Im Kino

Signatur des Gemetzels

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Nikolaus Perneczky
08.07.2015. Nicht das Chaos bringt in David Robert Mitchells originellem Horrorfilm "It Follows" den Tod, sondern dessen kurzfristige Suspension. Verstrahltheiten unterschiedlicher Art häuft Alan Taylors 200 Millionen Dollar teure fan fiction "Terminator Genisys" an.


Vor dem gemeinsamen Kinobesuch schlägt Hugh (Jake Weary) Jay (Maika Monroe) ein Spiel vor: Der erste Spieler wählt unter den Umstehenden einen Menschen, mit dem er gerne tauschen möchte, der zweite muss dann erraten, für wen der erste sich entschieden hat. Und aus welchen Gründen. So geht das eine Weile hin und her - schnell zeigt sich, dass es gute Gründe gibt, in die Haut jedes beliebigen Menschen schlüpfen zu wollen. Als sich Hugh allerdings für den imaginären Tausch mit einer Frau entscheidet, die für Jay unsichtbar ist, beginnt ein anderes, zweites Spiel, das den ganzen restlichen Film über andauert und das dem ersten nicht unähnlich ist: Auch der Horrorfilmplot, den "It Follows" entwirft, dreht sich um den Akt des Auswählens und um nicht-alltägliche Formen von Intimität.

Die Regeln sind nicht ganz unkompliziert (deshalb muss Jay, als sie ihr und uns erklärt werden, erst einmal gefesselt werden, damit sie gut zuhört): Es gibt ein Etwas, das einen, aber eben immer nur einen einzigen Menschen verfolgt und dafür die Gestalt eines anderen Menschen annimmt, der sich langsam, aber unaufhörlich auf das Opfer zubewegt, ganz egal, ob sich nur ein paar Meter oder ganze Kontinente zwischen den beiden befinden. Das Opfer dient als eine Art dynamische Kompassnadel beziehungsweise Magnet und wird diese Rolle nur los, wenn es mit einem anderen Menschen schläft - dann überträgt sie sich auf den Sexpartner. Dummerweise erfährt Jay all das erst, nachdem sie sich mit Hugh auf dem Autorücksitz vergnügt hat.

Es gibt noch ein paar weitere Spielregeln, aber das zentrale Element des Films - und auch seine große Stärke - ist die unhintergehbare, allgegenwärtige (und kein bisschen auserklärte) Latenz der Verfolgung, die jederzeit in eine Präsenz der lebensgefährlichen Bedrohung umschlagen kann. Der Horror von "It Follows" entsteht direkt aus einer Wahrnehmungsverschiebung. Ganz normale, harmlose Filmeinstellungen verwandeln sich in paranoide Suchbilder: Bewegt sich da nicht ganz hinten etwas zwischen den Bäumen? Läuft nicht auf der rechten Bildseite ein Passant merkwürdig langsam und gleichmäßig auf Jay zu?



David Robert Mitchell weiß um die Stärke seines Konzepts - und konstruiert geduldig, in langen, oft durch langsame Schwenks in eine subtile Unruhe versetzten Einstellungen immer neue Beobachtungsdispositive, die auf einer narzisstischen Verzerrung der Wirklichkeit beruhen: Passanten werden nicht mehr als Teil einer kontingenten Soziosphäre wahrgenommen, die sich für mich selbst kein bisschen interessiert, sondern als potentielle Akteure in einem absoluten Bedrohungsszenario, das sich um mich und nur um mich dreht. Was auch heißt: Nicht das Chaos bringt den Tod, sondern dessen kurzfristige Suspension.

Wie sich der Raum jedesmal urplötzlich zu einem linearen Korridor des Schreckens zusammenzieht, wenn sich herausstellt, dass die ewige Verfolgung wieder einmal tatsächlich ihr Ziel zu erreichen droht, dass also aus der Tiefe jemand mit jenseitig finsteren Absichten auf mich/Jay (der Film benötigt, auch das spricht für seine Klasse, kaum Kamerasubjektiven, um diese Gleichsetzung zu erreichen) zustrebt: Das ist schlicht und einfach großartiges Horrorkino. Der eigenwillige Synthie-Score, der sich anhört wie ein Carpenter-Soundtrack auf Valium, tut ein übriges dazu.



Die formale Kontrolle, die der noch junge Regisseur in seinem Zweitwerk offenbart, ist die große Stärke des Films - aber vielleicht auch sein größtes Problem. In aseptische Überkontrolliertheit droht sie vor allem im Umgang mit den Schauspielern umzuschlagen: Absolut alle Darsteller in "It Follows" wirken schon vor dem Auftauchen des wandelnden Virus wie lebende Tote, agieren noch in höchster Erregung seltsam gehemmt, lassen stets unprägnante Pausen zwischen den monoton aufgesagten Sätzen. Im Kleinen sind das oft schön beobachtete Miniaturen der Teenie-Lethargie, aber sie summieren sich zu einem Eindruck der etwas zu allumfassenden Schlaffheit. Die passt durchaus zum urbanen Wasteland Detroit, wo der Film gedreht wurde (anders als in Jarmuschs "Only Lovers Left Alive" fehlt bei Mitchell jegliche ruinenromantische Emphase - das ist einfach nur alles furchtbar trist, ganz besonders da, wo hinter ungepflegten Vorgärten und ausgebleichten Fassaden noch Reste bürgerlichen Wohlstands zu erahnen sind); und ein wenig passt sie auch zum eigenartigen Retro-Flair des Films, in dem außer einem muschelförmigen Ebook-Reader keinerlei auch nur halbwegs zeitgemäße technische Geräte auftauchen - stattdessen stapelt Mitchell die Röhrenfernseher teils sogar übereinander, im (leider misslungenen) Finale kommt der Vintage-Elektronik gar eine narrative Funktion zu.

Das Problem ist eher, dass die libidinösen Aspekte der Geschichte weitgehend Behauptung bleiben - "It Follows" fühlt sich seiner bahnhofskinotauglichen Prämisse zum Trotz weitgehend asexuell an. Nun muss natürlich nicht jeder Film als ein Karneval der Triebe daher kommen; aber der speziellen Form von teenage angst, auf die der dennoch unbedingt sehenswerte "It Follows" schon qua Prämisse zielt und die auf der unheimlichen Nähe von Bedrohung und Verführung basiert, fehlt es an Resonanzraum - nicht zufällig blendet Mitchell in der einzigen Szene, in der Jay selbst zur Jägerin wird und den Fluch an einen Wildfremden weitergeben will, fast schamhaft ab. Auch sonst nimmt man den Jungs und Mädels, die da durch Detroit schlurfen, einfach nicht ab, dass sie überhaupt ernsthaft in die Versuchung geraten könnten, enthemmt übereinander herzufallen - während andererseits die voraussetzungslose Solidarität, die sie miteinander verbindet und zu einer nichthierarchischen Gemeinschaft formt, absolut glaubwürdig und rührend ist. Vielleicht ist das der letzte, untergründige Clou des Films: Selbst Sex ist für sie vor allem ein Freundschaftsdienst.

Lukas Foerster

It Follows - USA 2014 - Regie: David Robert Mitchell - Darsteller: Maika Monroe, Jake Weary, Keir Gilchrist, Olivia Luccardi, Lili Sepe, Bailey Spry - Laufzeit: 100 Minuten.

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Als James Camerons "The Terminator" (1984) in die Kinos kam, war ich zwei Jahre alt, beim Starttermin von "Terminator 2: Judgment Day" (1991) fast zehn. Gesehen habe ich beide Filme einige Jahre später, Rücken an Rücken, als ob sie - unvordenkliches Doppelgestirn am Actionkinofirmament - immer schon zugleich existiert hätten. Zu einem Teil ist mein verwirrtes Zeitgefühl auf die Filme selbst zurückzuführen: Beide handeln von Rückkehrern aus einer dystopischen Zukunft, in der die Maschinen die Weltherrschaft an sich gerissen haben.

Als formvollendetes Diptychon leben Terminator 1 und 2 von Variation und Verkehrung. Der kybernetische Organismus (Arnold Schwarzenegger), den unsere zukünftigen Robot Overlords im ersten Teil in die Erzählgegenwart entsenden, um eine junge Frau namens Sarah Connor zu terminieren, wird in der Fortsetzung zu Sarahs Beschützer umprogrammiert. Beide Teile habe ich als extrem gewalttätig in Erinnerung, aber die Signatur des Gemetzels ist jeweils eine andere. Hier der mechanische T-800 (Schwarzenegger als B-Movie-Ausgeburt mit Lederjacke, Sonnenbrille und abgesägter Shotgun), dort der postindustriell-quecksilbrige Formenwandler T-1000, der chirurgisch präzise Skalpelle aus seinen Armen (und durch die Schädeldecken nichtsahnender Opfer) wachsen lassen kann.

Die schlimme Zukunft kam zunächst nur als Vision oder Vignette vor: schweres futuristisches Kriegsgerät, das über splitternde Schädelknochen rollt. Mit "Terminator 3" ändert sich das. Er führt hin zur Katastrophe, kulminiert im nuklearen Fallout, der das Zeitalter der Maschinen einläutet. Im (nicht mehr numerierten) vierten Eintrag in den Franchise-Kanon, dem salbungsvollen "Terminator Salvation", gab Regisseur McG der Versuchung nach, das davor immer nur angedeutete Zukunftsszenario eingehender in den Blick zu nehmen. Was als B-Movie-Prämisse einwandfrei funktionierte, wirkte hier, zur bierernsten Apokalyptik aufgeblasen, wichtigtuerisch und fad.

Zumindest dieses eine hat der neueste Terminator-Film - Untertitel "Genisys" [sic!] - für sich: Er bemüht sich, dem Geist der ersten beiden Filme treu zu bleiben. Mit Kategorien wie Sequel oder Prequel kommt man dem delirierenden Zeitreiseplot von "Terminator Genisys", der völlig neue Möglichkeitswelten aufwirft, dennoch nicht bei. Eher schon wäre das, was Regisseur Alan Taylor versucht, als reboot zu bezeichnen, das ikonische Figuren, Orte und Situationen aufruft, um innerhalb des etablierten Repertoires neue Verschaltungen herzustellen.



Das Problem: "Terminator Genisys" sucht so zwänglerisch nach Anschlüssen an den Terminator-Mythos und hat tonal so wenig Kontrolle über sein Material, als wäre er ein Stück fan fiction. Der Film ist, man muss es offen aussprechen, peinlich schlecht geworden, ein "popkultureller Clusterfuck" (wie ein Facebookfreund trefflich schreibt), dabei aber doch irgendwie anrührend, noch in seinen lächerlichsten Momenten. Zu Beginn bekommt Arnold Schwarzenegger es mit einer bösen, historisch früheren Version seiner selbst zu tun. Der gealterte Schauspielerkörper gegen das Digitalisat seines jüngeren Selbst - eine super Idee, die sich aber leider rasch erledigt. Als eigentlicher Widersacher entpuppt sich ein neuer, magnetbasierter Cyborg von unbekannter Typenbezeichnung. Das Altern als beherrschendes Thema freilich bleibt. Einer der unzähligen (lies: viel zu vielen) Einzeiler: "I"m old, but not obsolete."

Taylor lässt nicht nur den originalen T-800 wieder auferstehen, sondern stellt ganze Szenen aus den ersten beiden Filmen bis ins anachronistische Spezialeffekt-Detail nach. "Terminator Genisys" ist ein gar nicht mal so liebloses Pastiche, das seine Stimmungen und Affekte nicht annähernd im Griff hat. Mal wird ironisch zitiert, mal nostalgisch. Schwarzenegger tendiert zur Selbstparodie. Emilia Clarke ist eine kontraintuitive Wahl für die Rolle der toughen Guerrillera Sarah Connor. Ob sie strategisch gegen den Strich oder einfach fehlbesetzt ist, lässt sich am tonal konfusen Endergebnis nur schwerlich ablesen. Ulk und Ernst, Faustkampfaction und CGI-Wunderkerzen stehen unvermittelt nebeneinander, werden auch vom fadenscheinigen Drehbuch nicht zusammengehalten, das erst überaus zuvorkommend jede Windung auserzählt, auf halber Strecke dann aber achselzuckend aufgibt: zu kompliziert! Der (mit jedem Zeitsprung zunehmenden) Erzählparadoxien entledigt sich "Terminator Genisys" irgendwann in einem hingeworfenen Halbsatz, der alle Ungereimtheiten zu planieren vorgibt, ohne tatsächlich etwas zu erklären: "We are marooned in time!" Nichts spricht dagegen, die selbst auferlegten Regeln zu brechen, nichts gegen einen sich zerfasernden Blockbuster, der keine Ambitionen auf total integriertes Gesamtkunstwerk hat. Aber Taylor gerät in Atem- und Erklärungsnot nicht aus Wagemut, sondern weil er sich auf nichts so recht festlegen mag. Nur Hans Zimmer weiß, was er will: dasselbe wie immer.



Auch der Versuch, die zentrale Computerintelligenz Skynet, die es, einmal online, auf die Vernichtung der Menschheit abgesehen hat, an gegenwärtige Verhältnisse anzugleichen, ist mehr bemüht als gelungen. Weil alle ständig auf ihre Smartphones und Tablets starren, will Skynet sich als omnipräsentes Betriebssystem Genisys ins World Wide Web (und von dort, so stelle ich mir vor, in die Schaltkreise des militärisch-industriellen Komplex) insinuieren. "The ultimate killer app", sagt der stolze CEO; zum Showdown kommt es logischerweise in San Francisco.

Rätselhaft bleibt, an welches Kundensegment Terminator Genisys sich eigentlich richtet. Maximal aufnahmebereite Fanboys und -girls, die an den dicht gestreuten Reverenzen und Reminiszenzen allein satt werden? Dass das ökonomische Kalkül dieses im großen Stil gescheiterten Films letztlich undurchschaubar bleibt (bei geschätzten Produktionskosten von annähernd 200 Millionen Dollar), macht ihn mir doch ein wenig sympathisch - zumal ich mir fest einbilde, zwischen all der Verstrahltheit immer wieder echte Bewunderung für den Urtext aufblitzen gesehen zu haben.

Nikolaus Perneczky


Terminator Genisys - USA 2015 - Regie: Alan Taylor - Darsteller: Arnold Schwarzenegger, Jason Clarke, Emilia Clarke, Jai Courtney, J.K. Simmons, Dayo Okeniyi - Laufzeit: 126 Minuten.