Post aus Neapel

Mehr Licht

Von Gabriella Vitiello
11.01.2001. Wider die Mode-Intellektuellen der Postmoderne, die der Ratio misstrauen. Italien entdeckt die Aufklärung neu.
Angefangen hatte alles am 3. Dezember des vergangenen Jahres mit einem Artikel des Gründungsvaters der Repubblica, der endlich mal wieder seinen Einfluss auf die Kulturseiten der Zeitung testen wollte. Eugenio Scalfari kritisierte die Aufsatzsammlung des englischen Ideenhistorikers Isaiah Berlin "Controcorrente" (dt.: "Wider das Geläufige. Aufsätze zur Ideengeschichte"), in der er eine angemessen ernsthafte Reflexion über die Ideen der Aufklärung vermisse. Scalfari lässt sich dann zu einer leidenschaftlichen Verteidigung der Aufklärung hinreißen und schließt mit der These: heutzutage Aufklärer zu sein, bedeutet, ständig gegen den Strom (ital. contro corrente) des vorherrschenden Denkens anzuschwimmen.

Am achten Dezember betrat Franco Volpi das philosophische Parkett der Zeitung. Und plädierte mit seinem Beitrag über "Die Lichter und den langen Schatten Nietzsches" dafür, das symbolische, das mythologische Denken und die Imagination nicht einfach den Irrationalisten zu überlassen.

Die Irrationalität steht auch am 30.12. im Mittelpunkt des Beitrags von Sebastiano Maffettone, Professor für Ethik und kein Freund der Postmoderne. Er bezieht sich jedoch weitestgehend direkt auf Scalfari und beklagt ähnlich wie dieser das andauernde Defizit an Rationalität. Viel zu viele Zeitgenossen seien Anhänger eines irrationalen Voluntarismus. Um nicht in der Abstraktion zu versinken, erfindet Maffettone zur Verdeutlichung seiner Position einen Anti-Aufklärer wie aus dem Bilderbuch: Torbido (ital. "trüb, wirr"). Dieser fiktive Mode-Intellektuelle sieht sich selbst als Vertreter der Postmoderne und misstraut jeglichem objektiven Regelwerk und vor allem der Vernunft, die er in den Bereich von Wissenschaft und Produktion verbannt. Für ihn gibt es keinen öffentlichen oder praktischen Gebrauch der Ratio. Kulturelle, ästhetische und politischen Vorlieben sind nichts weiter als die Spielarten des Geschmacks.

Neben diesem dunklen Gesellen scheint nun um so heller der Geist des Aufklärers, der sich laut Maffettone vor allem durch den Gebrauch einer "öffentlichen Ethik" auszeichnet. Diese Denkweise akzeptiert den Pluralismus der Werte und wendet sich gegen jede absolute moralischen Wahrheit, aber sie wendet sich nie gegen das kritische Denken selbst und gegen die Interpretierbarkeit der Welt.

Damit war die Zeit gekommen für den Kommentar des philosophischen und semiotischen Großmeisters Umberto Eco, der am 31.12. an den gesunden Menschenverstand auch in der Philosophie appelliert - und im übrigen einer Meinung mit dem Anti-Anti-Aufklärer Maffettone ist. Eco sieht im vernünftigen Denken und dem Gemeinsinn (common sense) das eigentliche Vermächtnis der Aufklärung. Auf der Basis eines minimalistischen Realismus glaube der Aufklärer daran, dass die Dinge "in einer bestimmten Art und Weise laufen", auch wenn er nie genau sagen könne wie. Ebenso wie man darin übereinstimmen kann, dass einem Wassertropfen auf die Hände fallen (sprich: es regnet), gibt es laut Eco auch minimale ethische Übereinkünfte. Leider ist sein Versuch, sich mit Gianni Vattimo auf den Common Sense zu einigen, gescheitert - weswegen Eco Vattimo neckisch als den geringeren Aufklärer von ihnen beiden bezeichnet. Vattimo hatte ihm nämlich die Zustimmung verweigert, als Eco meinte, den Beweis der Existenz der Naturgesetze darin sehen zu können, dass sich ein Hund mit einem Hund kreuzen kann und dabei ein Hund herauskommt. Wenn man einen Hund allerdings mit einer Katze kreuzt, kommt entweder nichts heraus oder etwas, das niemand in seiner Wohnung sehen möchte. Alles klar?

Klar ist zumindest, dass Gianni Vattimo das nicht auf sich sitzen lassen kann. Am 4.1. meldet er sich zu Wort und kontert gegen Umberto Eco, dessen Begriff der Realität ("vom allgemeinen Lauf der Dinge") dem Turiner Philosophie-Professor viel zu stabil und robust ist. Vattimo erinnert Eco zunächst an den Aufklärungsbegriff bei Kant (die Vernunft wird mündig, weil sie endlich ihre eigenen Grenzen erkennt) und bringt dann ins Spiel, dass wir die Dinge leider nie von außen betrachten können. Das Sprechen über sie und die Vorstellung von den Dingen ist bereits ein Teil der Dinge. Damit gehe auch einher, dass jeder Blick auf die Dinge von einer Motivation und einem Interesse geleitet werde, also keineswegs objektiv sei. Vattimo verzichtet auf jede Objektivität, denn sie gaukelt einem nur die Gegebenheit einer Wahrheit vor, die letztlich eine Autorität legitimieren soll. Auch wenn Vattimo zugeben muss, dass es ihm davor graut, seine Mitbürger könnten im April Berlusconi, Previti und Bossi zur neuen italienischen Regierung wählen - ist das noch lange kein Grund für ihn, den demokratischen Konsens und eine garantierte Freiheit durch festgezurrte, autoritäre Wahrheiten zu ersetzen.

Am Dreikönigs-Tag schaltet sich Roberto Esposito in die Diskussion ein und greift den Gedanken Vattimos auf, wonach jeder Versuch verfehlt ist, moralische Annahmen ausschließlich auf rationale und damit auf objektive Voraussetzungen zu gründen, wenn selbst die Rationalität die Balance verliert.
Eine der Stärken der Aufklärung sieht Esposito aber darin, dass sie die Frage nach der eigenen Gegenwart und Aktualität in das philosophischen Denken eingeführt hat. Jede Frage nach unserem Leben, unseren Plänen und unseren Werten, auch wenn sie unterschiedlich sind, interpretiert Esposito als ein Erbe der Aufklärung, die uns vielleicht als einzig wirklich universellen Inhalt die Einsicht hinterlassen hat, dass es eine Differenz gibt: im Sinne eines ambivalenten, doppeldeutigen Charakters in jedem Ausdruck der Realität.

Aber was bedeutet es denn nun, im dritten Jahrtausend noch, bzw. wieder, "Illuminist" zu sein? Sergio Moravia jedenfalls ist die Debatte seiner Kollegen ein bisschen zu dunkel und verworren und er will Licht in die Angelegenheit bringen. Er betont, dass es die Vernunft nicht gibt. Die Aufklärung hat uns nicht die Gewissheit hinterlassen, sondern die Suche. Sie fordert uns auf, Unbekanntes zu beobachten, um es möglicherweise in etwas Neues und eventuell Besseres verwandeln zu können. Moravia wünscht sich einen "Willen zum Wissen", der sich verbindet mit dem Enthusiasmus des Herzens, um so vielleicht zu einer besseren Praxis des Lebens zu gelangen - wobei man nie die Schattenseiten der Aufklärung vergessen darf, die Adorno und Horkheimer so treffend analysiert haben.
Ein wenig sentimental schließt er mit dem Gedanken, dass unsere Zeit wieder Glaubensinhalte braucht - auch wenn das im Zeitalter der Säkularisierung ein wenig peinlich ist: aber die Sache muss weder notwendigerweise nach Weihrauch duften noch den Geruch von Blut haben. Ob das aber so stehen bleiben wird?