9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Kulturpolitik

1206 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 121

9punkt - Die Debattenrundschau vom 06.04.2024 - Kulturpolitik

Im taz-Gespräch erklären die ungarischen Schriftsteller Dénes Krusovszky und Ferenc Czinki, wie der Kulturbetrieb in Ungarn zunehmend zentralisiert wird. Krusovszky sagt: "Ein einziger Mann wird künftig für alle Ausgaben des Staates auf literarischem Gebiet verantwortlich sein: Szilárd Demeter. Er war früher der Redenschreiber von Orbán und ist heute der berüchtigte Präsident des Literaturmuseums. Demeter ist absolut regierungstreu." Und auch Libri, der größte ungarische Verlag, wurde vor einem Jahr von der konservativen Stiftung Mathias Corvinus Collegium (MCC) übernommen, wozu Czinki erläutert: "Libri ist nicht nur ein Verlagshaus, sondern auch eine Buchladenkette. Der Staat kontrolliert jetzt also die meisten Buchhandlungen in Ungarn. Ich glaube nicht, dass die Regierung versuchen wird, den Verlagen vorzuschreiben, was sie veröffentlichen sollen und was nicht, aber sie kann kontrollieren, welche Bücher in die Regale und Schaufenster der Buchhandlungen kommen."

Nachdem Claudia Roth Einblicke in ihr "Rahmenkonzept Erinnerungskultur" gewährt hatte, das vorsieht, dass neben dem Holocaust und der DDR-Diktatur künftig auch deutsche Kolonialverbrechen sowie Migration ihren Platz haben sollen (Unser Resümee), "hatten sich Verbände und Arbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten zur Erinnerung an das NS-Unrecht und die SED-Diktatur in einem Brief an die Kulturstaatsministerin gegen die Aufnahme der Themen Migrationsgesellschaft und Demokratiegeschichte ausgesprochen", berichtet Lisa Berins in der FR: "Roths Entwurf, so heißt es in dem Brief, leite 'einen geschichtspolitischen Paradigmenwechsel ein, der zu einer fundamentalen Schwächung der Erinnerungskultur führen würde'. Er verabschiede sich von dem Konsens, nationalsozialistische Verbrechen nicht zu relativieren und SED-Unrecht nicht zu bagatellisieren. 'Das Papier kann als geschichtsrevisionistisch im Sinne der Verharmlosung der NS-Verbrechen verstanden werden', folgerten die Unterzeichnenden, darunter etwa die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in Deutschland." Roth will die Gedenkstätten nun zu einem Runden Tisch einladen.

Für die "10 nach 8"-Kolumne von Zeit Online hat die Autorin Priya Basil das Kigali Genocide Memorial in Ruanda besucht, das an den Völkermord an den Tutsi erinnert. Warum gibt es keine derartigen Gedenkstätten in Deutschland, fragt sie: "Wie seltsam, als deutsche Staatsbürgerin zum ersten Mal in Ruanda auf ein Denkmal für die ermordeten Herero und Nama zu stoßen - dabei lebe ich doch in Berlin, einer Stadt mit mindestens fünfzig Denkmälern für einstige Verbrechen, einer Stadt, die sich das Gedenken an die Gräueltaten des Dritten Reiches, die Schrecken der DDR zur Aufgabe gemacht hat. Ein Ort, der so gut im Erinnern ist, dass er vergisst. Deutschland hat kein offizielles Mahnmal für den Völkermord, den es in Namibia begangen hat. Berlin hat, soweit ich weiß, keine Gedenkstätte für die Opfer des deutschen Kolonialismus vor der Nazizeit. In der gesamten Stadt gibt es nur wenige offizielle Schilder, die auf den deutschen Imperialismus außerhalb Europas hinweisen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 05.04.2024 - Kulturpolitik

Der Architekt Philipp Oswalt fordert gemeinsam mit Jürgen Zimmerer und anderen Kulturwissenschaftlern von Claudia Roth die Einsetzung einer unabhängigen Fachkommission zur Überprüfung der Spendenpraxis beim Humboldt Forum, meldet der Tagesspiegel: "Für die Überprüfung der anonymen Spender, die auch dem Bund und der Stiftung Humboldt Forum nicht namentlich bekannt sind, seien ergänzend unabhängige Expert:innen zu beauftragen, die Vertraulichkeit wahren und einen Bericht ohne namentliche Nennung der Spender für die 25 anonym gespendeten Millionen Förder-Euro zu verfassen. Weiter heißt es in dem Forderungskatalog, alle Spendenbeträge aus nicht korrekten Quellen sollten gemeinnützigen antirassistischen Initiativen zugutekommen. Ebenso sollten 'die durch solche Spenden ganz oder teilweise finanzierten Bauteile' geschwärzt oder anderweitig kenntlich gemacht werden. Zudem solle die Stiftung Humboldt Forum die Zusammenarbeit mit dem Förderverein Berliner Schloss beenden, die die Spenden für den Fassadenschmuck zusammengetragen hatte." Zimmerer veröffentlicht den ganzen Text dieses Manifests auf einem Blog der Uni Hamburg.

9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.04.2024 - Kulturpolitik

In der SZ fasst Peter Richter den Streit um die Potsdamer Garnisonkirche zusammen (mehr hier). Die Kritik am Wiederaufbau durch die Gruppe um den Architekten Philipp Oswalt kann er zwar nachvollziehen, aber "inzwischen beschwören leider linke Kritiker den vermeintlichen 'Geist von Potsdam' fast obsessiver als die rechten Anhänger des Preußenerbes selber - so als wäre das ein ortsansässiges Gespenst, das zwanghaft im Morgennebel aus den Seen steigt. Solche Potsdam-Phobien haben leider selbst etwas raunend Essentialistisches. Auch was die 'Remigrations'-Konferenz in diesem Landhaus bei Potsdam neulich betrifft, folgende These: Wenn der angestrebte Regierungssitz noch in Bonn läge, hätte die stattdessen auf irgendeiner Feinschmeckerburg in NRW stattgefunden. Von dort, aus einer Bundeswehrkaserne in Iserlohn, kam schließlich auch die Idee, die Potsdamer Garnisonkirche einst wieder aufzubauen und mit ihrem Glockenspiel schon mal anzufangen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.04.2024 - Kulturpolitik

Luftbild der im Wiederaufbau befindlichen Garnisonkirche, 2023, © Raimond Spekking, Lizenz: CC BY-SA 4.0 DEED

Ähnlich wie die wiedererrichtete Fassade des Berliner Hohenzollernschlosses am Berliner Humboldt-Forum spaltet auch die geplante Rekonstruktion der Potsdamer Garnisonkirche die Gemüter (siehe auch hier). Andreas Kilb berichtet in der FAZ von der Eröffnung eines Teils des Baus, des Kirchturms. Von Gegendemonstrationen begleitet, verwahrte sich Bischof Stäblein vor Gläubigen gegen eine Vereinnahmung durch die extreme Rechte. Kilb ist dem Wiederaufbau insgesamt zugetan, kritisiert aber beide Konfliktparteien: "Anhänger wie Gegner des Rekonstruktionsprojekts verbindet die Illusion, man könne die Garnisonkirche von ihrer Geschichte reinigen - sei es, dass man sie, wie die Sprengkommandos der DDR, möglichst vollständig beseitigt, sei es, dass man ihre Relikte demokratischen Zwecken weiht wie jenen Feldaltar, vor dem sich einst die Soldaten der Wehrmacht versammelten. Aber Geschichte lässt sich nicht exorzieren. Man kann sie nur bewältigen, indem man sie erzählt. Das muss in Potsdam geschehen."

Das Klima in der Kulturwelt ist "vergiftet" - und zwar für israelische und palästinensische Künstler, konstatiert Meron Mendel in der SZ. Während auf der einen Seite alle Stimmen delegitimiert werden, die Empathie für die israelischen Opfer fordern, wie es jüngst beim Magazin Guernica geschah (unser Resümee), macht Mendel auch die Absagen von Kunstveranstaltungen palästinensischer Künstler als Problem aus: "Im Kontext des Nahostkonfliktes wird die Kunstfreiheit von mindestens zwei Seiten angegriffen: von Pro-Palästina-Aktivisten, die Veranstaltungen sprengen und Menschen niederbrüllen, wie zuletzt bei einer Lesung im Hamburger Bahnhof in Berlin. Und auf der anderen Seite von Amtsträgern in der Kunst- und Kulturwelt, die palästinensische und propalästinensische Stimmen aus der Öffentlichkeit verdrängen wollen. Beide Seiten bedienen die Logik des Boykotts. Beide Seiten bedrohen die Kunstfreiheit in diesem Land. Wir sollten eines nicht vergessen: In Zeiten, in denen die AfD in Geheimtreffen schon Pläne für die Phase nach der Machtübernahme schmiedet, ist die Gefahr für die Kunstfreiheit nicht nur eine Spekulation."

Aus Spargründen wollen die Staatlichen Museen zu Berlin ab dem 16. April die Öffnungszeiten verändern, einige Museen sollen nicht nur montags, sondern auch am Dienstag geschlossen bleiben, darunter das Alte Museum, das Bode-Museum, das Kunstgewerbemuseum und die Sammlung Scharf-Gerstenberg, meldet Andreas Hergeth in der taz: "Das alles gilt übrigens nicht für die 'Stars' unter den Berliner Museen. Unverändert bleiben laut SPK die Öffnungszeiten für die Alte und Neue Nationalgalerie, die Gemäldegalerie, den Hamburger Bahnhof, das Museum für Fotografie sowie das Pergamonmuseum. Auch die langen Donnerstagabende bis 20 Uhr in der Neuen Nationalgalerie, dem Hamburger Bahnhof und dem Museum für Fotografie bleiben erhalten."

"Der Landesregierung, speziell dem Kultur- und dem Finanzsenator (beide CDU) möchte man zurufen: Geht's noch?", kommentiert Hergeth in einem zweiten Artikel: "Das ist am falschen Ende gespart. Nicht nur wegen der Touristen aus aller Welt, die Geld in die Stadt bringen. Sondern auch, weil Museen niedrigschwellige und inklusive Bildungsorte sind."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 02.04.2024 - Kulturpolitik

Nicht nur das Berliner Stadtschloss, auch die Rekonstruktion des Turms der Potsdamer Garnisonkirche wird von Rechtsextremen unterstützt, meint in der taz der Architekt Philipp Oswalt und bezieht sich dabei auf den rechtsnationalen Oberstleutnant a. D. Max Klaar, der das Projekt schon vor dem Mauerfall unterstützte: "Im Sommer 2000 traf sich Max Klaar mit Bischof Wolfgang Huber und unterbreitete ihm seine Vision: Der Turm der Garnisonkirche solle von außen originalgetreu nachgebaut werden. Darin solle eine Kapelle als Ort der Verkündung in Verantwortung der evangelischen Kirche entstehen, die oberen Etagen sollten dagegen eine Ausstellung über den 20. Juli 1944, den Tag des versuchten Attentats auf Hitler, beherbergen - soweit er vom Potsdamer Infanterieregiment 9 ausging, dem großteils ehemalige Adlige angehörten. Als Träger solle eine Stiftung gegründet werden.  ... Es ist ein trauriges und extremes Beispiel dafür, wie rechtsextreme Ideen anschlussfähig werden für die gesellschaftliche Mitte und diese infiltrieren."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 28.03.2024 - Kulturpolitik

Der Architekturhistoriker Philipp Oswalt kritisierte neulich erneut den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses mit Geldern von rechten Großspendern scharf (Unser Resümee). Was aber an den Statuen rechts sein soll, erschließt sich Matthias Heine in der Welt nicht: "Verblüffend an der Jeremiade von Zimmerer/Oswalt ist, dass acht Juden, die vor mehr als 2.500 Jahren lebten und deren Prophetenworte bis heute große Teile der heiligen Schriften des Judentums füllen, neuerdings als deutsch-völkische Symbolgestalten interpretiert werden. Am allerverblüfftesten wären wohl die Nazis gewesen. Die strichen nämlich den Namen eines der Acht - Zacharias - 1934 aus dem Buchstabieralphabet, weil sie es künftig judenfrei haben wollten. Auch Jakob und Samuel, zwei andere Namen aus dem alten Testament, mussten damals weichen." Und überhaupt versteht er die ganze Aufregung über die Spender nicht: "Dass Leute, die sehr viel Geld haben, seltener links sind", sein nun wirklich "keine neue Erkenntnis. Es macht den Wiederaufbau des Schlosses, der vom Bundestag demokratisch beschlossen wurde, noch lange nicht zu einem Nazi-Projekt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 26.03.2024 - Kulturpolitik

Buch in der Debatte

Bestellen Sie bei eichendorff21!
Etwas zwiespältig resümiert Claudius Seidl in der FAZ die jüngsten Debatten um rechtsextreme Spender für alttestamentliche Prophetenskulpturen, die jetzt auch noch auf die Berliner Stadtschlossattrappe gesetzt werden. Der Architekturhistoriker Philipp Oswalt hatte das ja alles aufgedeckt, während die deutsche Presse noch schlummerte (und war das FAZ-Feuilleton nicht seinerzeit eher begeistert von dem Schlossprojekt?) Nun wirkt alles wie eine Verschwörung, so Seidl, "wenn nicht alles öffentlich und ohne jede Geheimhaltung geschehen wäre". Einerseits. "Nur, was wäre die Botschaft? Worauf liefe die Verschwörung hinaus, die ja insoweit erfolgreich war, als das Schloss in Berlin, der Garnisonkirchturm in Potsdam und ein paar pseudoalte Gassen in Frankfurt tatsächlich stehen? Wer sich auf einen Kaffee in den Schlüterhof setzt, wird vielleicht Boxen sehen für die Musikperformance in der Dämmerung, bunte Figuren, deren Sinn sich nicht sofort erschließt, freundliche, amüsierwillige Touristen. Und im Souvenirshop gibt es den Palast der Republik als Buchstütze oder Briefbeschwerer." Am Ende siegt bei Seidl aber wieder der Schrecken. Dem preußisch-protestantischen Barock fehle eben die Grazie. Was bleibt, ist "die schiere Größe, die Demonstration der Macht, die herrische Geste. Eigentlich, so liest man in den rechten Publikationen, müsste ein deutscher Herrscher im Berliner Schloss residieren."

Die Ausstellung "Die Reise der Bilder" in Linz rekonstruiert die Hitlersche Kulturpolitik, die im wesentlichen darin bestand, Kunstwerke aus Privatsammlungen zu rauben. Aber auch über die Bestände von Museen, vor allem in besetzten Ländern, wollte Hitler für seine Projekte verfügen, berichtet Nikolaus Bernau in der taz: "Das Kunstmuseum Lentos in Linz versucht jetzt dieses Geschehen zu rekonstruieren, die 'Reise der Bilder' nachzuvollziehen. Eine sehr österreichische, durchaus relativierende Sprachregel. Dabei verbanden sich hier im Salzkammergut die Ausplünderung Europas durch die Deutschen, der Raub von Sammlungen der als Juden Verfolgten in Frankreich durch den Einsatzstab Rosenberg mit der Rettung von Kunstwerken vor dem Krieg und den memorialen Ambitionen Adolf Hitlers. Diese 'Reise' der Kunstwerke war also genauso gut Flucht wie Deportation, Verbergung eines ungeheuerlichen Verbrechens wie blanke Rettungstat."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.03.2024 - Kulturpolitik

Marcus Woeller schaut sich für die Welt auch noch einmal das von Claudia Roth in Auftrag gegebene Gutachten des Juristen Christoph Möllers über etwaige präventive Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus an (unsere Resümees). Viel gebracht hat die Untersuchung nicht, stellt Woeller fest: "Dieses Gutachten löst für Claudia Roth die Probleme nicht, und ebenso wenig für die Landesminister. Ein gesetzlich verankertes Kunstrichtertum kann niemand wollen. Mit Gesetzen, Verwaltungsvorschriften, Klauseln wird dem Kulturbetrieb der inhärente Antisemitismus nicht ausgetrieben werden können. Der Entzug von Fördergeldern ist ein Druckmittel, dass Roth bislang gescheut hat. Die Herausforderungen beginnen also jetzt erst. Vertrauen und Verantwortung sind die Stichwörter: Das Vertrauen des Staats und damit der demokratischen Öffentlichkeit in die von ihm geförderten Institutionen kann nur bewahrt werden, wenn letztere sich ihrer Verantwortung wieder bewusst werden. Ein erster Paradigmenwechsel wäre, wenn die Kunstfreiheit nicht von Kulturschaffenden selbst zu weithin kritiklos hingenommenen Ermächtigungsphrasen ausgehöhlt würde."

An die Stelle der in vieler Hinsicht mangelhaft arbeitenden Beratenden Kommission zur NS-Raubkunst tritt nun eine Schiedsgerichtsbarkeit aus Experten, was Hannes Hartung in der Welt nur begrüßen kann: "Die Entscheidungen dieses Schiedsgerichts sollen gerichtlich überprüfbar sein und damit in einen verbindlichen rechtsstaatlichen Rahmen kommen. Das bedeutet nichts anderes als einen Paradigmenwechsel in Deutschland im Umgang mit Raubkunst. Bislang waren die Anspruchsteller darauf angewiesen, dass das Museum, in dessen Besitz sich ein fragliches Kunstwerk befindet, einem Verfahren um Rückgabe bei der Kommission zustimmte, was oft nicht der Fall war. Kernpunkt des neuen Verfahrens ist indes die Möglichkeit, auch gegen den Willen des gegenwärtigen Besitzers das Schiedsgericht einseitig anzurufen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.03.2024 - Kulturpolitik

Der Buchmessenauftakt mit Boehm, Illouz und Scholz wird trotz Überlänge und Störaktionen heute in den Feuilletons überwiegend wohlwollend resümiert. Schärfere Worte findet allerdings Marc Reichwein in der Welt, der sich merklich unwohl dabei fühlte, von Buchmesse-Chefin Astrid Böhmisch dazu aufgefordert zu werden, sich "mit Blick auf die Europawahl und die ostdeutschen Landtagswahlen an einer kindisch-kirchentagsmäßigen Mitmach-Aktion zu beteiligen. Kleine Plakate mit dem Slogan 'Demokratie wählen: jetzt' sollten von jedem Sitz hoch und die Kameras gehalten werden, damit sich die Wucht eines ganzen Saals in Fernsehbilder übersetzt. Wieder mal ein Zeichen, mit dem man sich selbst auf die Schulter klopft. Mit Mündigkeit im Sinne von Kant hatte dieses Kollektivkommando nichts zu tun, eher dürfte sich mancher Leipziger, der noch als DDR-Bürger sozialisiert wurde, an Jubelperser-Choreografien der SED- oder FDGB-Propagandaapparate erinnert gefühlt haben."

Dem Neuköllner Kulturzentrum Oyoun sind wegen israelfeindlicher Veranstaltungen die Subventionen abgestellt worden. Geschäftsführerin Louna Sbou hat dagegen geklagt und erklärt im Interview mit Susanne Mermania von der taz, warum sie glaubt, Anspruch auf das Geld zu haben. "Für uns war ganz klar, dass es in einer liberalen Demokratie, wie es Deutschland sein soll, möglich sein muss, dass es Räume für Ansichten wie die der 'Jüdischen Stimme' gibt." Auf die Frage, ob sie  die Hamas als  "legitime Befreiungsbewegung" sehe würde, wie Judith Butler, oder den 7. Oktober als "Gefängnisausbruch" wie die "Jüdische Stimme für Gerechtigkeit", sagt sie: "Ich persönlich würde das nicht sagen. Aber es gibt Menschen und Gruppen, die das tun - und es gibt im internationalen Kontext auch wissenschaftliche Arbeiten, die solche Statements stützen. Wir hier bei Oyoun sind keine Expert*innen, können jedoch beobachten, dass der 7. Oktober international anders kontextualisiert wird als in Deutschland. Dieser Perspektive wollen wir Raum geben."

Auch Patrick Bahners liest nun für die FAZ das von Rechtsprofessor Christoph Möllers erstellte Gutachten zur Frage, ob der Staat künstlerische Förderungen von Bekenntnissen gegen Antisemitismus oder Rassismus abhängig machen kann - Streit hatte es darum allerdings nur beim Thema Antisemitismus gegeben. In Auftrag gegeben hatte das Gutachten Claudia Roth und damit einen Professor gefragt, der schon die "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit" beraten hatte. Diese Initiative von Leitern einiger der renommiertesten Kulturinstitutionen war bekanntlich dafür eingetreten, dass BDS-Positionen an ihren Häusern möglich sein sollen. Richtig klar wird nicht, was Bahners denkt, aber er scheint mit Möllers gegen politische Bekenntnisse als Voraussetzung für eine Förderung zu sein: "Zwar gibt es kein Grundrecht auf Kunstsubventionsbezug, aber wo sich die Residenzpflicht eines Stadtschreibers aus der Natur der Sache ergeben dürfte, da ist die Übermittlung des Ansinnens, dass ein Stipendiat einer vom deutschen Staat unterhaltenen Künstlervilla sich provokativer Stellungnahmen zum Nahostkonflikt enthalten solle, kein gewöhnlicher Verwaltungsvorgang. Ein Hausrecht geistiger Art müsste gesetzlich fixiert werden."

Auf Zeit Online versucht auch Thomas E. Schmidt das Gutachten zu fassen, welches er offenbar begrüßt, eben weil es auch daran erinnert, dass der "der deutsche Staat sehr wohl das Recht, ja die verfassungsrechtliche Pflicht habe, rassistische und antisemitische Kunst im öffentlichen Raum zu verhindern". Und weil es aufzeigt, dass der Ort, "an dem konditionierende Klauseln am effizientesten verankert werden können, die Ebene der öffentlichen und staatlichen Einrichtungen" ist: "In diese Richtung hatte sich die kulturpolitische Debatte ja auch schon bewegt: Was als Rassismus und als Antisemitismus zu gelten habe und wer oder was deswegen nicht zu fördern sei, muss in den Kultureinrichtungen geklärt (und durchgesetzt) werden, wo faktisch Kultur entsteht. Dort können Kulturbehörden Regeln und Vorschriften strikter fassen, ohne dass es neuer gesetzlicher Grundlagen bedürfte. Aber auch dort gilt: Eine Klausel darf nicht die Freiheit der Einrichtung selbst und ihrer Akteure beschränken, sie darf keine Politisierung des Programms nach sich ziehen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 21.03.2024 - Kulturpolitik

Angesichts des ersten Propheten, der auf die Kuppel des Humboldt Forums gehievt wird, fragt sich im Tagesspiegel Nikolaus Bernau, warum eigentlich der Kasseler Architekten Philipp Oswalt in der Spenderliste des Fördervereins des Forums Rechtsradikale, Nationalisten, AfD-Anhänger und evangelikale Christen aufspüren musste, "nicht der Staat, nicht das Humboldt Forum, nicht der Förderverein" (und nicht die Zeitungen, möchte man hinzufügen). "Sicher wird es jetzt eine neue empörte Rede von Kulturstaatsministerin Claudia Roth geben. Aber sie ist genausowenig geneigt wie ihre Vorgängerin Monika Grütters, Spenden auch schlichtweg einmal zurückzuweisen. ... Was Roth aber wirklich tun könnte? Wenigstens das Humboldt Forum und sein postkolonial inspiriertes Gegenprogramm zu der nachgebauten Preußen-Außenarchitektur dauerhaft auskömmlich finanzieren; das Museum Europäischer Kulturen aus seiner Dahlemer Einsamkeit ins Humboldt Forum überführen und damit auch Europa und das Christentum zum Teil der debattierten Welt zu machen; das Projekt Dahlemer Forschungscampus im alten Völkerkundemuseum in Gang bringen und dauerhaft finanzieren, damit die Hunderttausenden von 'ethnologischen' Objekten, die nicht im Humboldt Forum gezeigt werden, auch sichtbar werden. Und selbstverständlich könnte sie die Forschungen finanzieren, die bisher Oswalt macht. So peinlich die Ergebnisse sind. Mal sehen, ob Roth sich auch nur für eines dieser Projekte engagiert."