Natascha Wodin

Sie kam aus Mariupol

Cover: Sie kam aus Mariupol
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017
ISBN 9783498073893
Gebunden, 368 Seiten, 19,95 EUR

Klappentext

"Wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe" - Natascha Wodins Mutter sagte diesen Satz immer wieder und nahm doch, was sie meinte, mit ins Grab. Da war die Tochter zehn und wusste nicht viel mehr, als dass sie zu einer Art Menschenunrat gehörte, zu irgendeinem Kehricht, der vom Krieg übriggeblieben war. Wieso lebten sie in einem der Lager für "Displaced Persons", woher kam die Mutter, und was hatte sie erlebt? Erst Jahrzehnte später öffnet sich die Blackbox ihrer Herkunft, erst ein bisschen, dann immer mehr. "Sie kam aus Mariupol" ist das außergewöhnliche Buch einer Spurensuche. Natascha Wodin geht dem Leben ihrer ukrainischen Mutter nach, die aus der Hafenstadt Mariupol stammte und mit ihrem Mann 1943 als "Ostarbeiterin" nach Deutschland verschleppt wurde. Sie erzählt beklemmend, ja bestürzend intensiv vom Anhängsel des Holocaust, einer Fußnote der Geschichte: der Zwangsarbeit im Dritten Reich. Ihre Mutter, die als junges Mädchen den Untergang ihrer Adelsfamilie im stalinistischen Terror miterlebte, bevor sie mit ungewissem Ziel ein deutsches Schiff bestieg, tritt wie durch ein spätes Wunder aus der Anonymität heraus, bekommt ein Gesicht, das unvergesslich ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.03.2017

Andreas Kilb folgt Natascha Wodin bei ihrer Suche nach der eigenen Geschichte. Der geheimnisumwobene Freitod der Mutter führt die Autorin zurück zu ihren Vorfahren in die ukrainische Hafenstadt Mariupol. Wodins Recherche nach den familiären Wurzeln findet er tapfer, da sich vor der Autorin dabei unversehens die finsteren Abgründe des 20. Jahrhunderts auftun, die stalinistischen und die deutschen Verbrechen in der Sowjetunion, deren Zeugen und Opfer die Familie wurde. Dass Wodin keinen Tatsachenbericht schreibt, sondern Literatur, erkennt Kilb an der zwischen Distanz und Nähe ausbalancierten Sprache und an der nur scheinbar geradlinigen Struktur des Textes, in dessen Mitte Kilb eine große Sehnsucht ausmacht, die er für allgemeingültig hält.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.03.2017

Rezensent Hans-Peter Kunisch liest die familiäre Spurensuche in Natascha Wodins Roman mit großem Interesse. Zwar kommt der Text laut Kunisch erst spät in Fahrt, wenn die Autorin einen nahezu dokumentarischen Stil einschlägt, um die eigene Familiengeschichte und die sie umgebenden politischen Ereignisse der Russischen Revolution zu erfassen, doch das stört den Rezensenten nicht. Ebenso wenig wie der Umstand, dass Wodin stilistisch und thematisch alles andere als geradlinig vorgeht. Ein klassisches wie außergewöhnliches Buch, findet Kunisch.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 11.03.2017

Weder Roman noch Autobiografie, aber in jedem Falle "markerschütternd" ist Natascha Wodins neues Buch "Sie kam aus Mariupol", versichert Rezensentin Cornelia Geissler. Gebannt liest sie die Familiengeschichte der Autorin, die, 1945 als Kind ukrainischer Zwangsarbeiter in Deutschland geboren, mit Hilfe eines Hobbyhistorikers die Herkunft ihrer Mutter rekonstruiert. In nächtlichen E-Mails und Telefonaten setzt sich anhand von Fotos, Urkunden, Kirchenbucheinträgen und Visaersuchen langsam ein Bild der Mutter zusammen, die einer adligen Familie aus Mariupol entstammte, welche ihre Privilegien durch die Oktoberrevolution und die "Säuberungen" Stalins verlor, informiert die Kritikerin. Wie Wodin die tragischen Lebenswege ihrer Familie beleuchtet und mit den jüngsten Ereignissen in der Ukraine verschränkt, findet die Rezensentin ergreifend. Nicht zuletzt verdankt Geissler diesem Buch, das sie in einem Atemzug mit den Werken Primo Levis, Imre Kertesz', Daniil Granins oder Erich Loests nennt, einen ebenso eindringlichen wie wichtigen Einblick in das Schicksal von nichtjüdischen Zwangsarbeitern.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 11.03.2017

Mit "Sie kam aus Mariupol" hat Rezensentin Carola Ebeling vielleicht Natascha Wodins bisher autobiografischstes Buch gelesen. Und doch steckt auch dieses Buch voller Imagination, fährt die Kritikerin fort, die zudem staunt, wie es der Autorin gelingt, weit mehr als das persönliche Schicksal ihrer Mutter zu schildern. Und so liest die Rezensentin hier nicht nur die ebenso fesselnde wie dramatische Geschichte von Wodins Mutter, die, als Adlige in Mariupol geboren, von den Nazis als Zwangsarbeiterin nach Deutschland deportiert wurde, sondern erfährt auch Beklemmendes aus dem brutalen Lageralltag. Wie die Autorin historische Kenntnisse, private Recherche und persönliche Vorstellung verknüpft, dabei sachlich, dicht und zugleich einfühlsam und zart schreibt, ringt der Kritikerin höchste Anerkennung ab.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.03.2017

So sensationell wie wuchtig findet Rezensent Helmut Böttiger Natascha Wodins neues Buch über ihre Familiengeschichte. Die als Kind von Staatenlosen in Mariupol geborene Autorin recherchiert hier die Geschichte ihrer Mutter, die während des Krieges zunächst als Zwangsarbeiterin in Deutschland, dann mit ihrer Tochter und ihrem gewalttätigen Mann in der fränkischen Provinz landete und sich schließlich umbrachte, informiert der Kritiker. Wie Wodin über ein russischsprachiges Forum auf einen Internetfreak stößt, der für sie schrittweise die familiäre Herkunft der Mutter recherchiert, ist so detailreich und spannend beschrieben, dass es dem Rezensenten schier den Atem verschlägt. Großartig, wie Wodin scheinbar "kühl" die anhand auftauchender Dokumente und Familienfotos rekonstruierte Geschichte ihrer einer aristokratischen Familie entstammenden Mutter mit den eigenen, dünnen Kindheitserinnerungen überblendet, lobt der Kritiker, der zudem staunt, wie die Autorin die Historienbilder "flirren" lässt. Ein Buch voller bewegender Geschichten, das nicht zuletzt die Katastrophen des 20. Jahrhunderts "en miniature" verhandelt, schließt der hingerissene Rezensent.