Michael Ignatieff

Die Zivilisierung des Krieges

Ethnische Konflikte, Menschenrechte, Medien
Cover: Die Zivilisierung des Krieges
Rotbuch Verlag, Hamburg 2000
ISBN 9783434530718
broschiert, 243 Seiten, 17,38 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Michael Benthack.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 01.07.2000

Als Orientierungsversuch versteht Hans-Peter Kunisch die Essays des aus einer russischen Emigrantenfamilie in Kanada stammenden, in London ansässigen "Isaiah-Berlin-Biografen" Michael Ignatieff. Und für diese Orientierung, so hebt der Rezensent hervor, hat der Autor nicht nur gelesen, sondern ist viel gereist, um sich vor Ort ein Bild von den ethnischen Konflikten in Ruanda, Angola, Afghanistan und vor allem Jugoslawien zu machen. Daher schreibt er nicht nur von moralischen Reflexionen, sondern auch von den Menschen, die er getroffen hat, sowohl von einfachen Soldaten, mit denen er eine Nacht auf der Wache verbracht hat als auch von Butros Ghali, den er auf eine Reise nach Afrika begleitet hat. Alle spielen so oder so eine Rolle in den gewalttätigen Auseinandersetzungen, die sich aus mythologisierten ethnischen Konflikten ergeben haben, und um deren Zivilisierung es dem Autor zu tun ist. Durch viele Zitate nacherzählend stellt Kunisch das Buch vor, ohne es besonders zu loben oder zu tadeln. Nur einmal ist ihm "unverständlich", dass Ignatieff in seine Betrachtung der Medien kein Wort der Kritik übrig hat für die "ästhetischen Fernseh-Bombardierungsbilder" (was für ein Wort!).
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 27.06.2000

Die Form des politischen Essays hat in Deutschland nie die rechte Anerkennung erfahren, meint Annette Jander, weil sie mit dem Makel des Spekulativen behaftet ist. Der Essayist behandle sein Thema auf sehr persönliche Weise, ohne sich theoretisch abzusichern, und gerade das mache die fünf in diesem Band versammelten Aufsätze aus den Jahren 1995 bis 1997 so attraktiv. Jander hat sich mit Gewinn durch Ignatieffs Ausführungen über die "Zusammenführung von Geschichte und Gegenwart in der Anthropologie des Kriegsführens" gelesen. Wo und von wem würden in Deutschland solche Fragen erörtert, fragt die Rezensentin, etwa über die sich wandelnde Rolle des Internationalen Roten Kreuzes, die naive Kraft moralischer Entrüstung oder die unterschiedlichen Herangehensweisen zur Aufarbeitung von Schuld in ethnischen Konflikten. Der Autor ist selbst viel gereist; seine Berichte zeichnen sich laut Jander gerade durch die kunstvolle Verknüpfung von persönlichem Erlebnisbericht und fundiertem Hintergrundwissen aus.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.06.2000

Mit wohlwollender Sympathie bespricht Katharina Rutschky den Essayband des in London lebenden, kanadischen Publizisten und Schriftstellers. Seine Überlegungen zur Zivilisierung des Krieges gehen aus von der zwar universalistischen, in ihrer Massenwirksamkeit jedoch an "launische und kurzatmige Medien" gebundenen Moral der Menschenrechte. Sein erster Text beschäftigt sich, so Rutschky, denn auch vor allem mit dem Fernsehen, der zweite dann mit dem Beispiel Jugoslawien, - und in beiden hat die Rezensentin interessante Interpretationen gefunden. Sie gibt zu, dass der Essay über das Rote Kreuz, mit dessen Gründung der Prozess der Zivilisierung des Krieges schon einmal begonnen hatte, Menschenrechtsfundamentalisten" und "Pazifisten" nur "zu Hohn und Spott treiben" wird, aber durch solche Wortwahl wird deutlich, dass sie sich selbst ein anderes Urteil vorbehält; welches das ist, erfährt man leider nicht. Auch für den anschließenden vierten Essay über internationale Gerichtshöfe und Wahrheitskommissionen bescheinigt Rutschky dem "engagierten Zeitgenossen und brillanten Autor", dass er nicht mit "Meinungseitelkeit nervt wie die hiesigen Diagnostiker der Weltzustände". Stattdessen biete Ignatieff "der grassierenden Hobbes?schen Angst vor Rückschritt, Verfall und Vergeblichkeit intelligent Paroli".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.06.2000

"Lesenswert" findet Wolfgang Sofsky die "famos geschriebenen Essays" zwar allesamt, meldet in seiner Besprechung jedoch durchgängig Zweifel an den Thesen des Autors an. Im Namen eines nüchternen Blicks auf die Realität misstraut er der "verzweifelten" Berufung auf die Gleichheit aller Menschen, die Ignatieff beschwört. Und er wirft ihm vor, mit "westlichem Blick" und "normativem" Blickwinkel" einer verzerrten Optik aufzusitzen, weshalb er Ignatieffs durchaus "realistischen" Schlussfolgerungen nicht folgen mag. Ein paar Beispiele: den Golfkrieg als "humanitäre Aktion", die langandauernde Untätigkeit im Balkan als "moralische Indifferenz" und die Bombardierung des Kosovo als Ausdruck von gerechter Empörung zu sehen, empfindet Sofsky als "systematische Überschätzung der Bedeutung der Moral für die Aussen- und Kriegspolitik". Selbst weist er dagegen auf "Giftgaseinsätze, Vergewaltigungen und Massaker" im Golfkrieg ebenso hin wie auf die eher strategisch und ökonomisch als moralisch begründete Indifferenz gegenüber dem Balkan. Es ist das, was in den Blick gerät, wenn man nicht vom "sittlichen Fortschritt der Gattung" so überzeugt ist wie der Autor. Sein Hinweis an Ignatieff, dass gerade "moralische Kreuzzüge besonders mörderische Gefahren in sich bergen können", hält ihn jedoch nicht davon ab, die Leistung des Autors, der fast alle von ihm diskutierten Schauplätze auch besucht hat, zu loben für die so selten bewerkstelligte "Mischung von Anschauung und Gelehrsamkeit".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 18.05.2000

Herfried Münkler zeigt sich äußerst beeindruckt von diesem Buch. Von vielen anderen Abhandlungen zu dieser Thematik unterscheidet sich Ignatieffs Buch seiner Ansicht nach vor allem durch seine "wohldosierte Mischung aus Beobachtung und Reflexion, Beschreibung und Analyse". Münkler deutet an, dass Ignatieffs philosophischer Hintergrund dabei von wesentlicher Bedeutung ist, besonders, weil der Autor trotz seiner Schilderung einzelner Ereignisse auch auf "grundsätzlichen Frage" zu sprechen kommt. Münkler weist darauf hin, dass das englische Original des Buches bereits vor dem Kosovokrieg erschienen ist. Dies sei aber für Ignatieffs Hauptthema, die Gratwanderung des "liberalen Interventionismus" zwischen der Verteidigung der Menschenrechte, ohne dabei uneingeschränkt militärische Mittel zum Einsatz kommen zu lassen, unerheblich. In seiner recht umfangreichen Rezension geht Münkler darüber hinaus auf drei Schwerpunkte des Buches ein: Zum einen die `Ethik des Fernsehens`, bei der Ignatieff die Veränderung und Steuerung "moralischer Beziehungen zu Fremden" erläutert. Zum anderen auf die von ihm sehr bewunderte Rolle des Internationalen Roten Kreuzes. Hier befasse sich Ignatieff vor allem mit dem Problem der IKRK-Delegierten, das Schweigen auszuhalten. Denn eine Missachtung dieses Schweigsamkeitsgebots hätte die Folge, dass das Rote Kreuz zu vielen Kriegsgebieten keinen Zugang mehr hätte. Nicht zuletzt hebt Münkler Ignatieffs Ausführungen zur "Entzivilisierung des Krieges" durch Kindersoldaten und Paramilitärs hervor.