Maggie Nelson

Die roten Stellen

Autobiografie eines Prozesses
Cover: Die roten Stellen
Hanser Berlin, Berlin 2020
ISBN 9783446265912
Gebunden, 224 Seiten, 23,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Jan Wilm. Ein wahrer Fall - Maggie Nelson schreibt über den brutalen Mord an ihrer Tante und den Umgang mit Mord und Trauer in unserer sensationslüsternden Gesellschaft. Im Frühjahr 1969 sucht Jane Mixer eine Mitfahrgelegenheit, ihre ersten Semesterferien will sie zu Hause in Muskegon, Michigan, verbringen. Dort angekommen ist sie nie: Sie wird brutal ermordet, ihre Leiche am nächsten Tag ein paar Meilen vom Campus entfernt gefunden, mit zwei Kugeln im Kopf und einem Nylonstrumpf um den Hals. Jahrzehntelang gilt der Fall als ungelöst, bis er 2004 erneut aufgenommen wird - durch einen positiven DNA-Abgleich wird ein neuer Verdächtiger identifiziert und vor Gericht gestellt. Maggie Nelson nähert sich dem mysteriösen Tod ihrer Tante Jane und dem Prozess, der ihn nach 35 Jahren wieder aufrollt - und versucht dabei, das Wesen von Trauer, Gerechtigkeit und Empathie zu ergründen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 31.07.2020

Rezensentin Andrea Köhler nimmt als Erkenntnisgewinn aus dem zwischen Memoir und Essay changierenden Buch von Maggie Nelson dieses mit: Das Leid und seine Sinnlosigkeit überlebt. Wenn Nelson den Mord an ihrer Tante vor 30 Jahren und den wiederaufgenommenen Prozess mit Gedanken um verlorene Seelenruhe, um die Quellen der Gewalt, vor allem gegen Frauen, umkreist, ahnt Köhler die "zwiespältige Faszination" an der Auswertung der schrecklichen Details aus dem Prozess. Dass Nelson eher subtil Fragen stellt als Antworten zu geben, gefällt Köhler gut.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.04.2020

Maggie Nelsons "Rote Stellen" sind im Original bereits 2007 erschienen, aber Rezensent Jan Wiele zufolge haben sie nicht an Dringlichkeit verloren. Nelson erzählt darin, wie der Mord an ihrer Tante nach dreißig Jahren wieder aufgerollt wird und dem per DNS überführten Täter der Prozess gemacht wird. Wiele liest beeindruckt, wie ihm Nelson Trauer, Familientragödie und Gewalterfahrung nahebringt. Nur ihre Absage ans Geschichtenerzählen nimmt er ihr nicht ab, ihre Betonung des Authentischen hält er für reine Koketterie, für eine Fiktion und eine modische obendrein.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.03.2020

Dieser autobiografisch grundierte Roman hängt an Beobachtungen zum Familientrauma der Autorin, der Ermordung ihrer Tante, die Frage auf, wieso Frauen immer noch so gern als Opfer gesehen werden, erklärt Rezensentin Insa Wilke. Dass Maggie Nelson von einem grausamen Einzelfall aus in die Struktur gesellschaftlicher Gewalt vorzudringen versteht, hat die Kritikerin nachhaltig beeindruckt. Selten hat ein Buch sie außerdem so zum Nachdenken über die tiefere Bedeutung allgemein akzeptierter Ausstellung von Gewalt gegen Frauen angeregt, etwa wenn Nelson hinterfragt, was den Reiz des True-Crime-Genres ausmacht.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 01.02.2020

Rezensentin Carola Ebeling zeigt sich sehr beeindruckt von diesem Schreiben, das auf verschiedene Weisen um das reale Verbrechen an einer Tante der Schriftstellerin kreist. Es geht hier um Erschütterung und Trauer in der Familie der Getöteten, aber auch um die gesellschaftlichen Kontexte der immer wieder ausgeübten "tödlichen Gewalt von Männern gegen Frauen". Ebeling gefällt, wie die Autorin den toten Körper, wie er auf Fotografien auftaucht, neben die Inszenierung von Gerechtigkeit im späten Prozess gegen den mutmaßlichen Täter stellt - sozusagen Reportage und Essay und Meditation miteinander verflicht. Sie ist ziemlich überzeugt von diesem Text, der zudem private Überlegungen und Gefühle, Schocks und Verwerfungen in der betroffenen Familie zeige und thematisiere.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 30.01.2020

Rezensentin Sarah Elsing geht mit Maggie Nelson durch die Hölle. Nelsons literarische Erkundung der wiederaufgerollten Ermordung ihrer Tante Ende der 60er liest Elsing mit Schrecken, Angst und Trauer. Das im amerikanischen Original 2007 erschienene Buch, vermengt mit seiner Mischung aus Essay, Memoir und Zitatesammlung laut Elsing Fakten und Emotionen und dokumentiert  das Innere der Autorin während des Prozesses in "radikaler Offenheit", intim und schonungslos. Für Elsing ein "dunkel schillerndes Kunstwerk", das, so vermutet sie, zwar kaum als Exorzismus taugt, aber als literarischer Höllengang.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 23.01.2020

Rezensent Xaver Cranach ist fasziniert von Maggie Nelsons Art zu schreiben. Das Ungefähre im Blick, gefasst auf den unerklärlichen Rest der Geschichte, schreibt Nelson über die Ermordung ihrer Tante im Jahr 1969, den 35 Jahre danach wieder aufgerollten Prozess und die Verwerfungen in ihrer Familie. So erklärt Cranach die literarische Methode der Autorin, die sich gern auch vage auf Kollegen und Philosophen bezieht, wie der Rezensent anmerkt. Dass sich das "Zerklüftete" sowohl in der Form als auch in der Beweislage des Mordfalles findet, scheint Cranach kein Zufall zu sein. Handlung und Poetologie berühren sich, erklärt er. Für Cranach eine berückende Mischung aus True Crime, Memoir, Suspense, Theorie, Dichtung und Wahrheit.