noch unterhaltsam und heiter ist, überzeugt die mehr als beeindruckte Rezensentin vollends.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.09.2017

Rezensent Tomasz Kurianowicz schwirren die Sinne nach der Lektüre von Thomas Lehrs neuem Roman "Schlafende Sonne". Denn sowohl Handlung als auch die physikalischen Regeln folgende Sprache entziehen sich dem Zugang des Lesers, erzählt der Kritiker, der sich auf das "asteroidenhafte Rauschen" des Romans eingelassen hat. Entlohnt wird dieser Parforceritt nicht nur mit anspielungsreichen und gelehrten Einblicken in das "Panoptikum des deutschen Bewusstseins", so Kurianowicz, begonnen beim Kaiserreich über den Ersten Weltkrieg bis hin zur DDR und dem neuen Deutschland, sondern auch durch Sätze, Bilder und Beobachtungen, die so alltagsfern, leuchtend und wunderbar größenwahnsinnig sind, dass sie den Rezensenten ganz und gar einnehmen. Dieses Flirren zwischen "Genie und Wahnsinn" muss man mögen, meint der Kritiker mit einem "Fiepen" in den Ohren.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.09.2017

Rezensent Friedmar Apel liest Thomas Lehrs neuen Roman "Schlafende Sonne" als "zeitgemäße Fortsetzung der Progressiven Universalpoesie der Romantiker". Denn Lehr hat mit seiner Geschichte um den Physiker Jonas nicht weniger im Sinn, als die Trennung zwischen Kunst und Wissenschaft aufzuheben, informiert der Kritiker, der allerdings ein wenig müde wird, alle gelehrten Einzelheiten nachzuschlagen. Und so nimmt er seine Unkenntnis über das Higgs-Feld oder Olbers Paradox des Himmels bereitwillig hin, stolpert dennoch, wenn Lehr selbst die vielen Sexszenen "kosmisch aufdonnert", und ist froh, sich gelegentlich an den Lebensgeschichten von Lehrs drei Protagonisten orientieren zu können. Wie der Autor Husserls Phänomenologie anwendet, um das menschliche Monaden-Dasein zu veranschaulichen, dabei bildreich erzählt und einfallsreiche Analogien bildet, hat den Kritiker beeindruckt. Mit ein paar Regenerationspausen während der Lektüre kann Apel den erkenntnisgesättigten und durchaus unterhaltsamen Roman empfehlen.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 30.08.2017

Thomas Lehr hat sich mit seinem "Universalroman" viel vorgenommen, sehr viel, und mit den ersten 640 Seiten ist es noch lange nicht getan - einige Tausend mehr sind noch in Planung, weiß Rezensent Paul Jandl. Dass er seinem Anspruch gerecht wird, lässt sich nur zwischen den Zeilen der Rezension lesen, vielleicht will sich Jandl ein abschließendes Urteil noch nicht und erst nach Abschluss des Großprojekts erlauben. Dass dieses jedoch in seinem hohen Anspruch beeindruckt und reizt und, abgesehen vom etwas befremdlichen "Adjektiv- und Metapherngerammel" in den zahlreichen Beschreibungen erotischer Szenen, von hoher erzählerischer Qualität ist, lässt sich scheinbar bereits feststellen. Es ist ein Zeitpanorama der DDR, ein Porträt, eine Sozialstudie, ein physikalischer Roman, ein "krachendes und knatterndes Ding", so der faszinierte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.08.2017

Helmut Böttiger zehrt lange von Thomas Lehrs großem Romanprojekt. Wie der Autor darin verschiedene Figurenkonstellationen aus unterschiedlichen Zeiten entwirft und sie assoziativ miteinander verbindet, findet Böttiger erstaunlich. Ebenso, wie Lehr Fiktives, Wissenschaftliches und Historisches im Text montiert, A.R. Penck, Astrophysik und Karl Marx gegeneinander schneidet und jede Menge Anspielungen verbaut. So entstehende "erratische" Bilder lassen das Buch auf Böttiger eher wie ein Poem wirken. Ein zeitgemäß unzeitgemäßer Autor, findet Böttiger.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 19.08.2017

Mit "Schafende Sonne" liegt nun der erste Teil von Thomas Lehrs Trilogie vor, freut sich Rezensent Richard Kämmerlings und kürt den Autor zu einem deutschen Thomas Pynchon. Denn Literatur dient Lehr als "Erkenntnisinstrument", erklärt der Kritiker und staunt, wie viel (Geistes-) Geschichte der Autor an nur einem einzigen Tag zu erzählen vermag. In die am 19. August 2011 spielende Geschichte um die in der DDR aufgewachsene Künstlerin Milena Sonntag packt Lehr nicht weniger als das gesamte 20. Jahrhundert, begonnen beim Kriegsausbruch 1914 über die Judenverfolgung, den Mauerfall und den Postkommunismus bis hin zur israelischen Gegenwart, informiert der Rezensent, der hier in geschickt eingeflochtenen Erzählsträngen auch vom Geistesleben in Göttingen und Freiburg, von Husserls Phänomenologie und der Solarphysik unter den Nazis liest. Dass er in dem Buch, das nicht zuletzt auch ein gelungener Wenderoman über eine große Liebe ist, gelegentlich die Orientierung verliert, geht für den Kritiker angesichts der ebenso "poetischen" wie präzisen und fesselnden Sprache in Ordnung.