Karl Schlögel

Terror und Traum

Moskau 1937
Cover: Terror und Traum
Carl Hanser Verlag, München 2008
ISBN 9783446230811
Gebunden, 811 Seiten, 29,90 EUR

Klappentext

Moskau 1937: Die sowjetische Metropole auf dem Höhepunkt der stalinistischen Diktatur. In einem Orkan der Gewalt geht eine Gesellschaft vollständig zugrunde. Karl Schlögel rekonstruiert Monat für Monat, wie sich der Terror eines Notstandsregimes zum "Großen Terror" steigerte, dem binnen eines Jahres anderthalb Millionen Menschen zum Opfer fielen. Doch damit ist noch nicht die ganze Geschichte erzählt: Im Schatten des Terrors will das Regime um Stalin eine neue Gesellschaft aufbauen. Gestützt auf zahllose Dokumente, vergegenwärtigt Schlögel in seinem historischen Meisterwerk eine Zeit, in der Terror und Traum fließend ineinander übergingen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 01.11.2008

Egbert Hörmann verneigt sich vor Karl Schlögel und ist beeindruckt von seiner Studie "Terror und Traum - Moskau 1937", die dem Stalinschen Terror auch und gerade in seiner Fokussierung auf diesen Zeitraum nachgeht und seine Bedeutung als "Schauplatz auf einer Bruchstelle der europäischen Zivilisation" verdeutlicht. Hörmann fasziniert Schlögels Akribie, mit der er, konzentriert auf das Moskau 1937, eine "histoire totale" verfolgt, indem er sowohl unterschiedliche Perspektiven als auch Details von Fundstellen, seien es Zeitungsartikel, Ausstellungen, Tagebucheinträge oder Protokolle, sammelt und unter die Lupe nimmt. Gerade weil Schlögel auf große und abschließende Aussagen verzichtet und darauf insistiert, daß Dokumente wie Zeitzeugen abhanden oder in Vergessenheit geraten sind, er Leerstellen aufsucht und das "Rästelhafte" und "Gespenstische" dieser Zeit markiert, ist die Studie nach Hörmann so gelungen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 14.10.2008

Auf dreiunddreißig gut lesbare Novellen hat der Historiker Karl Schlögel den umfangreichen Stoff verteilt, der sich auf das Moskau des Jahres 1937 konzentriert, als der stalinistische Terror einsetzte, informiert uns ein mitgerissener Arno Widmann. Übertragen auf die Tektonik des Dante'schen Weltgebäudes handelte es sich um "Gesänge aus der Hölle", würde Schlögel nicht ebensoviel Augenmerk auf den Traum als Widerpart des Terrors legen, um die Schilderungen erträglich zu machen, aber auch, um die "Montage der stalinistischen Ingenieure der Seele", die beispielsweise einen Monat nach dem zweiten Schauprozess den literaturbegeisterten Russen ein Puschkin-Jubiläum verordneten, aufzuweisen. Beide Grundmotive durchziehen das absichtsvoll mehrperspektivisch gehaltene Werk, Schlögel führt deutlich vor Augen, wie groß die systematische Vernichtung des alten Moskau und seiner alten Bürger war, die dem mit propagandistischen Zahlen gefeierten neuen Aufbruch vorausging. Der melancholische Tonfall, der beim Rezensenten eine wehmütige, "in die Jahre gekommene Schönheit" der Betrachtungsweisen der Gegenstände evoziert, trägt zum Gelingen des Opus bei.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.10.2008

Zwei Bücher beschäftigen sich derzeit in ganz neuer Dringlichkeit mit den stalinistischen Schreckensjahren und Rezensent Jens Bisky legt uns beide gleichermaßen ans Herz. Anders als etwa Orlando Figes, der in seinem monumentalen Buch "Die Flüsterer" die Jahre des Großen Terrors als Jahre der Gleichmut und Passivität" darstellt, sieht der Osteuropahistoriker Karl Schlögel im Moskau von 1937 eine ungeheure "Eruptivkraft" wirken. Schlögel schildert in seiner "fulminanten" Studie "Terror und Traum", wie Bisky schreibt, den Großen Terror, die Massenverhaftungen und Massenerschießungen ebenso wie die alltägliche Not - aber auch den Abriss der Erlöser-Kathedrale, die gigantischen Flugschauen und Puschkin-Feste. Überzeugend findet Bisky, wie Schlögel hier vom "Durchdrehen einer ganzen Gesellschaft" schreibt, in der "die Menschen auf Dauer an der Grenze physischer und seelischer Erschöpfung" lebten.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.10.2008

Euphorisch begrüßt der Historiker Gerd Koenen Karl Schlögels "stereoskopischen Rundblick" durch das Moskau im stalinistischen Terrorjahr 1937 als beispielloses Panorama aus disparaten Perspektiven und Schicksalen. Besonders beeindruckt den Rezensenten, dass hier eben keine weitere Geschichte des "Großen Terrors" entstand, sondern das Projekt verfolgt worden sei, nachvollziehbar zu machen, wie dieser Massenterror in das "Bild einer stürmischen Industrialisierung, Mobilisierung und Urbanisierung" des Landes eingeordnet sei. Schlögel beginne mit der Schlussszene aus dem Schlüsselroman jener Zeit, Bulgakows "Meister und Margarita", was aus Sicht des Rezensenten ein Kunstgriff ist. Aber auch sonst feiert er Schlögel als "Meister" bei der Beschaffung anschaulichen Materials aus einer Zeit, die alles Material vernichtet und Demografen und Statistiker erschossen habe. Fasziniert beugt sich Koenen über das "irrisierende Gesamtpanorama", das Schlögel in vierzig Kapiteln aus Zeitungen, Reklamen, Publikumsfilmen und Monumentalgemälden gefiltert hat, aus Choreografien und Liedern der großen Aufmärsche, architektonischen Plänen, Privataufzeichnungen und Briefen jenes Jahres. Fasziniert auch deshalb, weil Schlögel ihm hier verdeutlichen kann, dass das Projekt vom Umbau Moskaus und der Gesellschaft den westlichen "Vorbildern einer avancierten Gesellschaft" ähnlicher gewesen sei, als man es später hätte wahrhaben wollen. 

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.10.2008

Tief eingedrungen ist Cord Aschenbrenner in das Moskau des verfluchten Jahres 1937 mit diesem Buch, in dem sich der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel des dunkelsten Kapitel der sowjetischen Geschichte annimmt. Dabei beleuchtet er, wie der Rezensent informiert, die Zeit des Großen Terrors nicht so sehr aus der Sicht der Exekutoren - Stalin und seine Handlanger - spielen nur am Rande eine Rolle. Worauf es Schlögel ankomme, sei, als eine "Geschichte der Gleichzeitigkeit" das alltägliche Leben der Moskauer darzustellen, die, während Hunderttausende erschossen und in die Lager verbannt wurden, mit Mühe und Not dem Schrecken standhielten, stundenlang nach einem Laib Brot anstanden oder aber "im Gorki-Park tanzen" gingen. Dass Schlögel mit keiner allumfassenden These aufwartet, vermerkt Rezensent Aschenbrenner, übel nimmt er es ihm nicht.