Magazinrundschau - Archiv

The Comics Journal

3 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 23.08.2022 - The Comics Journal

Was den USA die Simpsons, ist Japan der Manga "Sazae-san" und noch mehr dessen Verfilmung in Form einer Serie, die unglaublicherweise seit 1969 ununterbrochen neue Folgen hervorbringt und ungebrochen erfolgreich ist, erklärt uns Natsume Fusanosuke (und ein bisschen auch dessen Übersetzer Jon Holt und Teppei Fukuda in einer vorangestellten Notiz). Doch während die Simpsons mit ihrem grellen Humor den USA einen satirischen Zerrspiegel vorhalten, zelebriert "Sazae-san" die Gewöhnlichkeit des Alltag von drei unter einem Dach lebenden Generationen einer japanischen Familie und deren kleine Herausforderungen. Das triggert Nostalgie - allerdings die spezifisch japanische Form, "Natsukashisa", die im Gegensatz zur bitter-melancholischen Sehnsucht der Nostalgie im Westen eher eine warme, anheimelnde Erinnerung beschreibt. Sieben Menschen umfasst diese Familie - für heutige Verhältnisse eine Großfamilie, seinerzeit aber Standard, erklärt Fusanosuke: "Als 'Saeza-san' serialisiert wurde, stellte der Künstler das Leben so dar, wie es seinerzeit Moral und üblichen Gepflogenheiten entsprach. Aber da dieser Anime seit den Siebzigern läuft, hat sich seine 'Gegenwart' still und heimlich zu 'Natsukashisa' gewandelt: das schwarze Telefon mit der Wählscheibe, das die Familie nutzt; das Zimmer mit den Tatami-Matten; die Gartenveranda; dass Namihei stets einen Kimono trägt. Die Liste ist endlos. ... Diese 'Natsukashisa' genannte Sache ist die Neigung jeder Generation, sich jener Gefühle zu erinnern, die sie gegenüber der Gesellschaft zu der Zeit empfunden hat, als sie diese durchlebt hat. Und dennoch können Leute dieses 'Natsukashisa' selbst dann noch auskosten, wenn sie diese Zeit nie erlebt haben. Darin besteht der Reiz, der diese und ähnliche Arbeiten so ungeheuer unterhaltsam macht und es ihnen gestattet, jede Generationkohorte zu transzendieren. Gewiss, es gibt da diese Art eines stabilen, idealisierten Bildes von Japans Vergangenheit. Auch deshalb können diese Arbeiten für Leser und Zuschauer immer anheimelnd sein: Man hat das unverbrüchliche Gefühl, dass man stets dorthin zurückkehren kann. Betrachtet man es auf diese Weise, dann durchlief 'Saeza-san', so wie es sich von Manga zu Anime wandelte, auch einen Wandel von einer Arbeit, die sich noch ganz nach 'zeitgenössischer Gesellschaft' anfühlte, hin zu einer Anime-Form, deren Publikum sich zärtlich an 'irgendeine vage Vergangenheit' erinnert." Hier eine Folge aus dem laufenden Jahrgang - sie wirkt in ihrem Stil wirklich verblüffend so, als seien die Sechziger nie vergangen:

Stichwörter: Japan, Anime, Manga, Comic, Kimono

Magazinrundschau vom 17.05.2022 - The Comics Journal

Ende April ist der Comiczeichner Neal Adams gestorben, der in den siebziger Jahren maßgeblich dazu beitrug, den Superheldencomic zu modernisieren - dass Batman heute nicht mehr ein naiver Unterhosenstrampler ist, hat er maßgeblich Adams zu verdanken. Das Comics Journal hat in seinem Archiv gewühlt und ein episches Interview mit Adams aus dem Jahr 1982 ausgegraben. Unter anderem geht es um das Verhältnis zwischen Comic- und Filmindustrie. Der moderne Blockbuster war damals erst wenige Jahre alt. Im Rückblick aus einer Zeit, in der das Kino von Superheldenfilmen geradezu belagert scheint, erweist sich Adams in seiner Einschätzung als erstaunlich hellsichtig und unterstreicht nochmal beeindruckend die Tatsache, dass in der weitgehend parallel ablaufenden Geschichte von Comic und Film häufig nicht etwa der Comic das Derivat des Films darstellte, sondern sich der Film immer wieder am Comic orientiert hat (dass Godard sich seinen Jump-Cut aus Comics abgeschaut hat, wissen Sie ja sicher). Damals arbeitete Adams gerade an einem eigenen Film, den er, wie er sagt, als Comic allerdings nicht hätte umsetzen können, "weil er einfach nicht aus den Vollen der Imaginationskraft schöpfen kann. Das hat mit den Budgetproblemen zu tun. Wissen Sie, ich verstehe das Comic-Publikum. Das Comic-Publikum fühlt sich nicht von den Sachen unterhalten, die bei einem TV-Publikum gut ankommen. Man setzt keine Seifenoper in Comicform um, weil es einfach viel besser ist, sich so etwas im Fernsehen anzusehen. Der einzige Bereich, in dem wir als Comickünstler überleben können, ist jener, an dessen Darstellung Film und Fernsehen scheitern. In gewisser Hinsicht sollten Leute wie George Lucas uns eigentlich richtig Angst einjagen, weil er tatsächlich in der Lage war, viel von unserem Zeug auf die Leinwand zu bringen. Aber nur als Beispiel: Würde man 'Star Wars' auf ein Comicheft eindampfen, dann ist es nun einmal Fakt, dass dieses 'Star Wars'-Heft beileibe nicht so interessant wäre wie die 'Avengers' oder die 'Fantastic Four'. In diesen Bereich der Imaginationskraft ist es noch nicht vorgedrungen. Dort, wo wir unsere Fantasie bis an die Grenzen des Vorstellbaren erweitern, liegt unser Erfolg. Offensichtlich haben wir diese Grenze jetzt noch nicht erreicht - und wir werden sie auch noch lange nicht erreicht haben." Im selben Jahr 1982 revolutionierte übrigens Alan Moore mit seinem "Swamp Thing"-Zyklus - und mit seiner Vorstellungskraft - den Mainstream-Comic. Und heute, da das digitale Kino keine Grenzen mehr kennt, darbt die Comicindustrie in einer seit Jahren anhaltenden Krise.

Magazinrundschau vom 08.02.2022 - The Comics Journal

Von den deutschen Feuilletons ist der Tod des französischen Comiczeichners Jean-Claude Mézières nur vereinzelt wahrgenommen worden. Dabei ist er neben Moebius (mit dem er gemeinsam eine Kunstschule besuchte und im engen Austausch stand) und Enki Bilal einer der Wegbereiter des gegenkulturell geprägten, französischen Science-Fiction-Comics, wie er sich zum Beispiel im legendären Comicmagazin Métal Hurlant entfaltete. Seine gemeinsam mit seinem Jugendfreund Pierre Christin noch für René Goscinnys Magazin Pilote gestaltete Serie "Valerian und Veronique" (letztere heißt im Original Laureline) präsentierte ein schillernd-farbenfrohes Universum, bei dem sich auch ein gewisser George Lucas wohl ziemlich zupackend bedient haben dürfte. Aus Anlass von von Mézières Tod hat Gary Groth ein großes Interview aus seinem Archiv geholt, in dem der Zeichner offen und detailliert über seinen Werdegang, seine Arbeit, seine Allianzen mit anderen Zeichnern und seine Kritik am lediglich an Muskelspielen interessierten US-Comic spricht. Sein "Valerian" war aus dem Geiste der Sechziger subversiv angelegt, erzählt er: "Von Anfang an war das bewusst eine politische Geschichte. Wir wussten zwar nie, was wir wollten, aber wenn eines klar war, dann, was wir auf keinen Fall wollten: Wir wollten keinen Helden, keinen Retter der freien Welt, keinen Mann, der gegen die Schurken kämpft, und auch keine Schurken. ... Er war ein Beiwohner. Valerian wohnte immer irgendeiner abgefahrenen Sache bei, bei der er ein bisschen mitmischen würde, ohne sich je vollkommen sicher zu sein, auf welche Art dies geschieht. Und Veronique hatte dazu die meiste Zeit eine völlig andere Meinung. Wie Veronique als Persönlichkeit angelegt war, wurde im Laufe immer wichtiger, weil sie so eine starke Gegenfigur zu Valerians Aktionen war. ... Wie gesagt, es war nur ein Experiment: Wir schufen einen Helden, der wenig heldenhaft war."