Yasmina Reza

Serge

Roman
Cover: Serge
Carl Hanser Verlag, München 2022
ISBN 9783446272927
Gebunden, 208 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Was bedeutet Familie? Was heißt jüdisch sein? Die Geschwister Popper: Serge, verkrachtes Genie und homme à femmes, Jean, der Vermittler und Ich-Erzähler, und Nana, die verwöhnte Jüngste mit dem unpassenden spanischen Mann. Eine jüdische Familie. Nach dem Tod der Mutter entfremdet man sich immer mehr. Zu ihren Lebzeiten hat keiner die alte Frau nach der Shoah und ihren ungarischen Vorfahren gefragt. Jetzt schlägt Serges Tochter Joséphine einen Besuch in Auschwitz vor.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 16.03.2022

Rezensentin Katharina Granzin fühlt sich beim Lesen bestimmter Passagen im Roman "Serge" von Yasmina Reza nicht immer wohl, wenn sie lachen muss. Denn die französische Autorin erzählt darin sowohl ironisch und sarkastisch als auch beklemmend von einer nach der Beerdigung der alten Mutter nach Auschwitz reisenden jüdischen Familie, bestehend aus drei Geschwistern und ihrem Anhang - da wären der mittlere Bruder Jean, in der Rolle des ausgleichenden und unkritischen Ich-Erzählers, der ältere Kotzbrocken-Bruder Serge und deren jüngste Schwester Nana, die als einzige glücklich verheiratet ist, erklärt Granzin. Zunächst scheint Auschwitz das Hauptthema des Buches zu sein, meint die Rezensentin, aber bald erkennt sie, dass es sich hier um eine Erzählung über Familienkonstrukte und die familiäre und jüdische Identitätsfrage handelt. Die Figuren lernt Granzin vor allem durch ihre andeutungsreichen Dialoge kennen. Ein "geistreiches Konversationsdrama in Prosaform", schließt sie.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 29.01.2022

Einen "äußerst unguten Geschmack" hinterlässt Yasmina Rezas Roman, der den Holocaust in eine Komödie einbaue und Kritik an der Erinnerungskultur übe, bei Rezensent Jörg Magenau. Denn wie hier die Reise nach Auschwitz, die eine jüdische Pariser Familie nach dem Tod der Mutter unternimmt, als bloßes Mittel diene, den Roman zwischen allerlei zwar handwerklich gekonntem, aber "ziellosem Geplänkel" zwischen den Familienmitgliedern auf ein ernstes Niveau zu heben, gefällt dem Kritiker gar nicht, und auch die Kritik an der Gedenkkultur ("Dieser Fetischismus der Erinnerung ist bloßer Schein", zitiert Magenau Rezas Figuren), die nicht zwischen Gedenkroutine und Erinnerung unterscheide, findet er "zu schlicht". Daran ändert auch die "spezifisch jüdisch-säkulare" Position der Autorin nichts, meint Magenau.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 28.01.2022

Meisterlich findet Nils Minkmar Yasmina Rezas neuen Roman. Darin, das Grauen und die Absurdität der irdischen Existenz in Unterhaltung zu verwandeln, kann es kaum eine Autorin mit Reza aufnehmen, findet Minkmar. Da macht sich eine jüdische Familie aus Paris auf zum Besuch des KZs Auschwitz und die Sorgen der einzelnen Familienmitglieder drehen sich um die Hitze in den Ausstellungsräumen, den richtigen Anzug und die nächste Zigarette. Den ganz normalen Wahnsinn, meint Minkmar, behandelt Reza mit existenzieller, philosophischer Tiefe, nie belehrend und zugleich so unterhaltsam und lustvoll, dass es eine Freude ist, versichert der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.01.2022

Rezensentin Rose-Maria Gropp hält Yasmina Rezas neuen Roman für große Erinnerungsliteratur. Ohnehin bewundert die Kritikerin Rezas Kunst der fragmentierten Dialoge und Rede, die der "Tragikomödie" Raum gibt. Wenn ihr die französische Autorin hier von Serge, Jean und Nana erzählt, die nach dem Tod der Mutter samt familiärem Anhang nach Auschwitz reisen, um der totgeschwiegenen Familiengeschichte auf den Grund zu gehen, staunt Gropp einmal mehr über Rezas Mischung aus mitunter "boshafter Komik und Taktgefühl". Auch wenn Jean den Ort Oswiecim als "blumenreichstes Städtchen, das ich jemals gesehen habe", bezeichnet oder Serge jede Erinnerung boykottiert, ziehe Reza Auschwitz nie ins Lächerliche, versichert die Kritikerin, die natürlich auch die autobiografische Grundierung des Romans erkennt. Und wie die Autorin ihre Figuren und Leser hier ganz dicht an den Tod heranführt, ringt der Rezensentin größte Anerkennung ab.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 25.01.2022

Rezensent Paul Jandl nimmt Yasmina Rezas neuen Roman "Serge" mit einem Schulterzucken auf. Natürlich beherrsche die französische Erfolgsautorin die Kunst des "hochtourigen Dialogs", gesteht Jandl gern zu, aber worauf sie mit ihrem tragikomischen Roman zur Erinnerungskultur hinauswill, wird ihm nicht ganz klar. Dabei muss er viel lachen angesichts der Dysfunktionalitäten der Pariser Familie Popper. Aber wenn die Familie nach Auschwitz kommt, gibt Jandl zu bedenken, dann konfrontiere sie sich nicht nur mit einer Gedenkkultur, die man vielleicht karikieren könnte, sondern auch mit einem Ort realer Toten. Und am Ende fehlt dem Rezensenten auch die Pointe, auf die der ganze Witz hinauslaufen soll.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.01.2022

Rezensentin Judith von Sternburg hält viel von Yasmina Rezas Erzählkunst, die Abgründe öffnet, um das Unaussprechliche zu befreien, wie sie findet. So auch im neuen Roman der Autorin, in der es um die Erinnerung einer jüdischen Familie an den Holocaust geht. Wie elegant und "gegenwärtig" Reza davon erzählt, indem sie ihren Figuren dialogisch und psychologisch auf den ambivalenten Grund geht, findet Sternburg faszinierend. Witzig ist es natürlich auch, verspricht Sternburg. Die "schwungvolle" Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel und Frank Heibert trägt einiges dazu bei, meint sie.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 22.01.2022

Rezensent Tobias Rüther bezeichnet Yasmina Rezas neues Buch als "Identitätsroman ohne Posen". Romane von Reza scheinen Rüther perfekte Exemplare des Genres zu sein, da sie Gesellschaft in all ihren guten wie bösen Facetten abbilden, indem die Figuren einfach reden, und zwar so, wie jeder es kennt. Rüthers Begeisterung rührt auch daher, dass Form und Inhalt einander entsprechen. Hier bedeutet das, dass die Deutung der Geschichte der jüdischen Geschwister Popper keinen Goldstandard kennt und der Roman keine Mitte hat, sondern dauernd in Bewegung ist, wie Rüther erklärt. So kommt es laut Rüther auch, dass ein Familienausflug nach Auschwitz im Text das Grauen der Ortes und zugleich das Folkloristische des Unterfangens vermittelt. Bei Reza ist es immer beides: Unterhaltung und Wahnsinn, meint er.