Ian Kershaw

Hitler

1936-1945
Cover: Hitler
Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2000
ISBN 9783421051325
Gebunden, 1344 Seiten, 44,99 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Klaus Kochmann. Nach dem ersten Band ("Hitler. 1889-1936") wendet sich der britische Historiker den neun Jahren zu, in denen Adolf Hitler Deutschland von den Höhen einer nationalen Euphorie in den Vernichtungskrieg und schließlich die bedingungslose Kapitulation führte. Kershaw zeigt die fatale Wechselwirkung zwischen den Visionen Hitlers einerseits und den Wünschen und Machenschaften seiner Gefolgsleute andererseits. Nur in diesem Zusammenwirken konnte es zu kriegerischem Größenwahn und industriellem Massenmord kommen. Die persönliche Rolle Hitlers und sein dramatisches Ende im Bunker unter Berlin beleuchtet Ian Kershaw auf Basis der neuesten Forschung und bislang unberücksichtigter Quellen. Diese Biographie verbindet die Darstellung der Person Hitlers mit dem Porträt seiner Zeit: Ohne Hitler sind die Schrecken des Zweiten Weltkrieges nicht vorstellbar. Ohne die Gefolgschaft der Deutschen ebensowenig.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.10.2000

Als `Produkt profunder Gelehrsamkeit` bezeichnet Volker Ullrich das Buch. Was für ein Leseanreiz! Aber gefällig lesen sich nun einmal 1343 Seiten Hitler-Biografie nicht. Das ist Arbeit. Wenn auch lohnenswerte, wie Ullrich meint. Denn mit dem zweitem Band seiner Biografie beendet Kershaw laut Ulrich `definitiv` den `längst fruchtlos gewordenen` Streit unter Historikern über die Funktionsweise des Nationalsozialismus: Nicht Adolf Hitler ist es gewesen, nicht die deutsche Gesellschaft und ihre Strukturen waren es, sondern, wie Ullrich ausführlich Kershaws Deutung darstellt, beides fügt sich in einem sich gegenseitig radikalisierenden Prozess zusammen. `Dem Führer entgegenarbeiten`, nennt Kershaw das Prinzip und Ullrich bemüht sich auf fast einer ganzen Seite und auf etwas schwerfällige Weise, dessen Plausibilität nachzuweisen. Und ganz zum Schluss, wenn Ullrich einmal mehr die fehlende literarische Brillanz eines Joachim Fest bemängelt hat, erfährt man, warum man sich durch seine Besprechung gemüht hat und das Buch lesen sollte: `Die Frage, warum eine so gestörte, verkorkste Existenz eine so unheilvolle weltgeschichtliche Rolle hat spielen können, wird die Historiker weiter beschäftigen. Aber niemand ist ihrer Beantwortung bislang so nahe gekommen wie Ian Kershaw.`

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 18.10.2000

Der Historiker Hans Mommsen überträgt als Rezensent das Lob des ersten Bandes von Ian Kershaws Hitler-Biografie uneingeschränkt auch auf den zweiten Band. Kershaw habe sich in seinem `epochalen Standardwerk`, das zum `unentbehrlichen Handwerkszeug des Zeithistorikers` gehöre, vom Genre der historischen Biografie gelöst und beschreibe Hitler `als Resultat der Verhältnisse`. Im Unterschied zu früheren Hitler-Biografien sei Kershaw besonders auf den Zweiten Weltkrieg und Hitlers militärische Führungsrolle eingegangen. Indem der britische Historiker aber grundsätzlich alle relevanten Politikfelder berühre, habe er mit seiner Biografie eine `Gesamtgeschichte des `Dritten Reichs`` verfasst. Mommsen referiert weitgehend chronologisch die von Kershaw gesetzten Zäsuren und fasst seine Thesen bündig zusammen: Kershaw unterstelle Hitler zwar keinen generellen Realitätsverlust, halte aber seine Unfähigkeit fest, die Situation zu erkennen etwa angesichts der Niederlage von Stalingrad. Diese `Anzeichen von Fatalismus` verknüpften sich mit einen `schleichenden Persönlichkeitszerfall`. Gleichzeitig mit einer inneren Reformunfähigkeit sei eine in Kershaws Worten` unentwegte Radikalisierung` einhergegangen, die Kershaw auf Hitlers `ideologischen Elan` zurückführe. Dennoch war Hitler so prestigebewusst, referiert Mommsen, dass er vermied, direkt mit der `Endlösung` der Judenvernichtung zu tun zu haben. Kershaw halte fest, dass selbst in Hitlers Testamenten Vision und Realität nicht völlig zur Deckung gekommen seien. Mommsen lobt, dass der Autor sein Werk `ohne jeden Anflug einer Heroisierung oder Dämonisierung`, sondern vielmehr als `nüchterne Analyse der grenzenlosen Hybris` Hitlers verfasst hat.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.10.2000

Kershaws Anspruch, stellt Ulrich Herbert in seiner ausführlichen Rezension fest, ist es, eine "gesellschaftsgeschichtliche" Biografie Hitlers zu schreiben. Was im ersten Band noch zu einem teilweise neuen und "auffällig prosaischen" Hitlerbild geführt habe, werde mit der fortschreitenden Isolierung Hitlers zunehmend schwieriger. Die These zum Verhältnis von Volk und Führer, die den Band bestimmt, gehe davon aus, dass das Volk stets, auch ohne direkte Befehle, bemüht war, "dem Führer entgegenzuarbeiten". Herbert hat Zweifel an der Erklärungskraft dieser These, betont aber die Schlüssigkeit der Beschreibung des Zusammenhangs von Projektionen und "ekstatischer Verehrung". Mit dem Kriegsbeginn entwickelte sich, so Kershaw, `ein Führerstaat mit abwesendem Führer`, der Zufall entscheidet, wozu Hitler nun Entscheidungen trifft und wozu nicht. Die zitierten radikalen Äußerungen Hitlers, so bemängelt der Rezensent, lieferten eine wohl "notwendige, aber keineswegs hinreichende" Voraussetzung zur Erklärung des Holocaust. Die Entwicklungen und Bewegungen in der Gesellschaft geraten Hitler und damit seinem Biografen zunehmend aus dem Blick: eine missliche Situation für einen gesellschaftsgeschichtlichen Ansatz, wie Herbert anmerkt. So ist das Resümee zwiespältig: ein beeindruckendes Buch, aber "von der Anlage her problematisch".
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.10.2000

Der britische Historiker Ian Kershaw hat sich bereits vor zwei Jahren als neuer Klassiker der Hitler-Biografen empfohlen. Und mit dem zweiten Teil seiner Untersuchungen über die Jahre 1936 - 1945 überragt er alle seine Vorläufer, nicht nur, weil er “Punkt für Punkt den neuesten Stand” bietet, befindet Norbert Frei. Als einem der pfiffigsten deutschen Historiker (“Vergangenheitspolitik”, 1996) hat es Frei besonders die empirisch breit belegte These Kershaws angetan, dass es des “Führers” als Handelnden kaum bedurft hätte, sondern “Hitler war, was die Deutschen in ihm sehen wollten”, so Freis Zusammenfassung. Kershaw und Frei stehen damit gegen die konservative Interpretation einer “Verführung” der Deutschen. Entsprechend findet Frei die Konzentration auf das Kriegsgeschehen im letzten Drittel des Buches, “die einem traditionellen Militärhistoriker zur Ehre gereichte”, nicht so toll.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.09.2000

Der Rezensent Klaus-Dietmar Henke spart nicht mit Lob am zweiten Band von Kershaws umfassender Hitler-Biografie und erklärt das Projekt zuletzt doch für, an den Ansprüchen seines Autors gemessen, gescheitert. Zwar sei hier das "Gesamtwissen" über Hitler gesammelt, zwar sei das Buch "immer klar und meist spannend" geschrieben, zwar verfahre Kershaw "kompositorisch souverän", aber die Verbindung von gesellschaftsgeschichtlicher Analyse und Biografie müsse aus grundsätzlichen Erwägungen scheitern. Gerade die Hauptthese, dass Hitlers Herrschaft nur durch das ständige "Entgegenarbeiten" eines ganzen Volkes möglich war, macht, so Henke, die Konzentration auf die Figur des Führers zum Problem. Allzu vieles und konstitutiv Wichtiges bleibe ausgeblendet. So vermisst der Rezensent die Beschreibung der "Transformation der Heimatfront" während der Bombennächte ebenso wie die Analyse der Arbeiterschaft oder der Industriellen und der Intelligenz. Kershaw ziehe sich nach und nach immer mehr auf traditionelle Biografik zurück, die zwar eine "imponierende" Leistung bleibe; das angezielte "Unmögliche möglich" zu machen, so das Fazit des Rezensenten, ist dem Autor aber nicht gelungen.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 29.08.2000

Die Rezensentin Annette Jander lobt die mit dem zweiten Band nun abgeschlossene Hitler-Biografie von Ian Kershaw uneingeschränkt. Hitler wird hier ihrer Ansicht nach so "differenziert" geschildert wie nie zuvor. Jede spekulative Psychologisierung bleibe ebenso außen vor wie "Mythenbildung"; erforscht würden vielmehr die Strukturen, die die "Endlösung" ebenso wie das "Unternehmen Barbarossa" ohne größere Widerstände ermöglicht haben. Wirtschaftliche Erwägungen ebenso wie die Wahngebilde und den "fortschreitenden Realitätsverlust" Hitlers untersuche Kershaw, bleibe aber stets im Bereich des durch Dokumente Nachweisbaren. Er findet einen guten Weg zwischen Verständlichkeit und Wissenschaftlichkeit, resümiert die Rezensentin, der auch Kershaws immer wieder aufblitzender Sarkasmus gefällt.