Natascha Wodin

Irgendwo in diesem Dunkel

Roman
Cover: Irgendwo in diesem Dunkel
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018
ISBN 9783498074036
Gebunden, 240 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

In "Sie kam aus Mariupol", ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse, hat Natascha Wodin ihrer Mutter ein literarisches Denkmal gesetzt. Jetzt lässt sie ein Buch folgen, das an den Freitod der Mutter 1956 anschließt. Erzählt wird die Zeit, als die ältere der beiden Töchter sechzehn ist, ein mehrjähriger Aufenthalt in einem katholischen Kinderheim liegt hinter ihr. Sie lebt beim Vater in den "Häusern" am Fluss, abseits vom deutschen Städtchen, unter Verschleppten und Entwurzelten in einer Welt außerhalb der Welt. Dabei möchte sie so gern zu den Deutschen gehören, möchte Ursula oder Susanne heißen und träumt von einem Handwerker, den sie heiraten könnte, um ihrer russischen Herkunft zu entkommen. Aber der seit je gefürchtete Vater sperrt sie ein. Sie soll keine roten Schuhe tragen, sie soll zu Hause putzen. In einem Taftkleid der Mutter flieht sie in die Vogelfreiheit, die Schutzlosigkeit der Straße.  Diese Geschichte eines Mädchens, das als Tochter ehemaliger Zwangsarbeiter im Nachkriegsdeutschland lebt - misstrauisch beäugt und gemieden von den Deutschen, voller Sehnsucht, endlich ein Teil von ihnen zu sein -, wird aus dem Rückblick erzählt, ausgehend vom Tod des Vaters in einem deutschen Altenheim.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 25.02.2019

Für Christel Wester ist Natascha Wodins Buch die Fortsetzung der Spurensuche nach der Familie der Autorin. Nachdem Wodin mit "Sie kam aus Mariupol" ein Mutterbuch geschrieben hat, erklärt Wester, macht sie sich nach der Beerdigung des Vaters nun an die Recherche- und Erinnerungsarbeit zu seiner Vergangenheit. Tastend und lückenhaft geht das vor sich, erkennt Wester, das entstehende Porträt des Vaters deutet sie als Bericht über die Katastrophen des 20. Jahrhunderts und die Effekte von Stalinismus und Nationalsozialismus auf ein Menschenleben. Dass auch die problematische Vater-Tochter-Beziehung und die Ausgrenzungserfahrungen der Autorin damit zusammenhängen, lehrt die Lektüre die Rezensentin auf nüchterne, nie agitatorische, sondern eher satirische Weise. Das Buch erscheint ihr auch als Porträt der frühen Bundesrepublik aus der Perspektive einer Nachfahrin sowjetischer NS-Zwangsarbeiter.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.12.2018

Hans-Peter Kunisch staunt über die trotz bekannter Figuren-Konstellationen immer wieder gelingende Intensität des Erzählens bei Natascha Wodin. Wenn Wodins neues Buch die Geschichte des Vaters zu erfassen sucht, nimmt Kunisch das als Fortsetzung früherer Texte der Autorin, und ebenso wie früher, stellt der Rezensent fest, bleiben Figuren und Ereignisse in der Beschwörung von Kindheit und Jugend rätselhaft. Wie Wodin sich im tristen Kindheits- und Adoleszenzkosmos zwischen Forchheim und Moskau festbeißt, findet Kunisch einfach faszinierend.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.11.2018

Rezensentin Katharina Teutsch ist beeindruckt vom zweitem Teil von Natascha Wodins autobiografischem Projekt. Nach dem Mutterbuch kommt nun der Vater in den Blick der Autorin, sein Werdegang, zu dem Wodin im Kleineleutemilieu Moskaus recherchiert. Dass es letztlich um Wodins eigene Entwicklung im russischen Emigrantenmilieu geht und um eine von Schuldgefühlen und Schuldunterstellung geprägte Jugend, wird Teutsch schnell klar. Dass der Abgleich mit dem Mutterbuch Redundanzen ergibt, findet Teutsch nicht schlimm. Die literarische Qualität des Romans, Wodins reflektierende, distanzierte Erzählhaltung, nennt sie herausragend. Letztere macht das Berichtete für Teutsch überhaupt erst erträglich.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.11.2018

Cornelia Geissler liest gebannt über die Befreiung der jungen Natascha Wodin zur späteren Schriftstellerin. Auch wenn das neue Buch für Geissler nicht einfach das Gegenstück zu Wodins Mutterbuch "Sie kam aus Mariupol" darstellt, führt es doch in die Kindheit ud Jugend der Autorin, zu einem prügelnden, schweigenden Vater, dessen Geschichte Wodin, ausgehend von seinem Tod zu ergründen sucht. Seine fesselnde Wirkung zieht der Text laut Geissler aus dem riesigen hier ausgemessenen Abstand zwischen den beiden Punkten in Wodins Biografie, der schwierigen Kindheit des russischen Einwandererkindes einerseits, dem Erwachsenenleben als Schriftstellerin andererseits.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 22.11.2018

Nicht mehr als ein schwarzer, gestaltloser Schemen ist er - Natascha Wodins Vater. Um ihn geht es im Nachfolgewerk des "Erfolgsmemoirs 'Sie kam aus Mariupol'", erklärt Rezensent Marcus Clauer. Doch wie beschreibt man eine Nicht-Gestalt, jemanden für den es keinen Halt auf der Erde gab? Wie erzählt man von einem, von dem man fast nichts weiß und kennt außer Gewalt und Dunkelheit? Wodin löst dieses Problem, indem sie die wenigen bekannten Fakten durch Erinnerungen aus ihrem eigenen Leben ergänzt, so der Rezensent. "Mit karger Poesie" erzählt die 1945 in Fürth geborene Schriftstellerin von ihrer Jugend, die von Gewalt, Obdachlosigkeit, von Armut und soziale Ausgrenzung geprägt war, lesen wir. Ihre Geschichte ist bewegend und beklemmend zugleich, meint Clauser. Zumal sie nicht aufgibt, "irgendwo in diesem Dunkel", das ihr Vater war, eine Erklärung zu suchen, etwas, woran sie anschließen kann, so der bewegte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 03.11.2018

Bei "Irgendwo in diesem Dunkel" geht Natascha Wodin denselben Weg, den sie in ihrem preisgekrönten Buch "Sie kam aus Mariupol" genommen hat, erklärt Rezensentin Katharina Granzin: Während sie dort die Leidensgeschichte ihrer Mutter, einer Zwangsarbeiterin aus der Sowjetunion, dokumentiert habe, gehe sie nun der Geschichte ihres Vaters nach, obwohl er sie vernachlässigt und misshandelt habe. Und auch dieses Buch ist für die Rezensentin ein beeindruckendes Zeugnis des Kampfes der Autorin um ihre Identität, nachdem ihr Vater über ihre Herkunft geschwiegen hat und sie in Deutschland größtenteils Ablehnung erfahren habe. Besonders beeindruckt hat Granzin der "undramatische" Ton, mit dem Wodin ihr Schicksal schildert und sich zur "Autorin der eigenen Geschichte" macht.