Peter Huchel

Wie soll man da Gedichte schreiben

Briefe 1925-1977.
Cover: Wie soll man da Gedichte schreiben
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000
ISBN 9783518411575
Gebunden, 534 Seiten, 34,77 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Hub Nijssen. Mit einem Vorwort von Hans Dieter Zimmermann. Peter Huchels Korrespondenzen mit Brecht, Celan, Nossack, Döblin, Eich, Seghers, Becher, Bloch, Thomas Mann, Nelly Sachs, Hans Mayer, Grass, Hermlin und vielen anderen sind zeitgeschichtliche und kulturpolitische Dokumente ersten Ranges. Als legendärer Chefredakteur der Zeitschrift "Sinn und Form" und geachteter Autor war Huchel Zentralfigur einer Lesegesellschaft, deren Netzwerk die innerdeutsche Grenze überspannte. Aus privaten Archiven im In- und Ausland, aus Nachlässen, Archiven von Verlagen, Akademien, des Schriftstellerverbandes, der Stasi und vor allem aus dem Archiv von Sinn und Form konnte der niederländische Literaturwissenschaftler Hub Nijssen 3200 Briefe in langjähriger detektivischer Arbeit zusammentragen. Aus dem gewaltigen Fundus hat der Herausgeber knapp 400 Briefe für diese Edition ausgewählt und ausführlich kommentiert. Sie geben Einblick in Leben und Werk eines großen Dichters, in die Bedingungen seiner Arbeit in der Weimarer Republik, im nationalsozialistischen Deutschland, in der DDR und der Bundesrepublik.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.10.2000

In einer ausführlichen Besprechung beschäftigt sich Ralf Vollmann mit Leben und Werk Peter Huchels, zu dem die vorgelegten Briefe einerseits anekdotisch zitiert werden, andererseits aber gar keine so große Rolle spielen. Er beginnt mit einem Brief Huchels an Weyrauch, in dem der Irene Gysi erwähnt und sich über eine verlorene Brille beklagt. Vollmann nimmt es zum Anlass, ein wenig mehr über Weyrauch und über die Mutter Gregor Gysis, und dass sie seine Mutter ist, zu plaudern; später trifft er auf Hans Erich Nossack, von dem er ein Gedicht zitiert, und über den er wiederum etwas mehr erzählt. `Alle diese fast Vergessenen, nicht wahr?`, schreibt er und der Leser merkt: hier ist einer in den Steinbruch der Erinnerung deutscher Literatur und Zeitgeschichte geraten. Über Huchel jedenfalls erzählt er, was er nicht hier, sondern in einem Insel-Taschenbuch gefunden hat. Und er legt den Nachdruck der ersten zehn Jahrgänge von `Sinn und Form` neben sich, während er die Briefe liest, und wandert zwischen ihnen hin und her. Kurz gesagt, er schreibt auf, zu was ihn die Lektüre dieses Briefbandes animiert hat. Und das ist, wie es aussieht, sehr ergiebig gewesen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.10.2000

Keine "literarische Pretiosen" hat der holländische Herausgeber für diesen Band gefunden, schreibt Christof Siemes in seiner ausführlichen Besprechung. Aber er hat eindrücklich die "Produktionsbedingungen von Literatur" über 50 Jahre dokumentiert. Siemes interessieren daran vor allem die Briefe, die Huchel als Chef der DDR-Zeitschrift Sinn und Form geschrieben hat, wie er also versuchte, bundesdeutsche Schriftsteller zur Mitarbeit zu bewegen (was ihm gelang) und wie er als Gesprächspartner und Ratgeber mit einzelnen Autoren und ihren diversen Schreib- und Lebenskrisen umging. Siemes beschreibt ihn in seinen diversen Rollen, die in diesen Briefen zum Ausdruck kommen: als "Bauchpinsler", "Geldbeschaffer", "politischer Taktierer und Talentförderer". Dem Rezensenten imponiert zudem, wie "unbestechlich" Huchel sich seinen Peinigern gegenüber äußerte, als er kaltgestellt wurde, und welch deutliche Erleichterung seinen Briefen nach dem Wechsel in die Bundesrepublik anzumerken ist. Die "streng chronologische Präsentation" der Briefe moniert der Rezensent, weil sie manches Mal Zusammenhänge zerreißt; Anmerkungen und Erläuterungen findet er in ihrer Akribie und gleichzeitigen Lückenhaftigkeit etwas unausgewogen. Aber am Ende lobt er die "verlegerische Tat" und findet, sowohl Huchel als auch "seine Leser" haben sie verdient.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.07.2000

Kurt Oesterle sagt es gleich im ersten Satz: ein "staunenswertes, fesselndes Buch", obgleich es beinahe nur "die Geschäftskorrespondenz eines Cheredakteurs enthält". In seinem Nachwort berichtet der Herausgeber, der niederländische Huchel-Biograf Nijssen, wie er einen Teil von ihnen "unter Staub und Hühnerkot" in Wilhelmshorst, dem letzten DDR-Wohnsitz des Dichters fand. Der langjährige Chefredakteur von "Sinn und Form", so Oesterle, wird in diesen Briefen sichtbar als mutiger Briefschreiber im Kampf für Zeitschrift und Autoren; seine Briefe setzt er mal als "messerscharfe", mal als "degenspitze Epistel(n)" ein. Und an die Autoren schreibt er "Trostbriefe" und lebensberatende Aufmunterungen. Oesterle zitiert eine Passage an den "ewig nörgelnden Erich Arendt: "Allen Ernstes, wie wäre es, wenn Sie sich ein Haus bauen ließen, dessen untere Räume in ein intimes Literatencafé umgewandelt würden? (...) Ich kann mir vorstellen, dass allein der Zigarettenbedarf ausreicht, Ihr Leben zu finanzieren.? Nur wenig Briefe sind enthalten, die den jungen Huchel zeigen, auffällig aber werden schon hier zwei Eigenschaften, meint Oesterle: "Verantwortungsbewusstsein und Autonomiestreben". Deshalb auch musste Huchel nach dem Mauerbau einsehen, dass sein Projekt der Veröffentlichung länder- und blockübergreifenden Literatur am Ende doch gescheitert war. Aber im Westen, in den er schließlich überwechselte, schreibt der Rezensent, "kam er nie richtig an". Die briefliche Ernte aus Rom und Staufen im Breisgau ist mager - und bezeichnend: Huchel schreibt von "Emigration" und "Losgelöstheit". Wer nach einem "gewichtigen Selbstkommentar" des Dichters in dieser Zeit sucht, so Oesterle, muss seine späten Gedichte lesen.
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