Vom Nachttisch geräumt

Die Deutschen - Wo sind sie?

Von Arno Widmann
17.08.2017. Schuhe ausziehen oder nicht? Daheim bei "The Germans"
Das Buch ist in Deutschland erschienen, auf Deutsch, geschrieben womöglich von Deutschen, "printed" wurde es übrigens in der Czech Republic.  Es heißt - dafür wird wohl die Feature Direction die Verantwortung tragen - "The Germans". Es hat die Kapitel "Daheim", "Mode", "Bekleidung", "Deutsches Personal", "Auf dem Platz", "Musik",  "Interne Angelegenheiten", "Externe Angelegenheit" und "Zu Tisch". Schon das macht deutlich, dass man es mit einem höchst differenzierten Wirrkopf zu tun hat.

Unter "Daheim" werden abgehandelt: Das deutsche Wohnzimmer, das Bauhaus, der Tatort, der Schäferhund. Im Kapitel "Musik" werden uns vorgestellt:  Techno, James Last, Scorpions und mit kaum mehr als einem Foto Nena. Zu "Interne Angelegenheiten" gehört ein Text über das Verhältnis deutscher Politiker zur Mode, in der über Karl Lagerfeld die wirklich bekloppte Wendung "deutscher Außenminister der Mode" fällt. Sonst ist darin die Rede von Joschka Fischer und Willy Brandt, Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel. Der zweite Beitrag unter "Interne Angelegenheiten" lautet "Becoming German" - selbst das geht nur auf Englisch.


Aus dem Band "The Germans". Foto: Pedro Beraldo

Die Designerin Ayzit Bostan kam als Kind zusammen mit ihren Eltern aus Ankara nach Deutschland. 44 Jahre später - zwanzig Jahre zuvor hatte sie es schon einmal versucht -, am 2. Dezember 2016 wurde sie Deutsche. Sie schreibt "Und so gern ich meinen türkischen Pass hatte, der mit dem Mondstern schöner gestaltet ist als der deutsche - Erdogan macht einem den Abschied leicht. Jetzt fehlt eine Ecke und es steht 'canceled' drauf." Das ist kein Anglizismus, sondern die Wahrheit.

Unter "Externe Angelegenheiten" findet man nicht Artikel der Korrespondenten von New York Times, Women's  Wear Daily, La Vanguardia, Corriere della Sera, The Guardian, sondern ihre Antworten auf Fragen der "Feature Direction". Meine Lieblingsfrage ist die nach dem deutschen Lieblingswort des Korrespondenten: Wehmut (NYT), Handschuhe (WWD), Genau! (La Vanguardia), Schuld (Corriere), Nachtschnecke, Schmusekatze, Schadenfreude, Techtelmechtel, Chuzpe, Fisimatenten, fremdschämen, widersprüchlich usw. usw. (Guardian).

Die verblüffendste Antwort auf die Frage "Welche deutschen Gepflogenheiten haben Sie selbst mittlerweile übernommen?" gibt María-Paz López von La Vanguardia: "Die Schuhe auszuziehen, wenn ich zu jemandem nach Hause komme. Selbst in Wohnungen, die schmutziger als die Straße waren, wurde ich darum gebeten. Mittlerweile mag ich diese Sitte aber, es zeigt Respekt für den Gastgeber. Jetzt machen mein Mann, meine neunjährige Tochter und ich das auch in Barcelona."

Ich bin jetzt 70 und habe noch nie erlebt, dass ich bei Deutschen aufgefordert wurde, die Schuhe auszuziehen. Es gibt eben jede Menge Deutschlands und Deutscher. "The Germans" sind natürlich nicht mehr Dichter und Denker, auch Wissenschaftler und Ingenieure spielen keine Rolle in dem Buch. Ein Philosoph kommt vor: Gunter Gebauer. Er darf über Fußball reden. Der Untertitel lautet: "Stil und Ikonen einer Nation". Darunter sieben Fotos auf dem Titel des  Buches. Allein das, nämlich die Unfähigkeit sich zu entscheiden, ist schon eine Aussage. Und zwischen wem die Feature Direction sich nicht entscheiden konnte: Gloria von Thurn und Taxis, BMW-Motorrad, Helmut Schmidt, Claudia Schiffer, die Traumschiff-Mannschaft, Gunter Sachs und Boris Becker.  Ein Idiot, wer das Buch dennoch aufschlägt.

Silke Wiechert und Nina Zywietz: The Germans - Stil und Ikonen einer Nation, teNeues,  Kempen 2017, 224 Seiten, 72 Farb- und 16 Schwarz-Weiß-Fotografien, 39,90 Euro