Pierre Bourdieu

Über den Staat

Vorlesungen am Collège de France 1989-1992
Cover: Über den Staat
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014
ISBN 9783518585931
Gebunden, 722 Seiten, 49,95 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Horst Brühmann und Petra Willim. Kaum ein Wissenschaftler war politisch so engagiert wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu. Umso mehr überrascht es, dass er dem Staat, dieser bis heute zentralen politischen Institution, dieser großen "kollektiven Fiktion", keine eigene Monographie gewidmet hat. Dass er sich intensiv mit dem Thema beschäftigte, belegen nun seine Vorlesungen am Collège de France, deren fulminanter Auftakt "Über den Staat" bildet. Bourdieu widmet sich darin auf einer ganz konkreten Ebene sowohl Fragen zur Methodologie und Theorie bei der Untersuchung des Staates als Forschungsobjekt als auch solchen zur historischen Genese dieser Institution etwa in Frankreich, England, China oder Japan. Er analysiert zentrale Unterscheidungen des "Denkens des Staates" wie die zwischen öffentlich und privat und diskutiert Phänomene wie Korruption und den Einfluss der Massenmedien.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 14.10.2017

Die um Notizen des Autors erweiterte Taschenbuchausgabe von Pierre Bourdieus Vorlesungen gibt Otfried Höffe Gelegenheit, die Bedeutung von Bourdieus Staatsbegriff zu ermessen. Staatstheoretiker muss er zunächst enttäuschen: Mit Ausführungen über Demokratie, Gewaltenteilung, Grund- und Menschenrechte oder das Strafrecht halte sich der Autor zurück. Bourdieus "altmodischen" Zugang über die Genese des modernen Staates, namentlich England und Frankreich, lässt sich Höffe gefallen, schon der großen Gelehrsamkeit des Autors wegen. Bourdieus Kernbegriff des Kapitals leuchtet Höffe ein. Die soziologische Erfahrung des Autors lohnt die Lektüre für Staatstheoretiker trotz thematischer Defizite und der "deutlich" französischen Perspektive, findet der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 31.07.2014

Es gibt viele philosophische und wissenschaftliche Vorlesungen, die längst zum wesentlichen Bestandteil des Werks ihrer Verfasser geworden sind, weiß Christoph Möllers. Daran, dass Pierre Bourdieus Vorlesungen "Über den Staat" in diese Kategorie gehören, äußert der Rezensent aber entschiedene Zweifel. Denn für Bourdieu-Kenner bieten die Vorträge kaum Neues, Laien hingegen dürften entscheidende Zusammenhänge fehlen, erklärt Möllers. Bourdieu betont erwartungsgemäß die symbolische Dimension von Staat und Herrschaft, die sich im juridisch-bürokratischen Vollzug konkretisiert, spricht aber auch die methodologischen Probleme an, die sich mit jeder Engführung des Staatsbegriffs ergeben, fasst der Rezensent zusammen. Obwohl Bourdieu sich oberflächlich eine Antwort auf die Frage nach dem Legitimitätsanspruch staatlicher Herrschaft verkneift, wird die Antwort unterschwellig permanent gegeben, was Möllers als Mangel an argumentativer Aufrichtigkeit empfindet.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 26.07.2014

Fast atemlos in ihrer Begeisterung liest sich Fritz Göttlers Besprechung dieses Trumms von gut 700 Seiten Dicke, der die Vorlesungen Bourdieus über den Staat aus den Jahren 1989 bis 1992 bündelt. Sie stünden hier in einem Zwischenstatus zwischen dem Mündlichen und den Schriftlichen und seien diesem reizvollen Aggregatzustand gemäß präsentiert. Zu einem System schießen Bourdieus Reflexionen demgemäß hier noch nicht zusammen, eher präsentieren sie sich als reichhaltiger Steinbruch, aus dem sich der Rezensent mit Freuden bedient. Es gehe um das "Staats-Theater", also um den "Prozess, der zum Staat führt", mit seinen Propheten und Poeten, mehr als um diesen selbst. Göttler attestiert dem Band den "Drive von Tausendundeiner Nacht".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.07.2014

Gut so, dass der Leser hier keinem Soziologieprof mit symbolischer Gewalt gegenenübertritt, stellt Barbara Kuchler erleichtert fest. Dass Pierre Bourdieu die von ihm analysierte Staatlichkeit samt Staatsdienern auf diese Weise nicht reproduziert, macht ihr die Lektüre zwar nicht unbedingt leichter, die Vorlesungsform mischt Argumentationslinien, Auffassungen und Chronologie der Erkenntnisse, aber allemal unterhaltsam und erkenntnisvoll. Ihrem Bourdieu "in progress" vom Beginn der 90er entnimmt Kuchler, wie der Staat sein Monopol symbolischer Gealt herstellt, darstellt und erhält. Weniger mit Marx als mit Max Weber sieht sie den Autor argumentieren und spürt die Brüche, wenn Bourdieu den Staat als doppelgesichtig zeichnet, ihm Integration und Herrschaft unterstellt. Ganz rund, wie gesagt, wird das nicht in Kuchlers Augen, aber inspirierend wirkt es doch.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.06.2014

Pierre Bourdieus zwischen 1989 und 1992 am Collège de France gehaltene Vorlesungen "Über den Staat" sind endlich auf Deutsch erschienen, jubelt Rezensent Helmut König. Der Kritiker liest mit großem Interesse die Gedanken des französischen Soziologen zu Wirkung und Bedeutung des Staates etwa beim Bauen von Eigenheimen, im Stundenplan der Schulen oder bei der Festlegung des Kalenders - kurz: im gesamten sozialen Leben. Insbesondere aber lernt König in Bourdieus tiefgehenden historischen und soziologischen Recherchen, woher der Staat und seine universale Wirkung kommen. Während sich der Rezensent von den originellen Gedanken des Soziologen durchaus auch gut unterhalten fühlt, muss er doch gestehen, dass ihm genauere Ausführungen über das Verhältnis von Staat und Politik ebenso fehlen wie eine einleuchtende Erklärung für die Forderung einer "Soziologie des Staates", die das Handeln der Verantwortlichen vollkommen transparent macht.

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